„My name is Robert Neville. I am a survivor living in New York City. If anyone is out there... I can provide food, I can provide shelter, I can provide security. If there's anybody out there... anybody... please. You are not alone.“
Das Jahr 2008 ist erst eine knappe Woche alt, schon steht der erste Blockbuster aus Hollywood vor der Tür und erbittet, beladen mit überragenden US-Einspielergebnissen und dem besten Dezemberstartwochenende aller Zeiten, Einlass in die Kinosäle. Offenbar scheint der wohl zur Zeit in Amerika vorherrschende Usus’, filmtechnisch keine Experimente zu wagen und sich lieber auf altbekannte Stoffe zu besinnen, ein ums andere Mal finanziell aufzugehen, denn auch bei
„I AM LEGEND“ handelt es sich um ein Remake.
Bereits 1964 geisterte Vincent Price in „The Last Man on Earth” durch verlassene, menschenleere Gassen, nur um 1971 von Charlton Heston und seinem „Omega-Mann” beerbt zu werden. Grundlage dieser beiden Spielfilme – und auch einer 15minütigen Kurzfilmfassung aus Spanien namens „Soy Leyenda“ aus dem Jahre 1967 – war jedes Mal der schon zu Kultstatus avancierte Sci-Fi-Vampir-Roman „I Am Legend“ von
Richard Matheson (*1926), den dieser 1954 veröffentlichte. Es war die im Grunde unübliche Herangehensweise an das ansonsten so typische Vampir-Thema, welche maßgeblich zum Erfolg des Romans beitrug, denn allen Gesetzen zum Trotz entwickelte Matheson keine blutige
oder gar billige Schauermär, sondern eine waschechte Science-Fiction-Geschichte, in deren Mittelpunkt der Mensch an sich steht. Am Beispiel des (scheinbar) letzten Menschen auf Erden wird dem Leser in geradezu erschreckender Weise vor Augen geführt, wie sehr der Kampf ums Überleben – am Beispiel einer von Vampiren verseuchten Endzeit – die Menschlichkeit, das Menschsein in den Hintergrund drängen kann. Der Mensch ist kein strahlender Held mehr, sondern ein von Zweifeln geplagtes Relikt einer längst vergangenen Zeit, der nachzutrauern nur noch mehr Verzweiflung hervorruft. Auch 2007 musste der Roman zum nunmehr vierten Male für eine Drehbuchfassung bemüht werden, jetzt jedoch in deutlich modernisierter Form und aufgrund der Realitätsnähe angesiedelt zwischen den Jahren 2009 und 2012. Der Star:
Will Smith. Die Story: altbekannt, wenngleich abgeändert und deutlich geglättet – mehr dazu später. Das Resultat: wir werden sehen.
Zunächst zur Geschichte: Der Wissenschaftler Robert Neville (Will Smith) musste hilflos mit ansehen, wie ein von Menschenhand entwickelter Anti-Virus gegen Krebs begann, ein mörderisches Eigenleben zu entwickeln, und sich wahnsinnig schnell epidemieartig über den ganzen Erdball ausbreitete. Der Militär-Virologe, der in Manhattan fieberhaft an einem Impfstoff gegen die Pandemie arbeitete, konnte nicht verhindern, dass das Virus weiter grassierte, woraufhin die komplette Stadt unter Quarantäne gestellt wurde und alle Nichtinfizierten evakuiert werden sollten. Traurigerweise endete diese Aktion in einer hysterischen Massenpanik, bei der sowohl Roberts Ehefrau (Salli Richardson) als auch seine kleine Tochter (Willow Smith in ihrem Debüt neben ihrem Vater) ihr Leben verloren. Alleine, verlassen und erstaunlicherweise immun gegen das Virus, das fast die gesamte Menschheit dahinraffte und etliche Infizierte in hungrig im Untergrund dahinvegetierende Monster verwandelte, siegt in Neville der Drang, ein Mittel gegen die verheerende Seuche zu entwickeln, um sein vermeintliches Versagen bei der Rettung der Menschheit wieder wettzumachen.
