La Antena ist ein besonderer Film. Diese Vermutung kommt bereits auf, wenn man nur einen groben Blick auf dieses Werk wirft, dessen Ansatz allein schon einzigartig wirkt: Im Schwarzweißgewand wird eine originelle Hommage an den Stummfilm und den Deutschen Expressionismus versucht; ersteres, indem das gesprochene Wort auf eine interessante Art und Weise verstummt, letzteres, indem sich surreale, häufig auch groteske und stets symbolisch aufgeladene Bilder aneinanderreihen und eine faszinierende Welt scharfer Kontraste erschaffen. Das alles wird mit einer gehörigen Portion Gesellschaftskritik ge-(über-?)würzt.
Da wird ein Buch aufgeschlagen und aus dessen Seiten entsteht vor unseren Augen eine Stadt, in der sich die Geschichte des Films abspielen wird: Es ist die Stadt ohne Stimme, in der das übermächtige Fernsehen die Menschen beherrscht und deren Handeln bestimmt. Es hat ihnen bereits die Stimmen genommen, sodass alles zur ewigen Stille verdammt ist. Der Klang flüchtet sich ins Visuelle: Seien es Ausrufe, Worte, Sätze oder auch nur das Klingen einer Glocke, alles findet seinen Ausdruck in Comic-Sprechblasen ähnlichen "Untertiteln", die aber - und das ist der Clou - direkt in die Bildkomposition und ins Geschehen eingebunden sind: Die Charaktere interagieren mit ihrer eigenen, verbildlichten Sprache, greifen nach ihren Zielen, schieben unangenehme Einwürfe wortwörtlich beiseite oder werden gar vom "Ratatat"-Schwall wort- (statt blei-) s
puckender Gewehre tödlich getroffen.
Der Einfallsreichtum und die Experimentierfreudigkeit des Regisseurs erschöpfen sich aber nicht im geistreichen Umgang mit dem Thema "Stummfilm", sondern wirken fort in der gelungenen Bild- und Szenenkonstruktion. Könnte man vermuten, dass durch den Einsatz von Sprache (sei es auch einer besonderen Variante) die eigentliche Stärke des Stummfilms, die durch mündliche Erzählung unbeeinträchtigte Ausdruckskraft seiner Bilder, gefährdet werden könnte, darf man beruhigt sein. Zwar reicht die visuelle Gewalt von
La Antena nicht an rauschhafte Klassiker wie
Metropolis heran, der offensichtlich als Vorbild einiger Szenen diente, aber die Flut an originellen Einfällen und deren Ausarbeitung sucht gerade in der heutigen Filmlandschaft ihresgleichen. Besonders mit der Darstellung der verschiedenen Figuren hat man sich Mühe gegeben, sei es die gesichtslose und somit ihrer Persönlichkeit beraubte Sängerin, der finstere, unter Minderwertigkeitskomplexen leidende Fernsehboss mit auf dem kahlen Schädel nachgemalter Frisur und Plateuschuhen oder der verrückte Doktor, der in seinen Forschungen zur Herrschaft des TVs schon so weit vorgedrungen ist, das er selbst schon einen Monitor trägt, wo sich sein Mund befinden müsste. Die dunklen Schergen, die nur als Schattenrisse gezeigt werden und der böse Gehilfe, der nicht nur im übertragenen Sinne eine Ratte ist, sind weitere Beispiele des fantasiereichen Symbolismus, der sich überall im Film finden lässt.
