Einen Archetypus des modernen amerikanischen Western schuf der österreichische Regisseur Fred Zinnemann (“Verdammt in alle Ewigkeit”, “Der Schakal”) 1952 mit seinem Schwarzweiß-Klassiker “High Noon - 12 Uhr mittags”, der mit selbst für damalige Verhältnisse schlappen 800.000 Dollar und in Echtzeit (!) realisiert wurde. Seinen Ruf als bedeutsamer und bemerkenswerter Meilenstein des Genres, der ihm heute vorauseilt, genoss der Film zu seiner Entstehungszeit jedoch längst noch nicht. Aus der antikommunistischen Fraktion des US-Senators McCarthy war starker Gegenwind wegen der angeblichen “unamerikanischen Umtriebe” zu vernehmen, obwohl Zinnemann selbst darauf bestanden hatte, mit “High Noon” in keinster Weise ein politisches Statement- in welcher Form auch immer- abgelegt haben zu wollen.
Die Kleinstadt Hadleyville, gegen halb 11 Uhr morgens: Soeben hat der aufrichtige Marshall Will Kane (Gary Cooper) seinen Sheriffstern an den Nagel gehängt, um seiner Frau Amy (Grace Kelly)- eine der religiösen Sekte der Quäker angehörige Friedenskämpferin aus Überzeugung- der er just das Ja-Wort gegeben hat, mehr Zeit zu widmen. Als Kane aber davon erfährt, dass der gefährliche Bandit Frank Miller (Ian McDonald), den er fünf Jahre zuvor höchstpersönlich hinter Gitter gebracht hat und der ursprünglich eine lebenslange Freiheitsstrafe zu erwarten hatte, vorzeitig begnadigt und auf freien Fuß gesetzt wurde, läuten bei dem gewissenhaften Gesetz
eshüter die Alarmglocken. Zudem hat sich bereits herumgesprochen, dass Miller mit dem 12-Uhr-Zug in Hadleyville eintreffen würde, um sich an Kane zu rächen. Drei seiner Komplizen erwarten den berüchtigten Ganoven schon am Bahnhof. Entgegen des Drängens der Bürger- besonders von Amy, die Angst hat, ihren Mann zu verlieren- Kane solle auf sein Pfred steigen und das Weite suchen, versucht dieser, eine Armee von Hilfssheriffs zu formieren, um sich Miller und dessen Gang bei Ankunft des Zuges vor Ort zu stellen. Kein leichtes Unterfangen, denn die versammelte Schar der Ortsbewohner erweist sich als feige und verweigert Kane die Hilfe. Derweil tickt die Uhr unaufhörlich weiter…
Zinnemann reproduziert die klassische Geschichte des einsamen, verzweifelten Helden, der in den schier aussichtslos erscheinenden Kampf gegen den nicht nur zahlenmäßig überlegenen Feind zieht. Dabei verzichtet er jedoch auf das gängige, zeitgenössische Pathos, wie es die westliche Weltmacht USA durch den symbolisch gewordenen
lonesome cowboy, der selbstlos und dem Gesetz Geltung verschaffend für die Werte der Nation eintritt, mit einer gewissen Vorliebe kultiviert. “High Noon” lässt jegliche Glorifizierung des traditionellen Mythos
Wilder Westen außen vor, ohne dabei die typischen visuellen und erzählerischen Erkennungszeichen der Gattung des Western aus den Augen zu verlieren. Im Zentrum steht jedoch die Psychologisierung der Charaktere, die die patriotische Mentalität des Einheitlichen, des Identitätsbewussten, als brüchige Fassade entlarvt. Genau an diesem Punkt ist die Ursache zu suchen, weshalb der Film, der oft als eine Art Kontrapunkt zu Howard Hawks` “Rio Bravo” von 1959 bezeichnet wird, ein solch kritisches Echo aus dem Lager der McCarthy-Republikaner erfuhr, die ihre Ideologie mit Füßen getreten sahen. Eine pikante Anekdote: Den Oscar, den Gary Cooper für seine Rolle des Will Kane bekam, nahm ausgerechnet sein Kollege, Westernlegende John Wayne, der als einer der strengsten Befürworter der Hetzkampagne galt, entgegen, weil Cooper an jenem Abend nicht anwesend war.
