„Brakes are death.“
Großstädter wissen es schon lange: die wirkliche Gefahr im Berufsverkehr geht nicht etwa von hochgetunten Karossen und ihren sich zum Teil doch arg überschätzenden Fahrern am Steuer aus, sondern von dem wahrscheinlich unscheinbarsten Teilnehmer am Straßenverkehr. Gestatten: der gemeine Fahrradfahrer. Perfekt getarnt als unmotorisiertes Individuum, ausgestattet mit lediglich zwei Rädern, ist gerade er es, der Autofahrern und Fußgängern tagein, tagaus mit riskanten Fahrmanövern die Sorgen- und Angstfalten ins Gesicht treibt. Denn wer bremst, hat schon verloren. Leise Erinnerungen werden wach an das Filmjahr 1958, in dem es bei Heinz Erhardt noch spitzbübisch „Immer die Radfahrer“ hieß. Jetzt, im Jahre 2012, folgt mit
„PREMIUM RUSH“ quasi die amerikanisch-kurzweilige Blockbuster-Variante hiervon, die sich diesmal jedoch einer noch weitaus gefährlicheren Unterart der Zweiradler annimmt: dem possierlichen Fahrradkurier.
Zu einer ganz besonderen Unterart dieser Spezies – nämlich jener der waghalsigen Bicyclisten, die ihre Kurierdienste in der New Yorker Verkehrshölle anbieten – gehört Wilee (Joseph Gordon-Levitt): Mit Vollgas und wortwörtlich ohne Bremsen stürzt er sich in jeden neuen Auftrag, gleichermaßen getrieben von der Sucht nach dem nächsten Adrenalinstoß und dem Ehrgeiz, seinen Status als Nummer 1 in seinem Job gegen jedwede Konkurrenz zu verteidigen. Doch der unschei
nbare Briefumschlag, den die junge Nima (Jamie Chung) ihm so zögerlich anvertraut, befördert den Draufgänger mitten hinein in eine rasante Verfolgungsjagd, welche selbst dem stresserfahrenen Tempo-Junkie den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Denn irgendwer will unter allen Umständen verhindern, dass diese Lieferung ihren Bestimmungsort erreicht – und Wilee muss seinen ganzen Mut, jedes Quäntchen Grips sowie sämtliches Muskelschmalz aufbieten, um die Katastrophe, auf welche er unausweichlich zusteuert, wenigstens ansatzweise heil zu überstehen...
Zugegeben, auch die Rezensenten hegten angesichts der Inhaltsangabe zunächst Zweifel, ob der Ansatz eines Actionfilms, der sich hauptsächlich um radelnde Akteure dreht, am Ende aufgehen würde. Denn viele Experimente der Vergangenheit sind, wie wir alle wissen, trotz guten Vorsatzes dann doch teilweise richtig schön in die Hose gegangen. Aber um allen Vorurteilen gleich vorweg den Wind aus den Segeln zu nehmen: Der ungewöhnliche Genrevertreter
„PREMIUM RUSH“ ist in seiner unkonventionellen Herangehensweise derart konsequent, dass alle Vorfeld-Zweifel schnell vergessen sind. Regisseur und Drehbuchautor
David Koepp macht nämlich erst gar keinen Hehl daraus, dass sein Fahrrad-Thriller als ein einziges filmgewordenes Alleinstellungsmerkmal durchgeht, und inszeniert in knapp anderthalb Stunden eine rasante Verfolgungsjagd, die ihrem eigenen Anspruch, eine unterhaltsame Action-Hatz zu präsentieren, mit einfachsten, wenngleich äußerst wirkungsvollen Mitteln genügt. Wenn Wilee vor brenzligen (Fahr-)Situationen in Gedanken die möglichen Konsequenzen durchgeht und dies dem Zuschauer mittels Richtungspfeilen und Crash-Test-Dummie-Momenten nahegebracht wird, verlässt
„PREMIUM RUSH“ mehr als einmal eingeradelte Pfade, nur um am Ende wieder seiner strikten Linie zu folgen. Wie ein Navigationssystem mit Zielprogrammierung umschifft der Film dabei mit Leichtigkeit jedes Klischee-Hindernis, das ihm zum absurden Action-Unfall „verhelfen“ würde – angesichts der irrwitzigen Grundidee beileibe keine Selbstverständlichkeit. Doch Koepp, seines Zeichens vielbeschäftigter Drehbuchautor in Hollywood, der bereits den „
Jurassic Park“ [1993] erfolgreich für die große Leinwand adaptierte, kann auf eine langjährige Erfahrung in der Traumfabrik zurückblicken und weiß daher schon ziemlich genau, was den Zuschauer 90 Minuten lang bei der Stange hält.
Koepps wirkungsvollster Trumpf ist dabei sein Hauptdarsteller respektive die durch ihn zum Leben erweckte zentrale Figur des Films: Ein wenig zu sehr von sich selbst überzeugt, ein bisschen mehr den Draufgänger spielend, als man ihm abnehmen möchte, und ganz gewiss nicht ohne Makel entpuppt sich Wilee alias
Joseph Gordon-Levitt („Hinterm Mond gleich links“ [1996-2001], „
The Dark Knight Rises“ [2012]) nichtsdestotrotz bereits nach wenigen Filmminuten als Paradebeispiel für den charismatischen Helden, mit welchem das Publikum trotz oder gerade wegen seiner Unvollkommenheit nur allzu gern mitfiebert. Jubelnd über jedes Schnippchen, welches der erstaunlich gut konstituierte Haudegen auf zwei Rädern dem bösen Buben schlägt, wird der Zuschauer in die wahnwitzigen Verfolgungsjagden mitgerissen, eine Atempause nur selten in Sicht. Hier ist endlich einmal wieder ein echter Sympathieträger am Werk, bei dem man sich aus vollem Herzen wünscht, er möge letztlich den Sieg in diesem nicht nur ungleichen, sondern höchst unfairen Zweikampf davontragen. Gleichzeitig darf einer weiteren Leidenschaft gefrönt werden, die unter Kinozuschauern weit verbreitet ist: Denn
Michael Shannon[ („Take Shelter“ [2011]) verkörpert einen Bösewicht, den zu hassen dem Publikum wahrhaftig ein Vergnügen sein dürfte. Seine Figur ist manisch in ihrem Bestreben und zugleich von äußerst tragischer Natur, wenn allmählich die Hintergründe für sein Handeln ans Tageslicht gelangen. Shannon schultert diese Doppelbelastung beinah mühelos und sorgt mit seiner gelungenen Charakterisierung eines zerrissenen Cops dafür, dass diese Rolle, die nur allzu leicht zur Parodie hätte verkommen können, auch noch nach dem Abspann in guter Erinnerung bleibt. Und
Dania Ramirez (Maya Herrera in „
Heroes“ [2007–2008]), Hollywoods heißgehandelter Newcomer, sorgt nebenbei für eine gesunde Portion Eye-candy. Ja, so kurzweilig können 91 Minuten sein!
Fazit: Anschnallen!
„PREMIUM RUSH“, David Koepps Action-Thriller auf zwei Rädern, ist kurzweilig-ungewöhnliche Action-Unterhaltung mit hohem Tempo, rasanten Stunts und einer packenden Geschichte, originell zusammengeschnürt zu einem ordentlichen Paket, das einem in dieser Form bisher wohl noch nicht untergekommen ist. Return to sender? Ganz im Gegenteil. Denn diese überraschende Lieferung nimmt unsereins doch gerne an.