Jedes Jahr braucht anscheinend seinen Hype. Und jedem Hype gebührt ein Film respektive eine ganze Filmreihe. Was sich hier zunächst noch so arg simpel liest, hat sich in den letzten Jahren für einige große Filmstudios zur gewinnträchtigen Erfolgsformel gemausert, wobei sich das weltweite Fantasy-Phänomen um den jungen Zauberschüler namens
Harry Potter wohl zu den bekanntesten Vertretern zählen darf. Sowohl die sieben Buchvorlagen als auch die hieraus konzipierten acht Filme sind kommerzielle Megaerfolge gewesen, die sich gegenseitig nicht das Butterbier vom Tisch nehmen ließen. Ungeachtet der üblichen Fan-Debatte, ob denn Filme überhaupt die geschriebenen Vorlagen adäquat umsetzen können, gab
Warner Bros. der Konkurrenz, die auf den Zug aufspringen wollte, gehörig Fersengeld, sodass selbst tricktechnisch perfekt in Szene gesetzte
Drachenreiter (
20th Century Fox) und
glitzernde Vampire (
Summit Entertainment) nicht mehr aufholen konnten. Jeder bekam zwar seinen Anteil vom Kuchen, doch irgendwann bleiben eben nur noch die Krümel übrig. Und nun, im ersten Jahr nach der Ära Potter, scheint die Zeit für alle wieder reif, es auf ein Neues zu probieren. Der heutige Kandidat:
Lionsgate. Die altbekannten Zutaten: eine erfolgreiche Buchreihe, Millionen begeisterter LeserInnen, ein ordentliches Budget im Rücken und die brennendste aller Fragen im Hinterkopf: Geht das vermeintliche Erfolgsrezept wiederholt auf? Lassen wir die Spiele, die über Sieg oder Niederlage, Leben und Tod entscheiden, sogleich beginnen:
In einer nicht allzu weit entfernten Zukunft ist aus dem von Naturkatastrophen gebeutelten Nordamerika nunmehr das Land Panem entstanden - ein düsteres Konglomerat, bestehend aus dem reichen Regierungssitz (dem Kapitol) und zwölf ärmlichen Distrikten. Seit dem schicksalsreichen Tag, an dem diese einen Aufstand gegen das Kapitol vollzogen, der blutigst niedergeschlagen wurde, existieren die sogenannten Hungerspiele, die vom Kapitol als Wiedergutmachung für die törichte Revolte ins Leben gerufen wurden. Jährlich müssen sich nun aus jedem der zwölf Distrikte jeweils ein Junge und ein Mädchen von 12 bis 18 Jahren in einem als Medienspektakel inszenierten Kampf auf Leben und Tod beweisen, bis am Ende nur einer aus vormals vierundzwanzig als ruhmreicher Sieger zurückkehren darf. In diesem Jahr wird überraschend die zwölfjährige Primrose Everdeen (Willo Shields) als weiblicher Tribut des 12. Distrikts ausgelost, was ihre ältere Schwester Katniss (Jennifer Lawrence) todesmutig dazu bewegt, sich an ihrer statt freiwillig zur Verfügung zu stellen. Zusammen mit dem männlichen Tribut Peeta Mellark (Josh Hutcherson) reist sie ins Kapitol, um sich auf den beinah aussichtslosen Todeskampf in der Arena vorzubereiten. Schon bald erleben die beiden Auserwählten die Perversion der Hungerspiele am eigenen Leib...
„DIE TRIBUTE VON PANEM - THE HUNGER GAMES“ von
Gary Ross („Pleasantville“ [1998]) entführt seine Zuschauer in eine dystopische Welt, in der die Macht der Medien eine ungeahnte Höhe erreicht hat. Die spannende Geschichte, die sich in
Suzanne Collins' Vision über drei erfolgreiche Bücher erstreckt (
„Tödliche Spiele“,
„Gefährliche Liebe“,
„Flammender Zorn“) schafft dabei das Kunststück, sowohl ein jugendliches Publikum anzusprechen als auch die erwachsenere Fraktion nicht auszusparen. Denn abseits des allgemein vorherrschenden Vorurteil-Tenors, die
Panem-Trilogie sei nur für Jüngere geschrieben, der Film dementsprechend auch nur auf Letztere zugeschnitten, gibt es mehrere Gründe, sich das Werk einmal ohne bereits vorgefertigte Meinung anzusehen. Sicherlich trägt der Umstand, dass sowohl Buch wie Film (fast) ausschließlich aus Sicht der 16-jährigen Katniss erzählt werden und damit ein hohes Maß an Identifikationspotential präsentieren, zunächst einmal zu besagtem Fehlschluss bei. Darüber hinaus gibt es aber so gut wie keine weiteren Aspekte, die diese These nachhaltig unterstützen oder gar untermauern. Im Gegenteil wäre nichts falscher, als Ross’ Adaption in die Schublade mit den klassischen, bekannten Jugendbuch-Verfilmungen der letzten Jahre zu stecken. Denn so widersprüchlich sich hier die gezeigte Zukunftswelt zeigt (hochmodern-schillernd contra ursprünglich-rustikal), so tanzt auch der Film nicht nur auf einer Hochzeit. Und das ist gut so.
