Unter dem Titel “Mondo Brutale” drang 1972 ein preiswert produzierter Terrorstreifen auf den Markt, der die Messlatte für graphisch darstellbare Gewalt im Kino in Regionen ansetzte, die man sich als Otto Normalverbraucher bis dato höchstens in seinen blutigsten (Alp-)Träumen vorzustellen vermochte. Der Regisseur dieses filmischen Martyriums, welches den meisten wohl eher unter dem Namen “The Last House On The Left” (oder auf deutsch: “Das letzte Haus links”) bekannt ist, war kein geringerer als Wes Craven (
Scream - Schrei!, “A Nightmare on Elm Street”), der zu jener Zeit noch als graue Maus im Filmbusiness galt. Dieser Tage läuft das vom Griechen Dennis Iliadis verwirklichte Remake des richtungsweisenden Hardcore- Schockers in den Kinos- und, man lese und staune: Aus dem kühnen Projekt, das im Kanon mit solchen 70er- Neuauflagen wie
The Hills Have Eyes - Hügel der blutigen Augen und
Texas Chainsaw Massacre (Remake) genannt werden muss, ist ein handfester Psycho- Horrorthriller geworden, der im Schatten seines “großen Bruders” von `72 eine durchaus gute Figur macht.
Für alle Nicht- Eingeweihten eine kurze Inhaltsangabe: Gerade haben sich Mari (Sara Paxton) und ihre Eltern Emma (Monica Potter) und John Collingwoo
d (Tony Goldwyn) in einem pittoresken Landhäuschen irgendwo in der Walachei einquartiert. Emma, die eigentlich ein gemütliches Beisammensein mit der ganzen Familie am Abend geplant hatte, reagiert zunächst skeptisch, als Mari verkündet, sie wolle sich noch mit ihrer Freundin Paige (Martha MacIsaac) treffen. John aber hat nichts dagegen und übergibt seiner Tochter großzügig die Autoschlüssel. Ein fataler Fehler, wie sich später herausstellen wird. Mari und Paige bekommen von einem fremden Jungen namens Justin (Spencer Treat Clark) das Angebot unterbreitet, ihn auf sein Hotelzimmer zu begleiten, wo er feinsten Stoff gebunkert habe. Die Mädchen willigen ein und rauchen in der schmutzigen Absteige ein paar Ladungen Gras mit dem gleichaltrigen Typen. Dann taucht aber wie aus dem Nichts die Familie des Jungen auf, die sich als psychotische Clique von polizeilich gesuchten Schwerstkriminellen entpuppt. Mari und Paige werden in den Wald verschleppt und dort vom Anführer der Bande, Justin`s Vater Krug (Garret Dillahunt), verprügelt und vor den Augen der anderen vergewaltigt. Paige überlebt die Misshandlungen nicht, Mari kann sich- geschunden, unter Schmerzen und mit einer Kugel in der Schulter- in einen anliegenden See retten und davonschwimmen. Kurz darauf klingeln die Täter an der Tür der Collingwoods- diese zeigen sich als freundliche Gastgeber und gewähren dem Psycho- Quartett Einlass, nicht ahnend, wen sie sich da in ihr schmuckes Haus geholt haben. Doch Emma und John sollen die Wahrheit erfahren- und grauenvolle Rache für die Qualen ihrer Tochter nehmen…
Die Realität kann manchmal ganz schön grausam sein, wie ein Fall beweist, der sich laut Überlieferung im Schweden des 14. Jahrhunderts zugetragen haben soll- und der erstmals in Ingmar Bergman`s “Die Jungfrauenquelle” (1960) verarbeitet wurde. Damals sollen drei Schäfer eine Bauerntochter brutal vergewaltigt und anschließend umgebracht haben, bevor sie sich ausgerechnet im Haus der Eltern des ermordeten Mädchens verirrten. Richtig hellhörig auf diese Sage wurde das breite Publikum allerdings erst durch die Version Cravens, der aus dem dramatischen Stoff einen bitterbösen Terror- Reißer strickte, der in der ungeschnittenen Fassung schleunigst vom Markt genommen wurde. Dennis Iliadis verfremdet in seinem “Last House”- Remake das Thema abermals und nimmt entscheidende Skript- Änderungen vor. Die Frage, ob es sich hierbei um eine Pietätlosigkeit seitens der Macher handelt, die wirklich stattgefundene Tragödie zum selbstzweckhaften Suspense- Stück auszuschlachten, erübrigt sich somit, dass das Kino ein Ort der Fantasie ist, an dem (fast) alles erlaubt ist, solange der Respekt vor den realen Vorbildern gewahrt wird. Außerdem bleibt zu ergänzen, dass es sich bei der von den Drehbuchautoren aufgegriffenen Geschichte um eine Legende handelt, die meines Wissens nach historisch nicht hundertprozentig belegbar ist.
