(USA, 1992)
"No one's bringing me in!"
Preisfrage, für fünfzig Euro: Hätte sich auch nur ein Mensch auf der Welt für diesen Film interessiert, wenn Mick Jagger nicht mitgespielt hätte? Man hatte von Anfang an den Eindruck, dem obersten Rolling Stone sei langweilig und müsse nach erfolgreicher Welttournee irgendwie beschäftigt werden. Also arrangierte man ein Rendevouz mit der Kamera. Der Restfilm, der da an Jagger mit dran hing, kam bei der Kritik nicht gut an und war sehr schnell vergessen. Es reichte immerhin für ein schönes Special im
Musikexpress über schauspielernde Popstars. Bei Herbert Grönemeyer (
Das Boot) hieß es in der Rubrik 'Singt die betreffende Person?': "Nein, aber sie sinkt."
Also noch mal drauf geschaut. Ist
Freejack vielleicht doch eine vergessene Science Fiction-Perle? Oder nur ein überflüssiger Genreauswurf?
In diesem Film geht's wie folgt zu. Der junge Rennfahrer Alex Furlong (Emilio Estevez) wird kurz vor einem tödlichen Unfall von Kopfgeldjägern ins Jahr 2009 gebeamt. Dort soll sein Körper dem sterbenden Medienmogul Ian MacCandelss (Anthony Hopkins) als neue Hülle zum Weiterleben dienen - eine in der Zukunft gängige Praxis für Menschen, die es sich leisten können. Doch Furlongs Bewusstsein überlebt unplanmäßig die Transportation. Nun ist er ein 'Freejack', vor dem Chefjäger Victor Macendak (Mick Jagger) a
uf der Flucht. Er sucht Hilfe bei seiner ehemaligen Geliebten Julie Redlund (Rene Russo).
Wer Science Fiction mag wird bei dieser Spielanleitung kaum die Nase rümpfen. Das Problem ist eher: Denkt man an James Camerons
Terminator II - Judgement Day, der im Jahr zuvor in die Kinos kam, sieht dieser Film aus, als hätte man neben ein 5-Sterne-Menü einen Heiße Hexe-Automaten gestellt.
Mick Jagger ist mitnichten ein Starvehikel um den Film zu vermarkten. Er ist ein Grund den Film überhaupt zu sehen. Seine in Marmor gemeißelte Rockstar-Visage passt perfekt zur Rolle des bösen Kopfgeldjägers. Er muss auch nicht viel sagen. Weniger ist bei solchen Rollen immer mehr. Und es ist fast putzig, dass der komische futuristische Helm fast so groß ist wie sein ganzer Kopf. Das passt auch irgendwie zu den Kampfanzügen in babyblau und den käferartigen Fortbewegungsmitteln und all dem anderen Schau-mal-wir-sind-in-der-Zukunft-Gedöns.
Es ist auch nicht die Tatsache, dass Phantastereien wie Teleportationen durch die Zeit und Geistverpflanzungen in andere Körper ("Switch Board") schon in schlappen achtzehn Jahren möglich sein sollen. Das musste man so einrichten, damit der Plot mit Rene Russo noch unfallfrei funktioniert. (Und schaut man sich die Dame an muss man festhalten, dass die Anti-Aging-Produkte der Zukunft wirklich ihr Geld wert zu sein scheinen.)
Außerdem hat die Literaturvorlage von Robert Sheckley ein paar Zukunftsannahmen getroffen, die ins Schwarze treffen. In seiner Zukunft hat eine globale Wirtschaftskrise die Welt rigoros in wenige Gewinner und viele Verlierer geteilt. Die Reichen leben in gated communities, die Armen leiden unter miesem Dosenfraß und verschmutzter Luft. Ein Heer aus unterversorgten Abgehängten, die vor sich hin vegetieren. Julies Fluchthelfer Morgan (John Shea) erklärt dem Freejack die Zukunft kurz und bündig: "Es gibt Menschen die sind ganz oben und gibt Menschen die sind ganz unten. Dazwischen gibt's nichts."
