“Technisch gesehen gibt es in dem Film nichts, was die Leute nicht schon zuvor gesehen haben, wenn man sich Szene für Szene anschaut. Aber es ist etwas anderes, es ist die Art und Weise, wie es gemacht ist und die Verbindung und der Kontext, die dem Ganzen diese Seltsamkeit verleihen.“
So äußerte sich der Regisseur/Drehbuchautor/Produzent David Cronenberg bezüglich seines bis heute noch umstrittensten Film, nicht ganz frei von zynischer Schadenfreude über die von Kritikern angebrachten Vorwürfe der Pornografie, Stumpfsinn, Fehlen bzw. Nicht-Vorhanden-Sein von Dramaturgie und immerwährende Wiederholungen von Handlungselementen. Englische Kritiker bezeichneten „Crash“ als „krank und bösartig“ und in London wurde die Aufführung kurzum verboten. In Italien forderte eine Filmkritikerin Cronenberg sogar auf, den in Cannes verliehenen Spezial-Jurypreis (nämlich für die „künstlerische Originalität, Innovation und Waghalsigkeit“) wieder zurück zu geben.
Diese weltweite Resonanz veranschaulicht tatsächlich ziemlich gut wie schwierig und schwerverdaulich Cronenbergs „Crash“ in der Rezeption ist. Die eigentliche Komplikation entsteht beim Zuschauer, der Filme nach filmkulturell geformten Seherfahrungen und Kategorisierungen konsumiert. Cronenberg verwehrt uns mit seinem Film aber nicht nur eine mögliche Identifikationsperson, sondern konfrontiert zudem noch mit extrem provokanten Themen wie Sex, Fetisch und Gewalt – und d
as ganze in beeindruckend perfekten, kalt-metallenen Bildern.
Die eigentliche Rahmenhandlung von „Crash“ bildet eine festgefahrene, höhepunktarme Beziehung zwischen Filmproduzent James Ballard (James Spader) und seiner Ehefrau Catherine (Deborah Kara Unger). Dies verdeutlicht der Beginn des Films, indem man zunächst Zeuge dreier Sexualakte wird. Im ersteren lässt sich Catherine von ihrem Fluglehrer in einem Flugzeughanger direkt auf dem sauberen, glänzenden Lack eines Flugzeugs von hinten verwöhnen, im drauffolgenden taucht James hinter dem entblößten Gesäß seiner Kamerafrau auf, um noch vor dem Dreh der nächsten Szene eine schnelle Nummer in einer Geräteabstellkammer zu schieben. Fast schon erstaunlich ist dabei, dass im dritten Sexualakt James sich mit Gattin Catherine vereint – in einer sehr künstlich-arrangierten, intimlosen Szene draußen am Balkongeländer des Appartements. Beide leiden unter der unpersönlichen und ereignislosen Routiniertheit ihrer Ehe, das auch dem Sex die Luft aus den Segeln genommen hat. Beide erzählen einander ohne jegliche Reue von den außerehelichen Seitensprüngen, nur um dabei festzustellen, dass beiden kein freudenvoller Höhepunkt vergönnt war.
James hat sich mit dieser farblosen Oberflächlichkeit der Beziehung zu seiner Ehefrau abgegeben, denn schließlich gestaltet sich sein Arbeitsalltag als Filmproduzent auch nicht ereignisreicher, bis er eines Tages auf dem Nachhauseweg durch eine Unachtsamkeit auf die Gegenspur abkommt und einen Frontalzusammenstoß mit einem anderen Auto verursacht. Ironischerweise studierte er gerade die Planung eines Werbespots für „Sicherheit im Verkehr“, als ihm die Unterlagen aus den Händen fielen und er beim Aufheben der Papiere den Blick von der Straße nahm.
In der Folge des Aufeinanderpralls wird der unangeschnalte Autofahrer des Gegenfahrzeugs durch die Windschutzscheiben beider Autos geschleudert und landet kopfvoran auf James’ Beifahrersitz. Der Mann verstirbt an Ort und Stelle.
