Als Robert F. Kennedy, jüngerer Bruder des einige Jahre zuvor ermordeten US Präsidenten John F. Kennedy, 1968 seine Kandidatur für die Präsidentschaft bekannt gab, sprach er davon, dass sich Amerika auf einem gefährlichen Pfad befände und dass er nicht gegen eine andere Person antrete, sondern um eine neue Politik einzuführen. Er sprach von Mitgefühl und Gerechtigkeit, von Großzügigkeit und Nachhaltigkeit, setzte sich für die Gleichheit der Rassen ein, stellte sich gegen den Vietnamkrieg und prangerte das Übermaß an Gewalt an, das in seinem, von Rassenunruhen und brennenden Häusern geprägten Land, herrschte. Kennedy hatte sich im Laufe seiner politischen Karriere vom jungen, dogmatischen Moralisten in McCarthys "Untersuchungsausschuss für antiamerikanische Umtriebe" über seinen Posten als Justizminister im Kabinett seines Bruder und als Senator von New York zu einen aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten gewandelt, der sich über alle Rassengrenzen hinweg auch bei Afroamerikanern und Lateinamerikanern großen Zuspruchs erfreute. Viele sahen ihn als das soziale und moralische Gewissen Amerikas, den Träger und Hüter des amerikanischen Traumes, die letzte der letzten Chancen Amerikas (nachdem auch Martin Luther King einige Monate zuvor ermordet worden war) aus dem Sumpf, in dem es steckte mit Anstand und neuer Kraft heraus zu treten. Er sprach vom Potential des Landes und jedes einzelnen Menschen Gutes hervorzubringen und gab vielen Menschen das Gefühl,
dass eine bessere Zukunft möglich sei.
Von genau diesen Menschen und ihren Hoffnungen und Träumen handelt Emilio Estevez Film. Er führt uns durch einen Tag im Ambassador Hotel, in dem Robert Kennedy, der als Figur im Film nur am Rande vorkommt, am Abend seine Rede zu den kalifornischen Vorwahlen halten sollte und an deren Anschluss er ermordet wurde. Kaleidoskopartig, in vielen kleinen, sich überschneidenden Episoden, präsentiert uns "Bobby" eine Vielzahl von Figuren, die als Ganzes ein Gesellschaftsbild Amerikas dieser Zeit ergeben.
In der Chefetage der Manager (William H. Macy) des Ambassador, der seine Frau (Sharon Stone) mit einer Telefonisten (Heather Graham) betrügt. In der Küche der rassistische weiße Chef (Christian Slater), der seinen mexikanischen Untergebenen verbietet, wählen zu gehen. Unter ihm fächert sich der Rassenunterschied noch einmal auf. Der Sous-chef (Laurence Fishburne) ist ein Schwarzer, der sich von den Kellnern und Gehilfen, allesamt Latinos (unter anderem Freddy Rodriguez), allerhand anhören muss über seine angebliche Bevorzugung durch die Weißen. Die Küche einen wird am Ende der Baseball, dieses uramerikanische Spiel, als Ausdruck der Unschuld und der besseren Zeiten. Eingecheckt haben ein junges Hochzeitspaar, Diane und William (Lindsay Lohan und Elijah Wood). Sie kennen sich aus der Schule und Diane heiratet William aus Vernunft, um ihn davor bewahren nach Vietnam geschickt zu werden. Währenddessen richtet sich nebenan Kennedys Wahlkampfteam im Ambassador ein, alles junge überzeugte Männer und Frauen wie Wade (Joshua Jackson) oder der angry black man Dwayne (Nick Cannon), der in Kennedy die Chance zur Beendigung der Segregation sieht. Irgendwo sitzt der für 1968 obligatorische Hippie (Ashton Kutcher), der zwei weiteren Wahlkampfhelfern (unter anderem Shia LaBeouf ohne Roboter) Acid gibt und so für ein wenig Comedy sorgt. In der Lobby sitzt der bereits pensionierte Rezeptionist John (Anthony Hopkins), der immer noch jeden Tag kommt, weil er die Pension nicht verkraftet. Er steht für den Glanz alter Tage, hat jeden großen Menschen aus Amerikas großer Zeit, von Roosevelt über JFK bis Sinatra, im Hotel begrüßt und darf auch jetzt noch einmal Kennedy die Hand schütteln. Doch so wie er gehen auch diese Zeiten bald endgültig in Pension.
Estevez hat eine Bombencast für seinen Film zusammengesucht, die meisten davon Überzeugungstäter für wenig Geld. Zu ihnen gehören unter anderem noch Harry Belafonte, Estevez selbst, sowie sein Vater Martin Sheen, Helen Hunt und Demi Moore und sie alle liefern lückenlos Glanzleistungen ab, schrauben ihre Egos zurück und stellen sich in den Dienst des Films. Vorallem die Damenriege sticht heraus. Lindsay Lohan mit ihrem großen Potential, dass momentan irgendwo zwischen Partys und Reha liegen bleibt. Sharon Stone und Helen Hunt, die ohne Make-up endlich einmal so alt aussehen wie sie wirklich sind und fast bis zur Unauffälligkeit in den normalen Menschen verschwinden, die sie spielen. Verdammt gut ist Demi Moore als kaputte, versoffene Diva Virgina Fallon. Wer hätte gedacht, dass so etwas in ihr steckt.
Estevez bringt nicht nur all diese großen Namen und die vielen, manchmal nur augenblicksartig angeschnittenen Storylines mühe- und nahtlos unter einen Hut, sondern schafft es auch noch, damals wie heute relevante politische Botschaften unterzubringen. Diane und Williams Vernunftheirat ist ein politischer Akt. Dwaynes Telefongespräch mit Polizisten, die Schwarze vom Wählen abhalten wollen, erinnert an Bushs ersten Wahlkampf. Das Gespräch des Küchenpersonals ist von politischer Wut und politischen Ratschlägen und Einsichten durchtränkt. Doch entgeht Estevez sehr geschickt der Gefahr, Kennedy in seinem Sinn zu interpretieren, indem er ihn selbst sprechen lässt.
In vielem Archivmaterial das in den Fernsehern im ganzen Hotel läuft, verkündet RFK seine politische Vision selbst. Und allein diese Zeilen über Hingabe, Mitgefühl, Frieden und Gewaltlosigkeit sind im Amerika von heute eine ganz klare politische Botschaft. Und mal ehrlich, nicht nur Amerika gehen solche Leute ab.
"Bobby" ist ein glänzender und kluger Film, dem nur der etwas ausufernde Drogentrip und die etwas zu dick aufgetragene Rede von Laurence Fishburne, in der er Freddy Rodriguez mit König Arthur vergleicht, winzige Schrammen zufügen.
Dringend ansehen!
P.S.: Für Interessierte ist die DVD mit haufenweise Material über Kennedy und den Film bestückt, alles sehr ausführlich und aufschlussreich.