von Asokan Nirmalarajah
The Godfather (1972, dt. Titel:
Der Pate), Francis Ford Coppolas gleichnamige Verfilmung des Bestsellers von Mario Puzo über den glamourösen Aufstieg, ernüchternden Fall und erneuten Aufstieg einer New Yorker Mafiafamilie in den späten 40er Jahren, findet sich mit schöner Regelmäßigkeit auf renommierten Auflistungen der besten Filme aller Zeiten wieder, wie etwa der alle zehn Jahre aufgestellten Top Ten des angesehenen britischen Filmmagazins
Sight & Sound. Doch nicht nur Kritiker, sondern auch das reguläre Publikum hält die heute legendäre Saga über die Corleone-Familie in Ehren, was sich vor allem auch an der Platzierung des Kultklassikers an der Spitze der Top 250 der meistbesuchten Filmseite im Internet (IMDb) zeigt. Die Erklärungsversuche für diesen anhaltenden Erfolg sind mannigfaltig und oft treffend: das bewegende Familienporträt, in dem sich fast jeder von uns wiederfinden kann, die souveräne Narration, die Symbiose aus der moralischen Ambiguität des New Hollywoods und der klassischen Form des Old Hollywoods, die sensationellen Schauspieler aus der Method-Acting-Schule oder auch das kapitalistisch nüchterne Bild eines korrupten Amerikas. Und selbstredend gibt es auch viele konträre Stimmen, die diesem kulturellen Meilenstein seine kolossale Reputation absprechen, und
statt eines so amerikanischen, konventionellen Hollywood-Films wie diesem eher einen subtileren, experimentelleren ausländischen Kunstfilm höher im kollektiven Gedächtnis sehen würden. Dabei ist
Der Pate unterhaltsam wie bewegend, effektvoll wie feinsinnig.
Erzählt wird die fesselnde Chronik einer patriarchalen Machtübergabe von Vater an Sohn innerhalb einer strikt traditionellen, katholischen und italo-amerikanischen Familie, womit sich
Der Pate nahtlos in die entschieden männliche Genretradition des Gangsterfilms einreiht und den weiblichen Figuren jede Handlungsgewalt jenseits ihrer Mutter-, Schwester- und Ehefrau-Rollen abspricht. Zudem schreibt er natürlich auch Genreregeln virtuos weiter und setzt nebenbei neue fest, indem er intensiver noch als seine thematischen und stilistischen Vorbilder in die Welt einer kriminellen Organisation abtaucht, ausschließlich aus ihrer Perspektive erzählt und somit seine Charaktere nicht als Verbrecher porträtiert, sondern als Teile einer traditionellen, gefestigten Familieneinheit sieht, die für ihre Mitglieder über Leichen geht. So ist die glamouröse wie verstörende kriminelle Dimension dieser epischen Familienchronik oft nicht mehr als eine Steigerung der Fallhöhe dieser im familiären Privatraum bereits sehr konfliktreichen Figuren, die mit den üblichen Familienproblemen wie geschwisterlicher Rivalität, väterlichem Stolz und Identitätskrisen aller Art innerhalb und außerhalb der familiären Struktur hadern.
Im Zentrum der Handlung, die sich hier über drei Generationen erstreckt, steht der intelligente, widerwillige Protagonist Michael Corleone (Al Pacino), der sich zunächst aus den Geschäften seiner reichen, kriminellen Familie herauszuhalten versucht, um mit der Amerikanerin Kay (Diane Keaton) ein halbwegs ehrbares Leben zu führen. Doch als sein geliebter Vater Vito (Marlon Brando), der von Untergebenen und Hilfesuchenden stets respektvoll „Don“ oder „Pate“ adressiert wird, von einem aggressiven Emporkömmling angeschossen wird, läßt sich der melancholische Michael aus Liebe und Sorge zu seiner Familie in die immer größer werdende Spirale der Gewalt ziehen, die unter den rivalisierenden Mafiabanden New Yorks ausbricht. Sein leicht reizbarer Bruder Sonny (James Caan) und sein inkompetenter Bruder Fredo (John Cazale) sind dem kühlen Strategen Michael im Kampf um die territoriale Vorherrschaft jedoch ebenso wenig eine Stütze wie sein allzu bedachter, nicht-italienischer Anwalt Tom Hagen (Robert Duvall) und seine hysterische Schwester Connie (Talia Shire), deren privaten Eheprobleme mit ihrem untreuen Mann bald auch katastrophale Auswirkungen auf das Familiengeschäft haben…
Als Prototyp des modernen Gangsterfilms, glänzt
Der Pate auf allen Ebenen und weiß über die dreistündige Laufzeit eine fesselnde, faszinierende, vielschichtige Geschichte über familiäre Dynamiken sowohl filmisch aufregend als auch emotional resonant zu erzählen. Die zumeist sträflich ignorierte Kameraführung von Gordon Willis, die mit verschieden starken Brauntönen im
film noir-Look arbeitet, um äußeren Schein und wahres Sein dieser ambivalenten, paradoxen Welt aus skrupelloser krimineller Energie und familiärem Zusammenhalt unter betont patriarchalischem Gesetz einzufangen, die ruhige, bedächtige Montage, und die famose romantische-traurige Musik von Nino Rota werden von Coppolas sehr liebevoller und intelligenter Inszenierung zu einem geradezu elegischen, ungemein vertrauten Bild einer familiären Sphäre verbunden, die von einer der bestverfassten Romanadaptionen voll unvergeßlicher Dialoge getragen wird, die hier gar die Vorlage emotional bereichert und thematisch erweitert. Die passgenaue Besetzung einprägsamer, vor diesem Film leidlich bekannter Charakterköpfe tut ihr übriges. Der damals noch unerfahrene Theatermime Pacino glänzt mit melancholischer Zurückhaltung und explosiver Aggression in seiner fraglos bekanntesten Filmrolle, während Brando seine Reputation als beispiellos authentischer Method-Akteur abermals mit seiner ikonischen Darstellung des brutalen wie liebevollen Don zementiert. Auch James Caan, Robert Duvall, John Cazale und viele weitere Mimen waren selten besser als in ihren respektiven Rollen im
Paten. Und es gibt kaum eine Szene aus diesem Film, die sich nicht in das kollektive kulturelle Gedächtnis unserer Zeit eingebrannt hat. Hat also
Der Pate wirklich all die Lobeshymnen verdient, die er noch heute so zahlreich bekommt?
Come si dice?... Si, certo, padrino!