Der amerikanische Film blickt mittlerweile auf eine 70-jährige Geschichte des Horrorfilmgenres zurück. Angefangen hat alles in den 30ern, als Filmstudios wie Warner Brothers und Universal noch ihre Themen der Gothik-Literatur (Frankenstein, Dracula) oder dem Bereich des Übernatürlichen und Fantastischen („The Wolf Man“, „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“) entnahmen.
Rasante Entwicklung in der Technik und die Ereignisse des Kalten Krieges in den 50ern werteten den bestehenden Horrorfilm in technischer Qualität auf, siedelten diesen nun vermehrt in dem Science-Fiction-Fach an und machten ihn politisch. In den 60ern revolutionierte Alfred Hitchcock das Genre. Anstatt der Bedrohung von Seite übernatürlicher, fantastischer Wesen oder totalitären, feindlich gesinnten Systems, entsprang die Gefahr vielmehr den psychologischen, seelischen Abgründen des Menschen.
Hitchcocks „Psycho“ (1960) gebarte den psychologischen Horror, Roman Polanski rief mit „Rosemary’s Baby“ (1968) die Dämonen aus der Hölle herbei und George A. Romero ließ mit „Night of the Living Dead“ (1968) die Apokalypse über unseren Häuptern ausbrechen.
Von dieser neuen von realistischer Umsetzung geprägten, sozialkritischen Seite des Horrorfilms beeinflusst, schuf Tobe Hooper in den 70ern den mittlerweile jedermann bekannten
„Texas Chainsaw Massacre“ (1974), während Don Coscarelli
in seinem „Phantasm“ (1977) das Tor zu einer neuen Dimension öffnete – und damit den Zugang ebnete zu einer Welt der abgrundtiefen Bösartigkeit und einer zuvor nie da gewesenen sadistischen Systematik der Menschenversklavung. Clive Barkers „Hellraiser“ (1987) setzte an dieser Stelle fort und gewährte uns noch einen tieferen Blick in die Hölle. John Carpenters
„Halloween“ lief im Jahre 1978 in den amerikanischen Kinos. Im Grunde thematisierte Carpenters Machwerk um den irren Serienkiller Mike Meyers auf brillante Art und Weise die verheerenden Folgen unverarbeiteter Sexualität in der Kindheit und dem daraus resultierenden Aggressionstrieb gegen die die Sexualität verkörpernden Frauen. Ganz nebenbei machte Carpenter ein neues Subgenre des Horrorfilms populär: den Slasher-Film, welcher insbesondere unter den Teenagern zum Favoriten avancierte.
In den Mitachzigern inszenierte Stuart Gordon mit seinem „Reanimator“ einen äußerst gewalthaltigen Film, der größtenteils mittels expliziten Masken- und Splattereffekten seine große Wirkung erreichte.
1982 ging aus der Zusammenarbeit des Schriftstellers Stephen King und des Regisseurs George A. Romero die "Creepshow" hervor. Das Besondere an dieser Show war, dass sie eine angestaubte Form des Horrorfilms – den Anthology Horror Movie - wieder populär machte. Dabei besticht diese Form des Films im Grunde durch eine Aneinanderreihung von kurzen, in sich geschlossenen Geschichten, die in einer Spieldauer von 20 bis 30 Minuten eine spannende Handlung mit abschließender Pointe darbrachten.
Weil diese episodenartigen Anthology Filme, die ihren Ursprung in den 40ern hatten, beim Publikum gut ankamen und auch sehr hohe Chancen zum Kultstatus versprachen, wagte der amerikanische Kabelsender HBO 1989 - genau 30 Jahre nach dem ersten Anthology-Giganten-Projekt "The Twilight Zone" - eine gewaltige Horror Anthology Reihe, "Tales from the Crypt", die wöchentlich ausgestrahlt wurde, auf einer amerikanischen Comic-Serie basierte und in Zusammenarbeit von renommierten Regisseuren wie Walter Hill, Joel Silver, Robert Zemericks und vielen weiteren über 7 Jahre 93 Episoden hervorbrachte.
Die Mischung aus mal grausam-blutigem, mal clever-psychologischem Horror und tiefst schwarzem Humor, die trocken-sarkastische Präsentation durch einen eigens für die Horror Anthology erfundenen Charakter, den "Cryptkeeper", und der gruftige Soundtrack von Danny Elfman machten die Anthology zum absoluten Kult, der bis heute noch nichts an seinem Glanz eingebüßt hat.
