(Start: 07.02.)
Vielleicht muss man es sich so vorstellen. Ein verzweifelter Truckerfahrer, der sich die Haare rauft: „Ich kriege nie die 50 Tonnen Kunstblut pünktlich geliefert, wenn diese Irren jedes Mal aus dem Gebüsch stürmen und mich überfallen.“ Ja, so oder ähnlich wird
Saw gemacht, auch der mittlerweile vierte Teil macht da keine Ausnahme. Nachdem die wichtigste Zutat für Horrorfilme sichergestellt wurde, schwärmen die Drehbuchautoren in die örtliche Nervenheilanstalt (Abteilung für Gewaltneurosen). Dort hält man ein Mikro in die Runde und schreibt alles auf. So oder ähnlich könnte es sein.
Diese Reihe entwickelt sich zu einer modernen Variante von
Freitag der 13.“.
Saw 3 begann, wo
Saw 2 endete. Und der vierte Teil wiederum ist zeitlich mit dem dritten verknüpft. So war es auch bei den berüchtigten Blockbustern, in denen der psychopatische Axt- und Messermörder Jason Voorhees Hormon gesteuerte Teenager abmurkste. Und wenn eine neue Runde anstand, wurden im Vorspann noch einmal die schönsten Meucheleien aus dem Vorgängerstreifen über die Leinwand gejagt. Wie in einer Daily Soap. Da muss man den Zuschauer auch daran erinnern, was er gestern gesehen hat.
In
Saw 4 ist der Jigsaw-Killer endgültig tot; der moralische Mörder, unheilbar erkrankt, der seine undankbaren Opfer doch nur an das kostbare Geschenk des gesunden und glücklichen Lebens erinnern wol
lte. Ein neuer Unbekannter scheint sein Erbe antreten zu wollen. Er entführt den ermittelnden Polizisten Rigg (Lyriq Bent) und verwickelt ihn in ein neues Spiel auf Leben und Tod, bei dem die Opfer von monströsen Mordapparaturen zerquetscht oder in tausend Teile gerissen werden. Jede einzelne Station wird für Rigg zu einer moralischen und mentalen Probe – am Ende ist das Jenseits immer um eine Seele reicher. Und das Spiel mit Identitäten und Zeitebenen wird natürlich bis zum Schluss offen gehalten.
Was auf den ersten Blick wie halbwegs kreative und ingeniöse Erzählkunst aussehen mag, entpuppt sich schnell als Fassade. Denn wenn man die kleinen Verwirrspiele wegnähme, bliebe nur eine morbide Metzelparty übrig. Deren einziger Sinn darin zu bestehen scheint, Menschen möglichst kreativ, sadistisch und spektakulär um die Ecke zu bringen. Regisseur Darren Lynn Bousman, der auch
Saw 2 -3 zu verantworten hat, scheint zunehmend unter Einfallslosigkeit zu leiden. Die gesamte erste Szene bringt er damit zu, Jigsaws Leiche von den zuständigen Gerichtsärzten sezieren zu lassen. Und was dem Zuschauer den Schweiß auf die Stirn treibt, ist keine Spannung, sondern Bousmans exzessive Lust an Ekel und forensischem Fetischismus. Mit Wonne begleiten Kamera und Mikrophon jeden einzelnen Schnitt in den Körper, die Schädeldecke kullert auf den Tisch, die Brust wird geöffnet unter unaussprechlichem Geräusch. Im Finale wird jemandem mit zwei riesigen Eisblöcken der Kopf zertrümmert. Brutalität als Obsession und Selbstzweck. Ein Prinzip, für das man nicht umsonst den Begriff ‚Torture-Porn’ kreierte. Dieser Leinwandschmodder, der sich keinen Deut um innere Spannung oder empfindliche Mägen schert, wird zweifellos ein Erfolg. Solche geschickt getarnte Einfallslosigkeit kommt immer an.
Da hilft auch der lausige Versuch der Psychologisierung per biographischer Spurensuche wenig. Rückblenden erzählen die Geschichte des Jigsaw Killers, der einmal ein normaler Bürger war, an Krebs erkrankte; der eine Frau liebte, ein Kind mit ihr haben wollte, aber das Schicksaal wollte es ja anders. Dann wird es finster in seinem Kopf und die ersten blutigen Ideen kreisen im Hirn. Die Genese eines Massenmörders. Das ist nun beileibe nichts, was auch nur im Entferntesten originell zu nennen wäre. Aber es ist trotzdem erstaunlich, wie schrecklich gleichgültig man gegenüber menschlichen Dingen wird in diesem Film, der nichts als stählerne Kälte und Bösartigkeit ausstrahlt. Auch die drollige Idee, einen der FBI-Agenten von Scott Patterson spielen zu lassen, diesem sympathischen Lucky Diner-Bruce Springsteen aus den
Gilmore Girls, reißt es nicht raus. Nicht wirklich.
Wer jetzt die Nase rümpft und sich Polanski oder Carpenter zurück ins aktuelle Geschehen wünscht, muss tapfer sein. Denn es ist noch lange nicht Feierabend. Die letzten Szenen lassen keinen Zweifel daran, dass uns bald die nächste Fortsetzung ins Haus steht. Außerdem ist
Saw 1-3 die bislang rentabelste Trilogie der Horrorfilmgeschichte. 400 Millionen Dollar an den Kinokassen! 13 Millionen verkaufte DVDs! Wenn der Erfolg anhält, wird den Machern auch nach Teil 5 wohl kaum die Lust am Geldverdienen vergehen. Oder, wie es in einer Kurzgeschichte von Stephen King heißt: „Was sonst sollte man nach ‚Frankenstein’ machen, wenn nicht ‚Frankensteins Braut’?“ Eine einzige, blutige Endlosschleife, die sich da ankündigt.
Der große Erfolg scheint symptomatisch zu sein für ein Genre, dass seit eh je davon lebt, sich in den eigenen Schwanz zu beißen. Das seit fast zehn Jahren so gut wie nichts anderes mehr zu bieten hat als dreiste Nachmacherei. Kreischende Zombies und schwarzhaarige Geisterkinder. Hektische Stroboskopeinstellungen und brüllend laute Soundeffekte. Da wirkte der erste Teil von 2004, noch von James Wan inszeniert, fast wie eine Wohltat. Ein blutiges Kammerspiel, durchaus auch ekelhaft. Aber die Idee, zwei Fremde gegeneinander aufzuhetzen und sie in ein derart mörderisches Spiel zu verwickeln, war gut und hatte psychologische Raffinesse. Seit Bouseman im Regiestuhl sitzt, läuft die Reihe auf Autopilot. Aber solange der Titel ein Garant für volle Kinokassen ist, werden die Hersteller von Kunstblut das Wort ‚Konjunkturkrise’ wohl nicht kennen lernen.