Dieser erschütternde Zusammenstoß bewirkte eine radikale physische und psychische Wandlung des Protagonisten. Durch die Wucht des Aufpralls waren die Knochen von James’ Oberschenkel derart zertrümmert, dass im Krankenhaus eine implantierte Schiene an die Oberschenkelknochen angeschraubt werden musste. Neben den kolossalen physischen Schäden an seinem Körper wird James im Krankenhaus mit dem Tod des anderen Autofahrers, den er mit seinem Fahrzeug umbrachte, und die Verwitwung von dessen Frau, Helen Remington (Holly Hunter), konfrontiert.
Trauer und Selbstvorwürfe sind James aber fremd, vielmehr interessiert sich der Fernsehproduzent für den genauen Ablauf und die Folgen des Unfalls, insbesondere was mit seinem geschroteten Auto passiert ist.
Bis zu diesem Moment kann man die Handlung zwar als eigenartig aber nachvollziehbar bezeichnen, was hierauf folgt ist ein perfide konstruierter, sexuell-konnotierter Autocrash-Fetisch, entsprungen aus der Fantasie des Schriftstellers James G. Ballard, die der Regisseur David Cronenberg mit kühlen, perfekten Bildern visualisierte.
Im Krankenhaus wird der Filmproduzent und die geknickte Witwe Helen scheinbar zufällig durch den Arzt und Wissenschaftler Vaughan (Elias Koteas) zusammengebracht. Der in einen Kittel gekleidete, dunkelhaarige, sehr einnehmende, doch auch irgendwie unheimliche, von Schrammen und Narben im Gesicht übersähte Mann kann sein Interesse für die vom Unfall missgestalteten Körperstellen von James kaum verbergen und untersucht diese mit geradezu wissenschaftlicher Präzision. Von Vaughan springt die grenzenlose Faszination zu verformtem, verunstaltetem Fleisch auf eigentümliche Weise auch auf James über.
Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus sucht James als erstes sein deformiertes Auto auf. An einem Schrottplatz trifft der mittlerweile schon fast komplett genesene Filmemacher bei seinem nun mehr total fahruntüchtigen Auto auf die Witwe Helen, die ebenfalls ihr komplett zerstörtes Automobil sucht, und die ursprüngliche, von Hass dominierte Distanziertheit zwischen den beiden schlägt, über die Faszination zur entstellten Physiognomie von James schrottreifem Auto katalysiert, in sexuelle Begierde um. James und Helen fallen wie wild übereinander her.
Die der Crash-Beteiligung und der sexuellen Triebbefriedigung anheim liegende Charakter, die bestehende Ordnung und die Gesetze zu übertreten, sowie das gemeinsame intensive Durchleben und Überleben eines Frontalzusammenstoßes schweißt Helen und James zusammen. James wurde mit einem Knall aus seinem alltäglichen Leben herausgerissen und geht nun mit Helen der fetischistischen Faszination von morbider Verbindung von Auto und Sex nach. James hatte mit seinem Auto Helens Mann umgebracht und umso perfider und unstatthafter ist nun der Gedanke mit der Frau des Getöteten in einem Auto von selben Modell wilden Sex zu haben, der brutal, wild und genauso energie-entladend sowie flüchtig abläuft wie der kürzlich erlebte Unfall.
Auf einer illegalen Crash-Vorführung, einer Nachstellung des wohl bekanntesten Autozusammenstoßes der Filmgeschichte, in welchem einer der größten Rebellen des Films verstarb – James Dean – begegnen die zwei zum zweiten Mal dem vermeintlichen Wissenschaftler Vaughan. Dieser inszeniert mit zwei anderen Stuntfahrern den James Dean Crash in minutiöser Genauigkeit direkt vor einer auf einer Tribüne versammelten, sensationsgierigen Menschenmenge. Das Eingreifen der Behörden lässt daraufhin Vaughan und seine Komplizen die Flucht ergreifen, unter denen sich nun auch James und Helen befinden.