MASTERS OF HORROR
Neun Jahre nach der Ausstrahlung der letzten „Tales from the Crypt“ – Episode hatte der Regisseur und Drehbuchautor Mick Garris die Idee, eine neue Horror Anthology zu produzieren. Seine Idee bestand darin, die einflussreichsten noch lebenden Horrorfilm-Regisseure zu versammeln und jedem die finanziellen Mittel für einen 1-stündigen Filmbeitrag zur Verfügung zu stellen. Dabei steht der jeweilige Regisseur und dessen kreative Vision im Vordergrund.
Der private PayTV-Sender Showtime finanzierte das Projekt. Aufgrund des Umstands, dass diese Anthology ausschließlich für das Pay-TV produziert wurde, lockerte Showtime für die Filmemacher die sonst sehr strengen Grenzen der amerikanischen Zensur.
Legendäre Wegbereiter des Horrorfilms – Regisseure wie Don Coscarelli, Stuart Gordon, Tobe Hooper, Dario Argento, Joe Dante, John Landis, Tom Holland, John Carpenter, John McNaughton und Takashi Miike – konnten nun einen Horrorfilm nach ihren Vorstellungen verwirklichen, und in 60 Minuten zeigen warum gerade sie zu den Meistern ihres Faches zählen.
Unter der Masters of Horror Anthology sammelten sich 2005 13 in sich abgeschlossene Filme, welche Showtime als Staffel 1 auf Sendung brachte. Im drauffolgenden Jahr konnte die in Amerika von großem Erfolg gekrönte Horrorfilm-Reihe die an der ersten Staffel beteiligten Regisseure größtenteils zu einem weiteren Filmbeitrag animieren, was sich in 13 neuen Beiträgen zu der 2. Staffel niederschlug. Auch diese Staffel erzielte hohe Einschaltquoten, so dass eine dritte bereits für 2007 in Planung ist.
Sämtliche Episoden sind in sich geschlossene Filme und tragen das Markenzeichen des jeweiligen Regisseurs. In Deutschland erscheint die Anthology nach gewohnter monatelanger Verzögerung auch auf DVD.
INCIDENT ON AND OFF A MOUNTAIN ROAD
Den Anfang macht Don Coscarelli mit einem ungewöhnlichen, sehr brutalen Psychothriller. Die junge Frau Ellen (Bree Turner), fährt abends alleine über eine Gebirgsstraße als plötzlich vor ihr ein quer über die Straße stehender Wagen auftaucht. Trotz guter Bremsreaktion rammt sie das Fahrzeug. Nur leicht verletzt steigt sie aus, um sich über das Befinden des anderen Fahrzeugführers ein Bild zu machen. Was sie vorfindet ist ein verlassenes Auto mit blutverschmierten Sitzbezügen. Ellen begibt sich auf die Suche nach dem Fahrer, etwas scheint hier nicht mit rechten Dingen zuzugehen. An der Böschung vom Fahrbahnrand macht sie dann auch tatsächlich jemanden ausfindig. Ein großer, schwarz gekleideter Mann mit einem breitkrempigem Hut bahnt sich seinen Weg nach oben zur Straße. Wegen der Dunkelheit und dem Regen erkennt Ellen erst als der gewaltige Riese schon fast vor ihr steht, dass dieser hinter sich her eine wimmernde, halbnackte, blutende Frau nachzieht – ganz offenbar die gesuchte Fahrerin des verlassenen Fahrzeugs. Der Koloss betritt nun gänzlich die Straße und reckt sich in seiner ganzen Größe. Ellen bietet sich der Anblick eines entstellten, fahlgesichtigen, mordlüsternen Killers, der sein gewaltiges Jagdmesser bereits gezückt hat.