Ausgestattet mit imposanter Bewaffnung durchstreift Neville so tagtäglich mit Hund Sam, seinem einzigen Freund, die Straßen auf der Suche nach Nahrung, nur um abends in seinem Labor an einem Impfstoff zu arbeiten und sich vor den „Nachtsuchern“ – den lichtscheuen Infizierten – in seiner festungsgleichen Wohnung zu verbarrikadieren – immer in der Hoffnung, irgendwann auf weitere Überlebende zu stoßen – zur Erreichung dieses Ziels schickt Robert jeden Tag ein und denselben Funkspruch über den Äther, der bisher unbeantwortet blieb. Neville geht bei seinen Streifzügen zwar immer mit höchster Wachsamkeit vor, doch eines Tages sorgt eine kleine Unachtsamkeit für einen Moment mit fatalen Folgen, auf den die Infizierten, angeführt durch den Alpha-Mann (Dash Mihok), nur gewartet zu haben scheinen. Der Anfang vom Ende? Alles scheint verloren und aussichtslos, bis der vermeintlich letzte Mensch auf Erden erkennt, dass er gar nicht so allein ist, wie er gedacht hat...
Getreu der klassischen Vorlage lässt sich auch die Version von
Francis Lawrence („Constantine“ [2005]) nicht klar einem Genre zuordnen. Die ersten Minuten des als Endzeit-Schockers angepriesenen Werkes, in denen sich Robert Neville buchstäblich im Großstadtdschungel befindet, gehören zweifelsohne zu den stärksten des gesamten Films, bebildern sie doch in einerseits erschreckend realistischen, andererseits fast surreal anmutenden Kompositionen geradezu den Gemütszustand des allein auf weiter Flur umherwandernden Hauptdarstellers: Leere. Dadurch, dass New York nicht zerstört dargestellt wird, sondern als zum Stillstand gekommene Großstadtwüste erscheint, in der einzig verlassene Autowracks und leerstehende Quarantänegebäude daran erinnern, dass dies vormals eine pulsierende Metropole war, schuf Lawrence mit seinem Ausstattungsteam eine gänzlich neue, optisch brillant eingefangene Spiegelbildversion, eine Bedrohung fern ab jeglicher obligatorischer Science-Fiction-Klischees. Zu oft hat man schon zerstörte Großstädte auf der Leinwand gesehen; dabei ist es doch viel erschreckender, wenn sich die Natur allmählich das zurückholt, was ihr einst durch die Menschen genommen wurde. Die von
Andrew Lesnie („
Der Herr der Ringe“-Trilogie [2001-2003]) geführte Kamera fährt in geradezu ergötzender Weise durch Häuserschluchten, vorbei an so bekannten, nun aber erschreckend befremdlich wirkenden Originalschauplätzen wie dem Bahnhof Grand Central, dem Washington Square Park oder Chinatown und lässt den Zuschauer mit staunenden Augen zurück, wird er sich dem Fakt gewahr, dass hier wirklich unter Aufbietung aller logistischer Möglichkeiten live vor Ort gedreht wurde. Die Bilder sind ohne Zweifel grandios.