Mit Vaughan hat das neu gebildete Paar einen Meister und Mentor gefunden. Vaughan fördert nicht nur die Auslebung der Sexualität im Fahrzeug, sondern okkultisiert auch die Maschine mit einer subversiven Ideologie. Denn der weitere logische Schritt für Vaughan zum Maschinenkult und dem sexuellen Appeal von Crashs ist die sexualisierende Wirkung von maschineller Verformung auf den menschlichen Körper. Vaughan geht sogar noch weiter, indem er behauptet ein Crash hätte nicht eine destruktive, sondern höchst erregende Wirkung auf den Menschen.
Um Vaughan scharen sich drei andere Abtrünnige der Gesellschaft. Da ist zunächst der bereits am James Dean Crash beteiligte Stuntfahrer und Vaughans Partner Colin Seagrave (Peter MacNeill), dem das Sensationelle und Verbotene am Nachstellen von prominenten Autounfällen den ultimativen Kick gibt. An seiner Seite ist seine mittels Drogen sedierte, unscheinbare Frau Vera (Cheryl Swarts) und Vaughans Geliebte Gabrielle (Rosanna Arquette), die von der Ideologie ihres großen Idols am meisten aufgesogen hat und auch das mit ihrem krüppelhaften Äußeren und dem maschinellen Ganzkörperkorsett, welches ihren total zerschnittenen und zerfetzten Körper zusammenzuhalten scheint – die erste komplette Symbiose von Fleisch und Metall.
Vaughan hat mit seiner überzeugenden, ideologisch-aggressiven Art, seinen zahlreichen fotografisch dokumentierten Unfallalben, in denen er auch sämtliche Crashs seiner Jünger archiviert hat, außerdem durch die geschickte Schaffung des Kults um den Autocrashfetischismus (ein äußerst groteskes Beispiel ist wohl das Video von wissenschaftlichen Autocrashtests, in denen die Crash-Dummies die Menschen replizieren, und das in ihrer Bildhaftigkeit und mit den Zeitlupenaufnahmen von deformierten Autokarosserie wie ein Porno die sexuelle Erregung der vor dem Fernseher versammelten Mitstreiter von Vaughan stimuliert) James schnell überzeugt und zu einen überzeugten Jünger gemacht.
Auf diversen Ausflügen in Vaughans in mehreren Unfällen verwickelten Cabrio nimmt James immer mehr die Utopie dieses selbst-ernannten Propheten an – der Crash ist nunmehr kein destruktiver, sondern ein sexuell stimulierender Prozess. James verfällt dabei nicht nur ideologisch, sondern auch sexuell immer tiefer Vaughans Ideologie bis sich sein Leben nur noch um die Triebbefriedigung dreht und er Catherine in den neuen Kult mit einbezieht.
David Cronenbergs „Crash“ lässt sich kaum mit einem anderen Film oder einer anderen inszenatorischen Idee vergleichen, als vielleicht seinen eigenen. Vom Prinzip her funktioniert „Crash“ eigentlich wie der kafkaeske „Naked Lunch“ aus dem Jahre 1982. Ohne jegliche Vorwarnungen, eigentlich nur durch den unvermeidbaren Verlauf der Geschichte wird der Protagonist aus der für uns Zuschauer bekannten Realität herausgerissen und in eine komplett fremde, perverse, skurrile Welt voller Gewalt, Triebbefriedigung und Sex entführt. Während in „Naked Lunch“ die berauschende Wirkung von Ungezieferpestiziden den Eingang in die neue Welt eröffnete ist es in „Crash“ die intensive Erfahrung eines Unfallhergangs und die daraus resultierenden, deformierenden Folgeschäden am menschlichen Körper wie an der Psyche, die den Protagonisten James in einen neuen Kult und neue Erfahrungswelt einführt. Cronenberg macht es seinem Publikum nicht leicht, die Wandlung nachzuvollziehen. Die den Film durchwegs präsente Affinität zur Gewalt des Unfallszenarios und die sexuelle Auslebung von Fahrzeugfetischismus kann auf den Zuschauer sehr verzerrt und konstruiert wirken, der durch die Passivität des Protagonisten auch noch allein gelassen wird mit diesen kontroversen Empfindungen.