Ellens Handy hat keinen Empfang, so dass sie ohne Hilfe von außen mit der Situation selbst klar kommen muss. Sie ergreift die Flucht nach vorne und hetzt, vorbei an dem ewig grinsenden Psychopathen, die Böschung herab in den Wald. Hier kann sie kurz verschnaufen, als sie ein Flashback überkommt. In ihren Erinnerungen durchlebt sie einen kürzlichen Waldausflug mit ihrem Freund Bruce (Ethan Embry) und wie er, ein Berufssoldat, ihr die grundlegenden Methoden der Selbstverteidigung und des Überlebenskampfes beibringt. Ellen weiß, als erstes muss sie ihre Panik bekämpfen, zur Ruhe kommen und dann überlegen wie sie sich Verfolger entgegen treten kann. Obwohl Ellen sich als eine geschickte Fallenstellerin herausstellt, schafft sie es dennoch nicht, den übermächtigen Gegner zu überwältigen. Er ist zwar langsam und schwerfällig, dafür aber unglaublich zäh. Selbst als Ellen dem Hünen mit einem Messer das rechte Auge aussticht kann sie ihm dadurch keinen Einhalt gebieten, sondern versetzt ihn vielmehr in eine noch größere Rage, in derer Folge er die verbissene Kämpferin ohnmächtig schlägt.
Angekettet an einen Pfahl kommt Ellen in einem dunklen Keller zu sich und findet heraus, dass der gnadenlose, verunstaltete Sadist die krankhafte Angewohnheit entwickelt hat, Frauen, die grade auf Überfahrt auf der Gebirgsstraße unterwegs sind, zu entführen und in einem bestialischen Ritual ihnen mit einer Bohrmaschine durch die Augen Löcher in den Schädel zu bohren, um die Leichen hinterher in seinem Garten aufzupfählern.
In monderhellten Nächten strahlt der Mond durch die Löcher im Schädel hindurch und erweckt den Eindruck als würden die Augen der getöteten Frauen glänzen.
Ellen nimmt ihren Mut zusammen und wartet auf die richtige Gelegenheit, um den Psychopathen zu überwältigen, doch die Angst um ihr Leben ist nicht der einzige lebenserhaltende Gedanke, von dem sie erfüllt ist,…
Don Coscarelli versetzt den Zuschauer gleich zu Beginn in eine seltsame atmosphärische Konstellation. Nach dem Unfall auf der Gebirgsstraße ist man gleich von der Spannung, die aus der Situation entstanden ist, ergriffen und fiebert mit der äußerst hübschen Protagonistin mit. Ellen ist dabei, entgegen den typischen Klischees der Survival-Filme, von Beginn an gefasst, ruhig und schwer aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ganz im Gegenteil dominiert sie als eigentliches Opfer nach kurzer Zeit bereits die Situation. Den Grund dafür liefert uns Coscarelli in den dazwischen geschnittenen Flashbacks, wo man noch die schüchterne und verletzliche Ellen kennen lernen darf.
Die dramatischen Survival-Szenen bei der Konfrontation der Frau mit dem hässlichen Ungeheuer sind schnell geschnitten und wirken sehr realistisch. Was einen hie und da verwundern mag ist wie gefasst und skrupellos die Protagonistin bleibt auch nachdem sie sich ihrem Peiniger ausgeliefert sieht. Die Erklärung dafür wird zum Schluss unterbreitet; ob diese dargebotene Erläuterung und die Auflösung der Geschichte aber dann letztendlich zufrieden stellen vermag, ist zumindest fraglich.
Insgesamt ist „Incident on and off a Mountain Road“ ein solider und packender Thriller im Stile von „Wrong Turn“, wobei die die Actionszenen teilweise sezierenden Flashbacks anfangs störend vorkommen, letztendlich aber der Geschichte eine wichtige Struktur und eine weitere narrative Komponente verleihen.
Sämtliche Darsteller überraschen durch eine sehr überzeugende und engagierte Darbietung. Vor allem bei dem rigorosen Gewaltaustausch zwischen der emanzipierten Bree Turner und ihrem psychopathisch-sadistischen Gegenspieler John DeSantis bleibt einem desöfteren die Luft weg.
Auch die Fans von Don Coscarellis Filmen, insbesondere seines legendären „Phantasm“, kommen voll auf ihre Kosten. Coscarellis bewährte schonungslose und blutige Inszenierung kann sich sehr wohl neben dem modernen Survival-Slasher-Stoff wie
„The Hills Have Eyes“ oder
„Wolf Creek“ behaupten und hinterlässt eine beeindruckende eigene Note.
Nicht zuletzt dadurch, dass der Kult-Bösewicht aus der Phantasm-Reihe (1979 – 94), „The Tall Man“, gespielt von Angus Scrimm, in einem unvergesslichen Cameo Auftritt seine schauspielerischen Qualitäten zum Besten gibt.