Die beiden Polizisten Sven Lottner (Ronald Zehrfeld) und Marek Gorsky (Max Riemelt) werden in ein neues Revier versetzt und bekommen nach etlichen Routinefällen und Kleinkrämerei endlich die Chance, den großen Tieren auf die Füße zu treten. Jung und hungrig auf Erfolg starten sie enthusiastisch und klemmen sich hinter die Ermittlungen gegen im großen Stil operierende Zigarettenschmuggler. Zwar erweisen sich die beiden schnell als erfolgreich, doch Mareks familiäre Beziehung zum organisierten Verbrechen - sein Schwager Micha (Misel Maticevic) gehört zur Russenmafia - und weitere Unberechenbarkeiten wie korrupte Kollegen bringen die Freunde und Kollegen auch in Lebensgefahr.
Die Diskussion um "Im Angesicht des Verbrechens" begann quasi vom Fleck weg mit Superlativen, denen sich eigentlich keiner in den Weg stellen wollte. Warum auch, wird die phänomenale Polizei-Miniserie vom (einzigen) deutschen Genre-Großmeister Dominik Graf ihrem Hype doch vollends gerecht. Milieugenau und ungemein spannend erzählt sie von zwei Berliner Polizisten, die in einer neuen Abteilung endlich an die größeren Fälle ran dürfen. Liebesgeschichte, tragische Vergangenheit, Buddy-Motive, hitziger Vorgesetzter, Verfolgungsjagden, Razzien, ehrgeizige Cops, doppelzüngige Gangster. Alles da. Überhaupt greift Graf tief in die Trickkiste und lässt jede Menge Zooms, Rückblenden, Farbfilter, Action-Szenen und Genre-Klischees über den Zuschauer einprasseln. Nur eben gek
onnt. Uramerikanisch geprägt und doch total deutsch, ganz und gar verankert in einem perfekt nachempfundenen Berlin, das selten besser in Szene gesetzt wurde.
Ganz allgemein ist "Im Angesicht des Verbrechens" von einem starken Stilwillen durchzogen, der es durchaus mit legendären Meistwerken wie der düsteren Serie "Allein gegen die Mafia" aufnehmen kann. Schillernd, aber nie verherrlichend kommt die Zeichnung der mafiösen Strukturen daher, ungeheuer dynamisch die Ermittlungsarbeit der Polizisten. In mehr als sieben Stunden kommt nicht nur keine Sekunde Langeweile aus, Graf weiß überdies genau, wann er vom Gaspedal gehen muss. Nie verliert das Geschehen die Bodenhaftung, auch und besonders nicht in den aufregendsten Momenten reinster Bewegung und atemlosester Spannung. Ein exquisites type casting stattet die Serie zudem mit einem ganzen Arsenal denkwürdiger Figuren aus. Maticevic, der zum wiederholten Male mit Graf zusammenarbeitet, beweist erneut seine Vielseitigkeit und brilliert als russischer Gentleman-Gangster. Marie Bäumer war nie so gut wie hier als seine Ehefrau, die sich selbstbewusst gegen die patriarchalischen Gepflogenheiten auflehnt - ohne aber zur durchweg emanzipierten Heldin zu werden. Doch auch die zahlreichen Nebenfiguren würden allesamt ihre Erwähnung verdienen, würde dies nicht völlig den Rahmen sprengen.
So reichhaltig wie das Figurenkabinett fallen selbstredend auch die diskursiven Elemente aus, die aus Grafs Monumentalwerk schon fast so etwas wie ein überhöhtes deutsches Sittengemälde stilisieren, wobei sich die scharfkantig gescriptete Geschichte niemals vom gesellschaftlichen Hintergrund ablenken lässt sondern ganz bei sich ist und sich selbst genug. Graf spielt mit offenen Karten, seine Kritik am neuen organisierten Verbrechen, das sein schmieriges Halbwelt-Dasein immer mehr verliert und sich mittlerweile nahtlos an die High Society assimiliert hat. In den Berliner Villenvierteln, im Immobiliengeschäft, in "sauberer" Schmuggelware wie Zigaretten und Alkohol liegt das große Geld. Mit Zwangsprostitution, harten Drogen und anderen Hässlichkeiten geben sich nur die dreckigen Gauner ab.
Graf ist schon seit einigen Jahren für außerordentliche Leistungen bekannt, mit denen er TV-Filme zu puren kinematografischen Lehrstunden gerinnen lässt und den Großteil der deutschen Kinoproduktionen in ihre Schranken weist. Große Kinofilme wie "Die Katze" oder "Der Rote Kakadu" stemmt der vielseitig gebildete und als scharfsinniger Cineast bekannte Regisseur ebenso selbstverständlich wie Beiträge zu hinlänglich bekannten Krimi-Reihen wie "Der Fahnder", "Tatort" oder "Polizeiruf 110", die ihrerseits allesamt zu den Höhepunkten ihrer jeweiligen Reihe zählen. Vom deutschen Genrekino träumt er unbeirrt. Es ist ein guter Traum - hoffen wir, das Graf ihn nicht aufgibt. Einen guten Teil davon hat er ja bereits wahr gemacht.
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