Es gibt Politik- und Sozialwissenschaftler die behaupten, unsere Zukunft sähe
genau so aus.
Auch die Grundidee ist reizvoll. Ein Mensch wird von einer Sekunde auf die andere in eine erschreckende Zukunft transportiert. Sein Körper gehört dem, der die Kohle auf den Tisch legt. Wird man überhaupt gefragt? Auch diese Verfügung über scheinbar unveräußerliche Rechte qua Kontostand wirkt kaum unrealistisch.
Man sollte meinen, dass so ein Stoff bei einem Regisseur wie Geoff Murphy, der ambitioniertes SciFi-Kino wie
Quiet Earth (1984) machte, in guten Händen war. Doch irgendwie müssen alle Beteiligten auf halber Strecke die Lust an ihrer eigenen Geschichte verloren haben. Egal welch gute Idee sich da auftut oder auftun könnte, sie wird selten weiter verfolgt und zu Ende gebracht.
Die Dystopie ist interessant, als Actionfilm ist
Freejack hingegen zu halbgar. Natürlich ist es praktisch dass die Hauptfigur ihre Fähigkeiten als Rennfahrer sogleich auf der Flucht unter Beweis stellen kann. Aber ich schrieb es bereits: Im Jahr vorher gab es
Terminator II. Wer da mit einer mittelmäßigen Verfolgungsjagd in der Mitte und einer unterklassigen Kampfszene zum Finale ankommt, kann eigentlich gleich zu Hause bleiben.
Das zweite Problem ist Emilio Estevez. Was er als Regisseur zu bieten hat, kann man seit
Bobby (2006) durchaus würdigen. Das ändert aber nichts daran dass der Mann als Schauspieler minderbegabt ist. Alles was über den Schulhofschönling im
Breakfast Club (1984) hinausgeht, ist einfach nicht mehr seine Kragenweite. Und für die Rolle eines Menschen auf der Flucht durch eine brutale Zukunft wäre mehr nötig gewesen als Estevez' unbewegliche Gesichtstapete und sein glasiger Dackelblick ins Nichts. Dass er mit seiner Fistelstimme in einer Szene Arnold Schwarzenegger imitiert, kann man noch mit viel gutem Willen als Ironie durchgehen lassen.
Es ist bezeichnend, dass die Nebenrollen in diesem Film besser sitzen als die Hauptfiguren. Rene Russos Teilnahme am Geschehen ist fast überflüssig. Anthony Hokpins wirkt bemitleidenswert unterfordert. Amanda Plummer hingegen ist als hart austeilende Nonne ebenso gut anzusehen wie David Johannson als Alex' ehemaliger Manager und Frankie Faison als philosophierender Bettler am Hudson River.
Denkt man an die großen dystopischen Klassiker der 80er, an
Blade Runner (1982),
RoboCop (1987),
Running Man (1987),
Back to the Future II (1989) oder
Total Recall (1990), ist
Freejack eine recht mittelprächtige und uninspirierte Zugabe. Und das ist schade, denn die Möglichkeiten, eine vergessene Science Fiction-Perle zu werden, wenigstens eine kleine, waren alle da.
Das Ende ist übrigens unverschämt. (SPOILER!) Alex ist gerettet und kann offiziell das Leben von Ian MacCandless führen (Stichwort Körpertausch). Es gibt 'nen augenzwinkernden Klaps von Mick Jagger und dann geht's mit Rene Russo ab in eine rosige Zukunft auf dem Siegertreppchen der Gesellschaft. Als wäre dem Film seine eigene Systemkritik auf einmal egal. Im Abspann rocken die Scorpions "Are you ready for a hit between the eyes?!".
Yup, für so ein Ende wäre das eine gebührende Reaktion.