Unzählige Jungen träumen davon, später einmal wie ihre großen Idole als Fußballprofis auf dem Platz zu stehen. Die wenigsten träumen davon, auf dem selben Platz zu stehen – als Schiedsrichter. Jene ungeliebten Unparteiischen geraten wenn überhaupt als Sündenbock ins Rampenlicht, wenn eine gravierende Fehlentscheidung den Ausgang eines wichtigen Spiels beeinflusst hat. Machen sie ihren Job gut, nimmt kaum einer Notiz oder zieht den Hut vor ihrem scharfen Auge. Die Schiedsrichter, ohne die keine professionelle Sportveranstaltung stattfinden könnte, erfüllen also eine undankbare aber unverzichtbare Rolle. Wie geringschätzig sie behandelt werden, zeigt eine bezeichnende Szene in SPIELVERDERBER: Vor einem großen Spiel haben sich bereits Gruppen von Fans versammelt, während sich die Ränge erst langsam füllen. Das Schiedsrichter-Team zieht eine letzte routinierte Runde um das noch leere Spielfeld und geht den bevorstehenden Ablauf durch – von den schon eingetroffenen Fans beschimpft und ausgepfiffen.
Folgerichtig haben die Regiedebütanten Georg Nonnenmacher und Henning Drechsler ihre Dokumentation über den Schiedsrichtersport augenzwinkernd SPIELVERDERBER getauft. In einfachen Bildern porträtiert der Film drei völlig unterschiedliche Vertreter der Zunft, der in Deutschland beinahe 80.000 Männer und Frauen angehören. Da wäre der erst 14-jährige Kevin Prösdorf, der die erste Hürde – einen schriftlichen Test – gemeinsam mit vielen ander
en genommen hat und seine langwierige Probezeit antritt. Kevin wird gezeigt als durchschnittlicher Heranwachsender mit typischen Pubertätsproblemen und erhofft sich, aus der Schiedsrichterei Disziplin und Durchsetzungsvermögen entwickeln zu können. Im Interview zeigt sich Kevin voller Selbstvertrauen und schreibt seiner noch frischen Tätigkeit ungeahnte Verbesserungen seiner Persönlichkeit zu. Das diese eher Wunschvorstellungen und Erwartungen sind, scheint er hier noch nicht zu begreifen. Gegen Ende aber wird der Blick der Kamera privater und kindliche Unsicherheit dringt hervor, sodass hier keine pädagogische Propaganda betrieben wird. Das Filmteam hat die Darsteller über ein Jahr begleitet und in dieser Zeit die wichtige Vertrauensbasis für eine glaubwürdige Dokumentation geschaffen.
Neben dem aufstrebenden Nachwuchs, der von Kevin ausreichend repräsentiert wird, widmet sich SPIELVERDERBER zwei wesentlich erfahreneren Männern. Oreste Steiner ist mit 73 Jahren der älteste der drei Protagonisten – in einer über 50-jährigen Karriere als Schiedsrichter hat er tausende Spiele geleitet, es dabei aber nie in die Profiligen geschafft. Genauso wie es für die meisten Spieler ein Traum bleiben wird als Profi spielen zu können, bleibt auch die Schiedsrichterei meist nur ein Hobby. Ein Hobby, das einem Mann wie Steiner offensichtlich aber viel zu geben hat, betont er doch vollkommen glaubwürdig den Jungbrunnen-Effekt, den diese Aktivität für ihn heute hat. Mit der Jugend auf dem Platz zu stehen und die Liebe zum Fußball aktiv ausleben zu können, erfüllt das Leben des Rentners sichtlich mit Freude.
Der dritte Spielverderber, der hier unter die Lupe genommen wird, hat es gewissermaßen „geschafft“. Herbert Fandel pfeift Länderspiele, in der Bundesliga und der Champions League und hat für diese erfolgreiche Laufbahn sogar seine eigentliche Profession aufgegeben. Fandel ist eigentlich Konzertpianist und Leiter einer Musikschule, nunmehr aber zu einem der renommiertesten Männer in seinem Fach aufgestiegen. Als vierfacher Gewinner der Auswahl “Schiedsrichter des Jahres“, eine der wenigen öffentlichen Anerkennungen für die Referees, hat es Fandel zu einer gewissen Prominenz gebracht. Doch auch in seinem Fall ist der Film nicht bloß an den Sonnenseiten des Lebens und des Berufes interessiert – mit aufrichtiger Enttäuschung erzählt Fandel auch davon, wie er die Auswahl zum WM-Schiedsrichter knapp verfehlt hat. Bei der nächsten Weltmeisterschaft wird Fandel zu alt sein um noch aktiv teilnehmen zu können.
SPIELVERDERBER umreißt recht umfassend mehrere Generationen, die Kamera ist sowohl in großen Stadien zu Gast, als auch den den Spielen der Jüngsten dabei. Immer bleibt der intime und eindringlich persönliche Blick des Films ausschließlich auf seinem Gegenstand. Wenn die Jugend spielt, interessiert sich der Film nicht für die Spieler, sondern nur für Kevins zaghaften Versuche, Autorität auf dem Platz zu entwickeln. Wenn Fandel ein großes Spiel pfeift, weicht die Kamera nicht von seiner Seite und zeigt jede Regung seines abgeklärten Gesichtsausdrucks. Trotz der hintersinnigen Befragungen und den authentischen Einblicken, die fraglos geboten werden, bleibt der Film vor allem optisch eher auf TV-Niveau und kann die Kinoauswertung kaum rechtfertigen. Da Nonnemacher und Drechsler mit kleiner Crew und wenig Ausrüstung arbeiten mussten bleiben ausgeklügelte Parallelmontagen und umfassendere Aufnahmen des Geschehens aus. Als gedankenreiche Reflexion über den schwierigen Stand eines außergewöhnlichen und doch so alltäglichen Berufs, der ein Stück weit sicher auch Berufung ist, funktioniert die verhältnismäßig abwechslungsreiche Dokumentation überaus gut.
Fazit: Nonnenmacher und Drechsler ermöglichen einen längst überfälligen Einblick in die meist unbeachtete Welt der Schiedsrichter und sparen dabei weder innere Konflikte noch persönliche Enttäuschungen aus. Das originelle Thema wird durch adäquate Recherche und Nähe zu den drei porträtierten Menschen Gegenstand einer erfrischend anderen Betrachtung des Fußball-Metiers. Nicht nur für Sport-Fans eine lohnenswerte Angelegenheit, denn eine romantische Verklärung des Themas findet nicht statt.