Rumänien gegen Ende des 15. Jahrhunderts: Fürst Vlad Dracul (Gary Oldman) führt sein Heer in den Krieg für Gott und die Christenheit gegen die einfallende osmanische Streitmacht. Aus Rache für seine Erbarmungslosigkeit gegenüber den Invasoren ersinnen diese einen perfiden Plan und schicken eine gefälschte Botschaft über den Tod Vlads an seine Daheim gebliebene Frau, woraufhin diese sich in den Tod stürzt. Als Vlad von seinem Streitzug zurückkehrt, seine geliebte Frau tot vorfindet und zudem erfahren muss, dass sie als Selbstmörderin nicht in geweihter Erde beigesetzt werden kann, wendet er sich von der Kirche ab und geht stattdessen einen Pakt mit finsteren Mächten ein.
Vier Jahrhunderte später wird der junge Anwalt Jonathan Harker (Keanu Reeves) nach Transsylvanien geschickt, um dort dem Grafen Dracula beim Erwerb von Grundbesitz in London zu helfen. Schon bald muss Harker erfahren, dass der Graf ein dunkles Geheimnis hütet. Eines Abends fällt der Blick des Grafen auf ein Bild von Harkers Verlobter Mina (Winona Ryder), die der verstorbenen Frau Draculas wie aus dem Gesicht geschnitten sieht. So macht er sich auf den Weg nach London zu der vermeintlichen Reinkarnation seiner Geliebten, während er Harker in der „Obhut“ seiner dämonischen Gespielinnen lässt. Doch Harker gelingt die Flucht aus dem Schloss, und auch Professor van Helsing (Anhony Hopkins), Experte in Sachen Vampirismus, stellt sich schließlich Dracula entgegen...
Als Ho
rrorfilm, dem eine tragische Liebesgeschichte zugrunde liegt, bietet
"BRAM STOKER’S DRACULA" in eher untypischer Weise reichlich Potenzial für Charakterstudien. Leider wird dieses Potenzial nur sehr unzureichend ausgenutzt. Zwar versteht es
Gary Oldman ("
Das fünfte Element", "
The Dark Knight") als Dracula auf beeindruckende Weise die innere Zerrissenheit und den Schmerz seiner Figur zum Ausdruck zu bringen, und auch
Anthony Hopkins ("
Das Schweigen der Lämmer", "Rendevouz mit Joe Black") als Professor van Helsing ist sehenswert. Aber die übrige schauspielerische Leistung ist größtenteils ziemlich farblos und erscheint fast gänzlich uninspiriert. Daher wird auch nur unzureichend überdeckt, dass einige der Figuren relativ eindimensional, fast langweilig gezeichnet sind, was hier und da auch ein paar Längen in der Entwicklung der Geschichte zur Folge hat.
Dafür entpuppt sich Regisseur
Francis Ford Coppola ("
Der Pate", "Apocalypse Now") geradezu als Meister der visuellen Gestaltung. Er setzt dabei ganz verschiedene Tricks ein, um ein Gefühl der Beklemmung zu erzielen, einzelne Szenen und Sequenzen zu verbinden, oder um die teils diskontinuierliche Zeitstruktur zu entwirren oder auch zu betonen. Letzteres ergibt sich aus dem Plot: es gilt, Filmbeginn und fortschreitende Handlung, zwischen deren zeitlicher Einordnung im Film vier Jahrhunderte liegen, zu verbinden. So gibt es im Laufe des Films Rückblicke oder zumindest Szenen, die als solche anmuten. An anderer Stelle sieht der Zuschauer verschiedene Handlungsstränge gleichzeitig. Des weiteren schafft Coppola Verbindung zwischen einzelnen Erzählteilen, indem er bestimmte Motive oder Bildkonstruktionen immer wieder aufleben lässt: beispielsweise beginnt der Film mit dem Krieg gegen die Türken, wobei wir Dracula und die anderen Akteure nur als Schatten vor einem geradezu blutroten Hintergrund sehen. Das gleiche Bild taucht auf, als Dracula Mina in die Räumlichkeiten des Cinematographen folgt: im Hintergrund sehen wir auf einer Leinwand ein Schattenspiel in dem selben Farbton, mit den selben Figuren, kurz: die selbe Szene wie zu Beginn des Films.
Szenenwechsel finden oftmals unbemerkt und geschickt versteckt statt. So wird die Technik der Überblendung in hohem Maße genutzt, wenn beispielsweise in einer anderen Szene die Bisse an Lucys Hals im nächsten Moment zu den leuchtenden Augen eines Wolfes werden. Aber es werden auch durch relativ simple Mittel Verbindungen zwischen einzelnen Szenen geschaffen: so sehen wir erst Harker auf ein Foto von Mina blicken, um direkt im Anschluss Minas Blick auf eine Fotografie von Harker zu teilen.
Die für einen Horrorfilm obligatorische Atmosphäre von Ungewissheit und Beklemmung wird im Laufe des Filmes durch verschiedenste Gestaltungsmittel erzeugt: zunächst benutzt Coppola rasante Kamerafahrten, z. Bsp. als Dracula endlich London erreicht und sich auf den Weg zu Mina macht. Diese Kamerafahrten vermitteln nicht nur einen Eindruck von unnatürlich schneller und ruckartiger Bewegung; sie ermöglichen dem Zuschauer außerdem, diese Szenen aus dem Blickwinkel des Grafen zu erfahren, da hier die subjektive Perspektive eingesetzt wird: der Zuschauer selbst vollführt diese unnatürliche Art der Fortbewegung, wodurch das Gefühl der Beklemmung noch gesteigert wird. Ähnlich widernatürliche und damit unheimliche Bewegungsformen tauchen immer wieder im Film auf, und ebenso werden ungewöhnliche Perspektiven oder Verzerrungen verwendet, um die Bildwelt des Zuschauers zu stören.
Coppola verwendet oft Auf- und Abblenden, die wie das Öffnen einer Irisblende im Stummfilm anmuten. Außerdem wirkt die Szene der ersten Begegnung zwischen Mina und Dracula im Gewimmel Londons wie mit einer altertümlichen Kamera gedreht – die perfekte Einleitung zum Gespräch über den Cinematographen, welches die beiden führen. Hier sehen wir zugleich auch ein Beispiel für die frühen Kinotechniken, die selbst gegenständlich im Film auftauchen, ebenso wie das Aufnahmegerät Dr. Stewards, das Grammophon und der Guckkasten-Film. So präsentiert sich
"BRAM STOKER’S DRACULA" auch als Hommage an die Anfänge des Kinos und seine frühen Techniken.
Coppola versteht es in geradezu einzigartiger Weise, dieses klassische mit dem postmodernen Kino zu verbinden. Er bricht die übliche kontinuierliche Zeitstruktur auf, die Charaktere wandeln sich im Laufe der Geschichte teils auf dramatische, nicht vorhersehbare Weise, und schließlich spielt Coppola gekonnt mir Bildern und Toneffekten, sodass der Zuschauer sich zeitweise seines eigenen visuellen Wahrnehmungsvermögens unsicher ist. All diese Elemente sowie die oben besprochenen raffinierten Erzähltechniken machen diesen Film als späteres Beispiel des New Hollywood trotz seines nahezu klassischen Sujets zu einem fast neuartigen Filmerlebnis. Und auch wenn einige Längen und die Defizite in der Figurenentwicklung den Gesamteindruck stören und die Geschichte Draculas bereits in unzähligen Variationen vorliegt, ist mit dieser Version keineswegs ein überflüssiges Werk abgeliefert worden.