So überdreht und plakativ wie die Optik des Films ist auch seine Geschichte: Der Konzernchef und prototypische Kapitalist Mister TV möchte mit seinem Fernsehprogramm, das der Stadt schon ihre Stimme geraubt hat, den Menschen nun auch die Wörter entreißen, um sie seinen finsteren Herrschaftsplänen gegenüber jeder Organisations- und Widerstandsmöglichkeit zu berauben. Dazu benötigt er La Voz - Die Stimme. Diese Sängerin ist die tragische Figur der Geschichte: Sie ist die letzte Einwohnerin der Stadt, die noch eine Stimme hat und ihr Gesang hat deshalb eine besondere Bedeutsamkeit. Weil ihr Sohn aber blind ist, begibt sie sich in verzweifelter Hoffnung auf Hilfe zu dem alles kontrollierenden Mister TV und damit geradewegs in ihren Untergang. Denn natürlich hat dieser nichts Gutes mit ihr vor, sondern nimmt sie gefangen, um mit der Hilfe ihrer Stimme jenes sinistre Wörterklau-Gerät zu speisen, das vom verrückten Doktor Y entwickelt wurde. Diese Machenschaften gilt es selbstverständlich aufzuhalten. Ein einfacher TV-Mechaniker, sein Vater, seine Tochter und schließlich auch seine Frau werden durch die unheilschwangeren Ereignisse zu einer Einheit zusammengeschweißt und sind am Ende sogar bereit, sich für ihre Sache zu opfern. Denn sie erfahren, wie man dem bösen Treiben der Obrigkeit Einhalt gebieten kann - mit einer zweiten Stimme...
Die Geschichte ist in ihrem Aufbau einfach und pointiert. Sie steht damit nicht (wie im Tonfilm häufig) im Mittelpunkt des Films, sondern voll und ganz im Dienste der Bilder, die sich in ihrem Verlauf entwickeln - und der politischen Botschaft, die darin mehr als nur unterschwellig mitschwingt. So wichtig es ist, dass dem überaus gelungenen visuellen Rausch genügend Platz zur Entfaltung eingeräumt wird, so unnötig ist die Breite, auf die hier die Gesellschaftskritik ausgewalzt wird. Natürlich passt es in den Stil des schwarzweißen Stummfilms, dass die Personen übertrieben gezeichnet sind und auch so spielen - schließlich musste ursprünglich deren Charakter ja auch ohne Worte vermittelt werden. Zum Einen aber gibt es hier eine erklärende sprachliche Ebene, die übermäßige Betonungen unnötig machen, zum Anderen drängt sich dem Zuschauer die politische Botschaft als geradezu platt auf. Da steht auf der dunklen Seite der Macht der finstere Kapitalist Mr. TV mit seinen Komplexen und seiner Machtgeilheit, der in einer Bildkomposition die Stadt unter seinen Füßen wie eine erlöschende Zigarette austritt und mit einem Hakenkreuz-förmigen Apparat die Herrschaft an sich reißen will, während auf der hellen Seite die gebeutelte Arbeiterfamilie steht, die mit einem Mal (trotz vorhergehenden Zwists) wieder vereint beisammen steht und mit Hammer und Sichel sowie Davidstern nach der Freiheit strebt. Die Symbole (bzw. die dahinterstehenden Ideologien), die ja eigentlich nicht einmal zusammenpassen, hat Esteban Sapir in seiner Stilisierung des Konflikts zwischen Unterdrücker und Unterdrückten wissentlich zusammengeworfen, um ja sicherzustellen, dass die Universalität des von ihm dargestellten Kampfs zwischen Gut und Böse auch erkannt werde. Diese rigorose Überzeichnung der Geschichte wirkt allerdings unnötig und aufgesetzt.
Die abstrakteren, intelligenten und hintergründigen Ideen, die zum Glück die plumpen weit überwiegen, verhindern den Abrutsch in eine Farce und zeigen, welches Talent in Sapir steckt. Dieser hat mit
La Antena erst seinen zweiten Spielfilm gedreht; vor 11 (!) Jahren gab er sein Debüt mit
Picado Fino. In der Zwischenzeit war der Argentinier bei diversen Projekten als Kameramann tätig - hoffentlich lässt er sich bis zu seinem nächsten eigenen Projekt nicht noch einmal so viel Zeit! Denn obwohl
La Antena an einigen Stellen sein Potential nicht ganz ausschöpft und an anderen über das Ziel hinausschießt, gebührt nicht nur dem Mut Sapirs Anerkennung, da er sich an die Umsetzung eines derart weitverzweigten und anspruchsvollen Konzepts wagte, sondern auch dem mehr als nur gelungenen Resultat ein großes Lob. Selten gibt es Filme wie diesen, die etwas wirklich Besonderes an sich haben, das den Zuschauer hochreißt und ihn sich fragen lässt, warum eigentlich der Rest der Filmlandschaft mit einem Mal so gleichförmig wirkt. Ein interessierter Blick vermag hier einiges zu entdecken...