Aber kommen wir zum Film selbst. Die Mission, die Iliadis angeht, Wes Craven`s psychologisch geerdeten Brutalo- Schocker adäquat in das neue Jahrtausend zu transportieren, ist zwar keine unlösbare, aber zumindest gewagt, gilt die Vorlage doch als unumstößlicher Monolith im Horrorgenre und eines der ersten Werke überhaupt, die es sich trauten, die Schmerzgrenzen der Zuschauer kategorisch auszuloten. Dem Kultstatus des Originals hält der griechische Newcomer, dessen “The Last House On The Left” den Geist der Moderne inhaliert, rabiat- grimmigen Remake- Charme, rigide Härte und eine spannungsgeladene, professionelle Inszenierung entgegen. Wie seinerzeit Craven hantiert Iliadis mit der Frage nach Schuld und Sühne und dem Recht auf Selbstjustiz und spielt mit Sympathie- und Antipathiewechseln beim Zuschauer. Die provozierende Revenge- Moral, die hier gepredigt wird, erinnert in ihrer rotzfrechen Manipulation an Rob Zombie`s zügellose Kickass- Road- Action
The Devil`s Rejects, auch wenn bei Iliadis diesbezüglich längst nicht jeder Schuss in`s Schwarze trifft.
Die Ausgangslage, welche ein ländliches Idyll beschreibt, das urplötzlich in einem verstörenden Sumpf aus menschenverachtender Gewalt versinkt, ist zwar einerseits nicht unbedingt ein Novum und der erfahrene Fan braucht ab und an lediglich sein breit gefächertes Horror- Allgemeinwissen abzurufen, um das Story- Konstrukt zu erfassen, andererseits gleicht sich dieser Schwachpunkt aber dadurch aus, dass Iliadis diese Disziplin einfach spielend beherrscht und er sich handwerklich auf hohem Niveau bewegt. Beispielhaft hierfür ist die Szene, in der die besorgten Eltern von Mari dem unheimlichen Klopfen, das von draußen zu vernehmen ist, instinktiv auf die Veranda folgen und dort ihre von erheblichen körperlichen Wundmalen gezeichnete Tochter vorfinden, die vollkommen durchnässt und entkräftet vor einem Schaukelstuhl liegt, mit welchem sie gegen die Tür geklopft hat, um auf sich aufmerksam zu machen. Durch die fantastische Kameraführung in der verregneten Nacht wird diese Sequenz zum Gänsehautmoment. Dass die personifizierten Teufel in Gestalt der vier Schwerverbrecher zu diesem Zeitpunkt bereits Unterschlupf bei dem unwissenden Ehepaar gefunden haben, erhöht den Adrenalinpegel von nun an natürlich noch weiter. Obendrein schürt Iliadis die Spannung durch das Sichtbarwerden einer Hierarchie innerhalb der Psycho- Gang, so dass der unterdrückte Sohn, den sein sadistischer Vater zur Vergewaltigung der Mädchen zwingen wollte, gegen die Autorität und Gewaltbereitschaft seines Erzeugers rebelliert und auf einmal die Fronten wechselt. Ob diese Wendung in Anbetracht des Gesamtbildes nun glaubwürdig und logisch nachvollziehbar ist oder nicht, steht auf einem anderen Blatt.