In einer Zukunft, in der die Wiedergutmachung für Vergangenes in einem blutigen Kampf Jugendlicher mündet, der von Kameras und übertriebenem Show-Gehabe begleitet wird, erzählt Gary Ross zusammen mit seinen Co-Drehbuchautoren (unter ihnen Suzanne Collins) die Geschichte eines jungen Mädchens, das schon früh auf eigenen Beinen stehen muss. Katniss, dieses starke Mädchen, das eigentlich gar nichts mehr beweisen muss, sich aber dennoch todesmutig für ihre kleine Schwester in die tödlichen Spiele stürzt, wird zum vordergründigen Dreh- und Angelpunkt einer Zukunftsvision, die erschreckend nahe an der Realität angesiedelt ist. Attribute wie „sensationslüstern“ und „Reality-TV“ sind – vor allem im direkten Zusammenspiel – schon heutzutage keine Fremdworte mehr, sondern zum Leidwesen Vieler bereits in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Es geht (leider) immer extremer, ohne Rücksicht auf Anstand und den guten Geschmack. Das wissen wir nur zu gut.
„DIE TRIBUTE VON PANEM - THE HUNGER GAMES“ funktioniert somit in seiner wahrlich überspitzten Darstellung der Hungerspiele als überaus gelungene Gesellschaftskritik, als Spiegel einer manipulativen Zeit, in der eigentlich nur noch das nackte Überleben zählt. Egal zu welchem Preis. Und die Welt schaut mehr oder minder gebannt zu. Gary Ross schöpft hier inszenatorisch wenig überraschend aus den Vollen, wenn sein Einzug der Tribute etwa an den Einzug von Gladiatoren im alten Rom erinnert. Das Motto
Brot und Spiele (hier: Leben und Belustigung) schwebt erkennbar über allem.
Schließlich nehmen die Hungerspiele ihren Lauf und mit ihnen ein deutlicher, wenngleich nachvollziehbarer Bruch in Ross' Inszenierung. Als Gegenstück zum opulent-strahlenden Kapitol herrscht nun ein dreckiger, grobkörniger Handkamera-Look vor, der nur noch wenig mit einem hochbudgetierten Blockbuster der Neuzeit gemein hat. Aber es ist ein passender Entschluss, der zum einen eine Nähe zu Katniss' Charakter entstehen lässt, die man vorher als Kenner der Vorlage vielleicht etwas vermisst hat, und zum anderen an eine Ästhetik gemahnt, die man nur allzu gut aus den ominösen Reality-TV-Formaten kennt. Auch wenn die Kamera nun größtenteils arg wackelig ausfällt, erweist sich dieses Stilmittel als gelungener Schachzug, der eine nicht zu leugnende Intensität entstehen lässt, welche der düsteren Buchvorlage mehr als nur gerecht wird. Es braucht freilich ein wenig Eingewöhnungszeit, danach jedoch stört die Inszenierung fast gar nicht mehr. Denn trotz aller Hektik, die insbesondere in den Action-Sequenzen zum Tragen kommt, ist
„DIE TRIBUTE VON PANEM - THE HUNGER GAMES“ vorrangig ein Film über Menschlichkeit in schweren Zeiten, vor unsere Augen geführt durch eine Riege von sowohl alteingesessenen als auch jungen, gleichsam talentierten Schauspielern. Die filmtypischen Kürzungen und Charakterstreichungen einmal außen vorgelassen, wird jeder der im Buch wichtigen Protagonisten auch in der Filmversion ernst genommen. Mehr noch: Die nach „
Winter's Bone“ [2010] erneut als toughe Jugendliche überzeugende
Jennifer Lawrence geht in der Rolle der Katniss derart auf, dass man als Zuschauer automatisch mitleidet. Dies ist schlicht und ergreifend ihr Film und ein weiterer Beweis dafür, dass dem bereits oscar-nominierten Schauspieltalent eine vielversprechende Zukunft bevorsteht. Mehr als zuvor.
Fazit: Auch ohne jedwedes Vorwissen funktioniert der Film wunderbar als eigenständiges, schlüssiges Gebilde, das sich und seinen Charakteren jederzeit treu bleibt und dabei auch noch eine spannende, atmosphärisch dichte Geschichte zu erzählen weiß, mit welcher der tolle Score von
James Newton Howard („
Peter Pan“ [2003]) eine gelungene Symbiose eingeht. Altbekannte Themen wie Loyalität, Liebe oder Freundschaft erfahren hier zwar erwartungsgemäß keine Neugeburt, werden in ihrer bewährten, herkömmlichen Form aber immerhin konsequent als lebensbejahende Lichtblicke in einer bildgewaltigen, gleichsam verstörend düsteren Dystopie-Verfilmung eingesetzt, die trotz gesunder Härte das Herz am rechten Fleck trägt. Dies sollte für eine Fortsetzung mehr als ausreichen. Die Spiele seien jedenfalls hiermit eröffnet.
Zusatzbemerkung: Der Film ist seit dem 30.08.2012 auf DVD und Blu-ray im Handel erhältlich und bietet neben dem Hauptfilm in Deutsch und Englisch (DD 5.1) noch etliche Extras. Die 2 Disc Special Edition gibt unter anderen Einblick in die Entstehung des Films, wirft einen Blick auf den schwarzen Teppich, wagt einen Rundgang durch das Capitol, erzählt Geschichten aus Panem und berichtet von den Stunts. Insgesamt warten 213 Minuten an Bonus-Material auf Begutachtung. Ein attraktiver Schuber ohne FSK-Logo und ein Wendecover runden diese wirklich prall gefüllte Veröffentlichung ab. Und wem das alles nicht reicht, der kann sich an die streng limitierte Fan Edition wagen, die neben der obigen Doppel-DVD auch noch Merchandise-Produkte zum Film enthält. Da fällt die Wahl schwer...
Die komplette Filmreihe in ausführlichen Rezensionen bei mannbeisstfilm.de:
Teil 2: „
Die Tribute von Panem - Catching Fire“ [2013]
Teil 3.1: „
Die Tribute von Panem - Mockingjay: Teil 1“ [2014]
Teil 3.2: „Die Tribute von Panem - Mockingjay: Teil 1“ (ab November 2015)
Bilder: © 2012 STUDIOCANAL GmbH.