Darüber hinaus erzählt “High Noon” vom sprichwörtlichen “guten Hirten”, der im entscheidenden Moment von seinen Schäfchen im Stich gelassen wird. Weder vom Richter, der dem Bösewicht seinerzeit das Urteil aussprach, noch von einem alten Freund, der sich durch seine Frau an der Tür verleugnen lässt oder sonst irgend jemandem kann Will Kane Hilfe erwarten. Selbst der bislang ehrlich erscheinende Deputy, der dem altgedienten Marshal, der seinen Bürgern jahrelang ihr Revier vor Verbrechen und Kleinkriminalität sauber gehalten hat, zunächst bedingungslose Treue geschworen hat, steckt den Kopf in den Sand, als er erfährt, dass Kane nicht genügend Mitstreiter für das Himmelfahrtskommando organisieren konnte. Dass “Gemeinschaft” per definitionem Zusammenhalt bedeutet- auch und vor allem dann, wenn Gefahr im Verzug ist, scheint den Bürgern von Hadleyville nicht besonders wichtig zu sein- genauso wenig wie die Tatsache, dass es im Endeffekt
ihre Stadt ist, die es zu verteidigen gilt. Unabhängig davon hat Kane, der kurz zuvor noch an seinem Auftrag gezweifelt hat, längst den Entschluss gefasst, in der Stadt zu bleiben. Die Eliminierung von Miller ist für ihn nicht nur eine selbst auferlegte Mission zum Schutz der Bewohner Hadleyville`s, er sieht darin auch eine Chance, die Dämonen der Vergangenheit endlich zu besiegen.
Die gesamte Handlung in Echtzeit ablaufen zu lassen (ziemlich genau anderthalb Stunden), bedeutete damals eine kleine formale Revolution in Hollywood. Sicher, heute hat sich das Konzept längst etabliert, sowohl im Kino (hier könnte man jetzt mannigfaltige Beispiele nennen, z. B. “Nicht auflegen” mit Colin Farrell) als auch im Serienbereich (“24”). Doch selten wurde es effektiver eingesetzt als in “High Noon”. Der Kritiker Joe Hembus hat behauptet, die wiederholten Einblendungen der in der Sonne glühenden Eisenbahnschienen und des unabwendbar voranschreitenden Minutenzeigers der Wanduhr seien “aufdringliche Banalitäten”. Ich bin vollends der gegenteiligen Meinung. Gerade diese raffinierte Dramatisierung der Echtzeit-Handlung, die suggeriert, dass Will Kane zwei mindestens ebenbürtige Feinde hat- Frank Miller und eben die Zeit, lassen den Zuschauer noch direkter am Geschehen teilhaben und dem explosiven Showdown entgegenfiebern.
Große Namen waren im Vorfeld im Gespräch um die Besetzung der männlichen Hauptrolle gefallen. Namen wie Kirk Douglas, Henry Fonda, Marlon Brando oder Charlton Heston. Letzten Endes bekam Gary Cooper, der aus Montana stammende Sohn eines Richters, der seit den 20er Jahren im Geschäft war, die Rolle. Ein Glücksfall, wie sich herausstellte. Cooper, der sich während der Dreharbeiten in einer angespannten privaten Lage befand, übertrug diese perfekt auf seinen Leinwandcharakter und konstruierte Will Kane zu einem jener überlebensgroßen Helden des amerikanischen Western-Genres. An seiner Seite agierte Grace Kelly, die spätere Fürstin von Monaco, der hier der Durchbruch gelang und die fortan als eine der großen Hollywood- “Diven” der 50er gefeiert wurde. Seinen ersten Kinoauftritt hatte auch Lee van Cleef. Der schlaksige Haudegen, bekannt vor allem durch den Leone-Klassiker
Zwei glorreiche Halunken oder weitere Italowestern wie “Sabata” und “Der Tod ritt dienstags”, ist als wortkarges Bandenmitglied von Frank Miller zu sehen.
“High Noon” leistete nicht unwesentliche Pionierarbeit für sein Genre und leitete die Hochphase des amerikanischen Western ein, der spätestens mit Sam Peckinpah`s “The Wild Bunch - Sie kannten kein Gesetz” (1969) das Ende seiner glorreichen Zeiten erlebte. Dass die damalige politische Situation in den USA gänzlich ohne Einfluss auf Inhalt und Entstehung des Films geblieben ist, darf zumindest angezweifelt werden. Dass Zinnemann`s Hauptanliegen darin bestand, die Handlung des Streifens in einen kritischen Kontext zur Zeit zu stellen, hingegen auch.