Dennis Iliadis jedenfalls ist ganz gewiss kein Chorknabe. Er nimmt seine Zuschauer, die unbedingt über ein stabiles Nervenkostüm verfügen sollten, ausgesprochen hart ran. So schocken die krassen, mit der Kamera unverblümt eingefangenen Vergewaltigungsszenen dank wirkungsvoller, wenn auch knapp gehaltener Figurenexposition, auch anno 2009 noch, so dass selbst beim beißenden Sarkasmus einiger leicht augenzwinkernder Szenen, in denen Schlitzohr Iliadis eindeutig den Schalk im Nacken sitzen hatte, das Lachen im Halse stecken bleibt (John Collingwood, ein Arzt, flickt die Nase eines der Täter in penibler Kleinarbeit zusammen, nur um sie ihm später, nachdem er hinter das düstere Geheimnis seines “Patienten”- und der übrigen Gäste- gekommen ist, wieder zu brechen). Das Ende ist dann jedoch ein wenig zu ausufernd geraten. Auch wenn Iliadis im Grande Finale noch einmal alles auffährt, was der gut sortierte Baumarkt hergibt, hätte man die Handlung im Schlussakt doch etwas straffen können. Dass der Grieche hier sein anvisiertes Ziel erreichen wollte, das Original, welches sogar den ausgekochtesten Bluthunden schwer im Magen lag, zu toppen, wird immer offensichtlicher.
Apropos Original: Iliadis koppelt sich insbesondere in diesem letzten Drittel deutlich von der Vorlage ab, indem er die zweispältige Entscheidung fällt, Mari die Tortur überleben zu lassen und somit eben nicht mehr ein Mord (so gesehen in Cravens Film), sondern die qualvollen Entbehrungen und die Vergewaltigung der Tochter als Aufhänger dafür fungieren, dass die Collingwoods zu Racheengeln werden. Somit bekommt die Geschichte einen komplett neuen Untersatz verpasst, der die Frage nach der Rechtfertigung von Gegengewalt als Antwort auf die Gewalt der Mörder- Sippe noch mal in ein anderes Licht rückt. Lobenswert ist dieser Mut zur Variation auf jeden Fall- und immerhin auch sinniger als Michael Hanekes peinlich genaue, schnöde 1:1- Kopie seines eigenen Films, “Funny Games U.S.”, deren einzige Existenzberechtigung- neben der ermöglichten Freiheit des Regisseurs, in Detailfragen anders zu entscheiden- darin bestand, dass man einen Stoff, der bei seiner Erstaufführung in Amerika weitestgehend auf taube Ohren stieß, für das US- Publikum endlich zugänglich machen konnte.
Auf der schauspielerischen Ebene läuft bei “The Last House On The Left” alles im grünen Bereich ab. Der bekannteste Name auf der Besetzungsliste dürfte wohl Monica Potter sein. Die Mimin, die hier als Mutter mit Beschützerinstinkt rot sieht, ist Fans des Genres vor allem durch
Saw ein Begriff. Tony Goldwyn als Vater Collingwood sowie Garret Dillahunt als Psycho- Dad auf der Gegenseite vermögen mit starken Performances beim Zuschauer Eindruck zu schinden. Sara Paxton und Martha MacIsaac (letztere war im schlüpfrigen Gagfeuerwerk “Superbad” als Highschool- Schülerin mit von der Partie) fallen in der ersten Hälfte, bevor sie von Iliadis auf ihren brutalen Leidensweg geschickt werden, vor allem durch ihr entzückendes Erscheinungsbild und einigen “Körpereinsatz” auf.
Fazit: “The Last House On The Left”, die Neuauflage von Wes Cravens kontroversem Terrorfilm- Fanal aus den 70ern, ist zwar kein Genre- Glanzlicht wie zuletzt etwa Jonathan Levine`s stylish- retrospektive Slasher- Hommage
All the Boys love Mandy Lane und erfindet das Rad garantiert nicht neu, hebt sich aus der neumodischen Remake- Flut aber dennoch ziemlich wohltuend heraus und ist der selbstverliebten “Saw”- Reihe, die mittlerweile zum Auslaufmodell verkommen ist, in vielerlei Hinsicht um einiges voraus. Und obwohl Dennis Iliadis in dem Eifer, sich bei der Umsetzung seiner eigenen Visionen einige Freiheiten in Bezug auf die Grundlagen der nunmehr dreifach verfilmten Geschichte zu genehmigen, nicht immer den richtigen Ton trifft, gibt es an den fachlichen Qualitäten des Regisseurs ansonsten nichts zu meckern. Sein Film überzeugt mit dichter Atmosphäre, viel Spannung und einem ordentlichen Punch und ist somit auch für Kenner des Originals interessant.