(Frankreich / Algerien, 1969)
„Sie haben die Macht, sie können uns überwältigen, aber sie können die gesellschaftlichen Prozesse nicht durch Verbrechen und nicht durch Gewalt aufhalten. Die Geschichte gehört uns und sie wird durch die Völker geschrieben."
(Salvador Allende, letzte Radioansprache vor seiner Ermordung)
„Name, Vorname, Beruf!“
Und noch mal: Name, Vorname, Beruf!
Nüchterne Worte. Aber sie symbolisieren das Wanken eines korrupten Regimes. Wenigstens in der Filmversion von Constantin Costa-Gavras. Sie spielt in einem geteilten Europa, das in den Sechzigerjahren noch unfriedlicher war als heute.
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte den großen Kampf der Systeme. Auch die meisten Diktatoren kleinerer Nationen bekamen ihre Weihnachtspostkarten entweder aus dem Kreml oder dem Weißen Haus und der Downing Street Nr. 10. Margaret Thatcher veranstaltete gerne Teestunden mit Augusto Pinochet, ein Faschist vor den Gnaden des Westens. Und an Beispielen wie Chile kann man die bittere Lektion lernen, dass Menschenrechte im Zweifelsfall egal sind. Hauptsache die Systemfrage wurde zufriedenstellend geklärt. Und, dass ‚freie Märkte’ keine Demokratie garantieren (auch wenn Hans-Olaf Henkel wohl bis zum bitteren Ende das Gegenteil behaupten wird).
Auch Griechenland erlebte unter dem Obristenregime eine Episod
e der Militärdiktatur. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges war das Land gespalten zwischen Kommunisten und konservativen Royalisten, die entweder von der Sowjetunion oder den USA und Großbritannien unterstützt wurden. 1949 entschieden die Konservativen den Kampf für sich, die Westmächte freuten sich. Am 22. Mai 1963 wurde der Oppositionspolitiker und Pazifist Grigoris Lambrakis bei einer Demonstration von zwei Rechtsextremisten ermodertet. Regierung und Militär versuchten den Vorfall herunter zu spielen, doch durch die Ermittlungen des jungen Untersuchungsrichters Christos Sartzetakis wurde ein Komplott zwischen Militär und regierungstreuen Handlangern aufgedeckt. Das Attentat galt als Beginn einer Phase, in der das restriktive Regime unter Konstantin Karamanlis seine Schwäche in der Staatsführung nicht mehr verbergen konnte. Im November 1963 wurde die konservative Regierung erstmals von einer linken Opposition abgelöst. Doch nur vier Jahre später, am 21. April 1967, übernahm das Militär durch einen Putsch die Kontrolle. Die Diktatur dauerte sieben Jahre.
Costa-Gavras Film von 1969 nimmt sich die Geschichte und den darauf basierenden Tatsachenroman
Z von Vassillis Vassilikos zum Vorbild. Das Wort Griechenland fällt kein einziges Mal, doch die Parallelen sind offensichtlich. Denn, so heißt es bereits im Vorspann: „Übereinstimmungen mit real existierenden Personen und Ereignissen sind gewollt“.
Auch andere politische Referenzen liegen offen auf dem Tisch. Auf der einen Seite steht eine Militärdiktatur mit antikommunistischer Prägung, ein zerrissenes Land mit teilweise zensierter Presse und einer unterdrückten und bespitzelten Opposition. Die sammelt sich vor allem im linken Lager. Die erste Hälfte des Films zeigt den Kampf eines kleinen Häufchens Widerständler und Studenten, die verzweifelt versuchen einen Versammlungssaal für eine Friedenskundgebung zu finden, doch ihre Versuche werden von allen Seiten sabotiert. Schließlich bekommen sie einen viel zu kleinen Saal zugewiesen, der auch noch von wütenden Gegendemonstranten umzingelt wird. Ein namentlich nicht genannter Professor und Friedensaktivist (Yves Montand), der Starredner des Abends, wird Opfer eines Mordanschlags.
In der zweiten Hälfte gehen ein Untersuchungsrichter (Jean-Louis Trintignant) und ein Journalist (Jacques Perrin) den Umständen des Anschlags auf den Grund, der von offizieller Seite als Unfall verkauft wird. (Auch sie bekommen vom Drehbuchautor, niemand geringerem als Jorge Semprun, keinen Namen zugewiesen.) Alle Versuche, die beiden in ihren Ermittlungen zu behindern, können nicht verhindern, dass zum Schluss ranghöchste Offiziere und Staatsoberhäupter einen Prozess bekommen.
