Spätestens seit der Neuauflage des Gruselklassikers „Die Fliege“ von 1986 dürfte der Name David Cronenberg auch dem Mainstream-Publikum geläufig sein. Allerdings hat sich der kanadische Regisseur bereits mit seinen vorherigen Low-Budget-Projekten eine treue Fangemeinde aufbauen können, die sich in die bizarr-intelligenten Horrorwelten von „Scanners“ (1981) oder „Videodrome“ (1983) hineinziehen ließ.
So gehört dessen Frühwerk „Die Brut“ nach subjektiver Meinung des Rezensenten neben der monströsen William S. Burroughs-Verfilmung „Naked Lunch“ (1991) zum Besten, was Cronenberg bisher auf Zelluloid gebannt hat – und zwar ein ganzes Stück vor den sogar von der
Academy gewürdigten Dramen „A History Of Violence“ (2005) und „
Tödliche Versprechen (Eastern Promises)“ (2007).
Warum das so ist? Weil der genannte Film zugleich harter Horrorschocker und fesselndes Familiendrama ist, je nachdem, wie tief der Zuschauer von der oberflächlichen Bildebene abweichen mag. Wenn man sich tiefer in die Geschichte vorwagt, spürt man, dass der Regisseur selbst mit den persönlichen Dämonen gekämpft hat, die er auf der Leinwand heraufbeschwört. Das, was einen in den 90 Minuten Spieldauer erwartet, ist abgründig und kompromisslos – wie di
e Realität, verschleiert in einem filmischen Albtraum.
Eine zerrüttete Familie steht im Mittelpunkt von „Die Brut“.
Während der Vater Frank Carveth (Art Hindle) um das Sorgerecht für seine kleine Tochter Candice (Cindy Hinds) kämpft, befindet sich seine Frau Nola (Samantha Eggar) in psychiatrischer Behandlung bei dem zwielichtigen Dr. Hal Raglan (Oliver Reed), in dessen abgelegenen Sanatorium sie wie in einer Festung von Besuchern abgeschirmt wird. Frank entdeckt an Candices Körper nach den Besuchen bei ihrer Mutter am ganzen Körper blaue Flecken und möchte seine Tochter ein für allemal vor den offensichtlichen Misshandlungen schützen.
Als er aus terminlichen Gründen Candice bei seiner Schwiegermutter Juliana (Nuala Fitzgerald) zur Aufsicht lässt, geschieht etwas Grauenvolles: Juliana wird von einer kleinen Gestalt in roter Regenjacke mit einem Fleischhammer erschlagen. Der geschockte Frank nimmt mit Julianas Mann Barton (Henry Beckman) Kontakt auf, der nun herausfinden will, was hinter den Mauern der Anstalt wirklich mit seiner Tochter vorgeht und wer für den Mord an seiner Frau verantwortlich ist.
Bald wird klar, dass das von Dr. Raglan streng gehütete Geheimnis unliebsamen Beteiligten den Tod bringt, und sich sogar die junge Candice in Lebensgefahr befindet…
Oft fällt in Zusammenhang mit den Werken von David Cronenberg der Begriff
Body-Horror, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass in vielen Filmen des Regisseurs die Körper der Protagonisten diverse Mutationen erleben („Rabid“, „Die Fliege“) oder sogar mit der modernen Technik völlig verschmelzen („Videodrome“, „eXistenZ“). Allerdings würde es eindeutig zu weit führen, dessen Outputs auf dieses zugegebenermaßen markante Stilmittel zu reduzieren.
Auf diese Weise würde man gerade im Fall von „Die Brut“ den Horroraspekt der Geschichte in den Vordergrund rücken, ohne die Tatsache wahrzunehmen, dass Cronenberg darin in erster Linie auf fantastische Weise die Trennung von seiner damaligen Frau, die nach dessen Angaben einige Eigenschaften mit Nola Carveth teilt, und den Kampf um das Sorgerecht für ihr gemeinsames Kind verarbeitet. Betrachtet man das Resultat, ist die Menge der in den Film eingeflossenen, unverfälschten Emotionen mutig – schließlich zeichnet sich vor allem das Ende der Geschichte durch eine bittere Konsequenz aus, die wohl nicht jeder Künstler quasi roh seinem Publikum (und damit wahrscheinlich auch dem persönlichen Adressaten) servieren würde.
Um das Szenario auch für Außenstehende (sprich: die Zuschauer) zugänglich zu machen, sind natürlich Schauspieler nötig, die eine Identifikation ermöglichen. Art Hindle, der aktuell auch in der Jack Ketchum-Verfilmung „
Offspring“ zu sehen ist, verkörpert Frank Carveth sehr glaubwürdig als bodenständigen, besorgten Vater. Doch auch Samantha Eggar („Der Fänger“) als dessen psychotische Frau und Oliver Reed („Gladiator“) als der unorthodoxe Dr. Raglan überzeugen völlig und zeigen, dass David Cronenberg bereits in seiner Frühphase ein gutes Auge auf seine Besetzung hatte.
Natürlich sind es nicht nur die Darsteller und das Drehbuch, die aus dem Schocker mehr als einen typischen Exploitation-Ableger jener Zeit machen:
Für die musikalische Untermalung zeigt sich mit Howard Shore ein ständiger Begleiter Cronenbergs verantwortlich, der hier die zum Stoff passenden, bedrohlichen Töne getroffen hat und so maßgeblich zur dichten Atmosphäre beiträgt.
Auch Kameramann Mark Irwin, mit dem der Regisseur auch bei einigen späteren Filmen zusammengearbeitet hat, schafft es durch interessante Perspektiven Spannung zu erzeugen, wobei als Beispiel besonders der Mord an Franks Schwiegermutter in der Küche genannt sein soll. Hier wird der direkte Blick auf den Täter geschickt vermieden, getreu dem effektiven Gänsehaut-Motto: „Das Grauenvollste ist das, was wir nicht sehen.“
Leider wird eben dieses Credo heutzutage nur noch selten befolgt, und so gibt es inzwischen immer mehr billige
CGI-Monster auf der großen Leinwand zu „bewundern“…
„Die Brut“ ist definitiv ein unglaublich guter – wenn auch wenig bekannter – Vertreter der alten, ernsthaften Horror-Schule. Selbstverständlich dürften Action-Kids und Splatter-Fans in Anbetracht der ruhigen Erzählweise sehr bald das Weite suchen (das Mainstream-Publikum wohl ohnehin), aber die etwas anspruchsvollere Genre-Gemeinde sollte sich den wahrscheinlich persönlichsten und zugleich gruseligsten Output Cronenbergs nicht entgehen lassen.
US-Kritiker-Guru Roger Ebert hat das Werk seinerzeit in der
Chicago Sun-Times als „trash“ bezeichnet…allerdings steht da auch noch, dass er „the purpose of this film“ nicht kenne.
Zum Glück sind Geschmäcker verschieden…