Inmitten dieser Bilderwucht: ein Will Smith, der gekonnt alle Register seiner Schauspielkunst zieht. Wie fühlt man sich, wenn man keinen wirklichen Gesprächspartner hat? Was würde der Einzelne unternehmen, um nicht verrückt zu werden? Neville unterhält sich mit Schaufensterpuppen, die er an einigen Orten, die er tagsüber besucht, aufgestellt hat. Wer meint, die Szenen, in denen Neville hadert, die attraktive Puppe am DVD-Regal anzusprechen und später im Auto seinen Hund um Rat fragt, seien lächerlich und völlig fehl am Platz (manche Kinobesucher sind dem Gemurmel nach angeblich dieser Auffassung gewesen), verkennt, dass dies im Gegenteil ein äußerst kluger Schachzug seitens Neville ist, nicht das Umgehen mit menschlichen Artgenossen zu verlieren. Denn auch wenn der angesehene Wissenschafter alles in seinem Leben verloren hat und ihm nichts weiter geblieben ist als die Erinnerung an seine Familie – man vermag nachzuempfinden, warum ein solcher Mensch letztlich vom Glauben abfällt, da dies alles nicht von Gott gewollt sein könne, wie Neville später im Film konstatiert –, so ist da doch etwas, das den Einsamen neben seiner zwanghaften Suche nach einem Impfstoff in seinem täglichen Treiben leitet: der Glaube daran, dass irgendwo, irgendwann andere Gleichgesinnte in sein Leben treten. Smiths Stärke ist sicherlich, dass er durch seine Mimik viel mehr als mit tausend Worten aussagen kann, weshalb sein Spiel zu keiner Zeit aufgesetzt wirkt und dazu beiträgt, dass man ihm das Schicksal seiner verkörperten Figur abnimmt. Überhaupt nimmt sich der Film viel Zeit, seinen Charakter näher zu beleuchten, was unter anderem durch geschickt eingestreute – die Story jedoch im Nachhinein nur unwesentlich voranbringende – Rückblenden zu erreichen versucht wird. Es ist überaus geschickt, den Film direkt mit der Katastrophe zu beginnen, da man so sprichwörtlich vom ersten Moment an mittendrin ist. Genau wie Neville, genau wie der vermeintlich letzte Mensch auf Erden.
Wer nach diesen Zeilen meint, das alles hört sich rein gar nicht nach dem vollmundig versprochenen Endzeitschocker an, als der der Film angepriesen wurde, hat den Nagel auf den Kopf getroffen, denn der Film ist definitiv weniger bombastisches Actionkino denn vielmehr eine dramatische Charakterstudie mit vereinzelt eingestreuten Action-, Science-Fiction- und Schockelementen. Letztere sind zwar vortrefflich und schön düster umgesetzt, wollen sich aber nicht zu 100 Prozent in das ansonsten gute Gesamtbild des Endzeit-Thrillers einfügen. Die mittels Motion-Capture-Verfahren am Computer realisierten Infizierten sind recht gelungen, wenngleich vor allem am Ende die solide aufgebaute und realistisch anmutende Atmosphäre der ersten Hälfte überbordenden und allzu offensichtlich eingesetzten Computereffekten weichen muss. Der tollste Effekt ist eben doch der, den man nicht sieht oder als solchen erkennt. Stark ins Gewicht fällt dies jedoch nicht.
Viel wichtiger ist nämlich vielmehr, was dem Menschen nun bleibt, wenn er fast alles verloren hat. In Mathesons Vorlage büßte er seine Menschlichkeit ein. Eine grausame und bedrückende Wahrheit. Auch Will Smiths Neville lässt in einer Szene ähnliches aufblitzen, wenn der Zuschauer erkennt, dass der Wissenschaftler am lebenden Objekt – den Nachtsuchern – seinen Impfstoff bereits mehrere Male vergeblich getestet hat. „Sind die alle gestorben?“ wird er gefragt, und er antwortet kurz und knapp „Ja“, ohne mit der Wimper zu zucken. Wie weit darf ein Mensch gehen?, fragt man sich zwangsläufig. Unstrittig wird hier versucht, die provokante Vorlage aus Mathesons Feder zu rezitieren, doch hält der Film diesem Anspruch in der letzten halben Stunde voller Explosionen und obligatorischen Blockbuster-Zutaten leider nicht vollends stand. Einzig die Frage, ob der Glaube an Technik und Fortschritt (so Neville) den Glauben an eine höhere Macht überflügeln kann, findet in den letzten Minuten eine mehr oder minder schmerzhaft mit dem Holzhammer eingetrichterte Antwort, die dann auch Neville schlussendlich begreift. Die Kamera zoomt nämlich aus dem Geschehen heraus, und unvermittelt wird der Fokus des Betrachters auf eine Kirche gerichtet. Also sind letztlich doch nur die, die glauben, diejenigen, die gerettet werden? Zumindest hier erhellt
„I AM LEGEND“ für kurze Zeit die nebulöse Dunkelheit, obschon damit dann auch traurigerweise die letzte Kante der mehr als gelungenen Vorlage ausgemerzt wurde. Ob man es nun glauben mag oder nicht.