Dennoch: die Schauspieler geben sich sehr minimalistisch aber tiefgründig und lassen für den Film tatsächlich sämtliche psychische und physische Hüllen fallen, insbesondere James Spader, der zwei Jahre zuvor in Roland Emmerichs Science-Fiction-Blockbuster „Stargate“ (1994) als talentierter Wissenschaftler und Sprachforscher weltberühmt wurde, aber auch in äußerst provokanten, sexuell freizügigen Filmen wie Steven Sonderbergs „Sex, Lügen und Video“ (1989) und in dem den Sadomaso-Fetisch thematisierenden „Secretary“ (2002) zu überzeugen wusste. In „Crash“ bringt Spader immer dann den größten schauspielerischen Beitrag, wenn er nichts sagt und die Ausdrucksstärke seiner Rolle mit seiner Mimik transportiert.
Sein Konterpart, der griechischstämmige Elias Koteas, der den aggressiven, sexsüchtigen und philosophisch-intellektuelisierenden, bisexuellen Crash-Fetischisten Vaughan mimt, schafft es in den Momenten seiner Erscheinung im Film immer ein unangenehmes Schauergefühl und Alarmiertheit am Zuschauer zu vermitteln. Ansonsten überzeugt er immer als die Führerpersönlichkeit und “mad scientist“.
Cronenbergs weibliche Darsteller nehmen in „Crash“ eindeutig zweitrangige und untergeordnete Plätze als indirekt Beteiligte und passive Mitspieler ein, was ziemlich schade ist, denn der Kontrast von weiblicher Verletzbarkeit und der brutalen Crash-Erfahrung wäre eine weitere Bereicherung des Plots gewesen. Vielleicht aber sollte diese Beanstandung eher an James G. Ballard adressiert werden; dessen gleichnamiger Roman diente nämlich als Vorlage für den Film.
„Crash“ wäre wahrscheinlich als ein ganz gewöhnlicher, mittelmäßig gelungener und bald schon wieder vergessener Versuch abgetan gewesen, einen provokanten, gesellschafts- und technikkritischen Roman zu verfilmen, wäre er nicht voller symbolhafter und subtiler Bildersprache, eben typisch Cronenberg, die nicht nur inhaltlich herausfordert sondern auch durch die kühle, entemotionalisierte, metallische Optik konfrontiert. Peter Suschitzky findet mit seiner Kamera sehr beeindruckende Perspektiven, schafft es trotz häufigen Einsatzes von Nahaufnahmen eine eigenartige Distanz zu den Akteuren zu erzeugen. Zudem gelingt Suschitzky im Film das Tempo in den hitzigen Autojagdszenen sowie den spektakulären Crash-Szenen in gekonnter Art auf 180 zu jagen, um dieses dann im nächsten, schalen Moment des Plots in fast kompletten Stillstand zu versetzen. Der von Howard Shore lakonische, in der Thematik immer wieder kehrende Soundtrackscore, der hauptsächlich aus düsteren Elektrogitarren-Klängen besteht, macht die Gesamterfahrung noch kälter, steriler und künstlicher.
Insgesamt kann man dem Zuschauer für „Crash“ nicht wirklich eine Empfehlung aussprechen. Die Rezeption setzt sich zusammen aus Faszination bezüglich der ungewöhnlichen Inszenierung, aus Ekel gegenüber den entemotionalisierten, profanen, kalten Sexszenen und aus Bestürzung über die Entwicklung und Formung des ohnehin passiven und identifikationsarmen Protagonisten.
Aber gerade diese abstoßenden Elemente von „Crash“ machen den Film zu einer persönlichen Herausforderung und zu einem einmalig-brillanten Beitrag aus filmhistorischer, unsere Gesellschaft und Technisierung reflektierender und ethischer Perspektive.