Z, der 1970 den Oscar in der Kategorie „Bester nichtenglischsprachiger Film“ erhielt, ist eine Blaupause des Politthrillers und des politisch engagierten Films. Zeitgenössische Kritiken beschreiben ihn als "hochemotional" und "teilweise polemisierend" (Lexikon des Internationalen Films). In der Tat liegen die Sympathien des Regisseurs auf Seiten der Linken, und davon hat sein Film viel abbekommen. Man sieht ausschließlich Gewalttaten der reaktionären, regierungstreuen Gegenbewegung, die an ausschließlich friedlichen Linken begangen werden. Bei denen wird die Anwendung von Gewalt zwar diskutiert (typisch Studenten), aber auch immer wieder verworfen.
Doch im Gegensatz zum heute bekannten, engagierten, emotionalisierenden Empörungskino, zum Beispiel Alan Parkers
Mississippi Burning (1988) oder Steven Spielbergs
Schindlers Liste (1993), nimmt sich
Z heute fast zurückgenommen aus. Nicht unbedingt sachlich, aber doch sehr auf das Wesentliche konzentriert. Costa-Gavras baut auf natürliche Spannung, die in der Authentizität der (wahren) Ereignisse liegt. Damit gibt er die Tradition vor, in der andere Genreklassiker wie Alan J. Pakulas
All the President´s Men (
Die Unbestechlichen, 1976) stehen. Natürlich gibt es ‚Action’ - Schlägereien und Mordanschläge auf die Protagonisten, aber das dient nicht dem Thrill, sondern der Konstitution des Gesamtbildes.
Und das ist das Bild einer Diktatur, die mitunter sehr lebensnah eingefangen wurde, manchmal auch die Grenze zur Stereotypisierung überschreitet. Hohe Offiziere tragen dunkle Sonnenbrillen und schlendern in ihren mit Abzeichen übersäten Uniformen wie Paradeochsen durch die Szenerie. Helfershelfer des Staatsapparates, Mitglieder einer ominösen Arbeitervereinigung, die von der Regierung bezahlt und unterstützt werden, sind tumbe Haudraufs oder verschlagene Wiesel, die die offizielle Propagandasprache bestens internalisiert haben („Wir sind doch die gesunden Organe der Gesellschaft!“).
Dass der griechisch-französische Regisseur einen von ihnen zu einem Homosexuellen macht, ist indes eine sehr grobe Unfeinheit die den Zuschauer emotional manipulieren soll. Aber auch die einzige die er sich erlaubt hat.
Für den engagierten Filmemacher und Überzeugungstäter liegt die Antwort nicht in einer blutigen Revolution, sondern in den natürlichen Heilungskräften eines Systems, das noch nicht vollständig totalisiert wurde. Die Hauptfiguren in
Z, der Wissenschaftler, der Richter und der Journalist, gehorchen einer teleologischen Bestimmung, die sich aus ihrer sozialen Funktion ableitet. Sie verlieren nie ein Wort über ihre Beweggründe oder Gefühle. Sie tun das was sie tun müssen, sie können gar nicht anders, es ist ihre ureigene Aufgabe im System. Das Drehbuch gibt ihnen keinen Namen, sie sind im Grunde keine Charaktäre oder Persönlichkeiten, sondern funktionalistische Symbole. Symbole für den Glauben daran, dass Gerechtigkeit und Menschlichkeit immer eine gute Chance hätten.
Die Art und Weise wie Costa-Gavras das Schalten und Walten dieser Heilungskräfte inszeniert spricht ebenso für eine gewisse Besonnenheit. Nacheinander werden die Strippenzieher des Komplotts, Militärs und Polizeichefs, in das Zimmer des Richters zur Vernehmung geführt. Sie plustern sich auf, spucken Gift und Galle, doch des Richters erste Worte sind immer: „Name, Vorname, Beruf!“ Normalerweise sind das nüchterne Formalitäten, in
Z werden diese unscheinbaren Worte zu Hammerschlägen, die die hohen Herrscher von ihrem Thron stoßen. Symbole dafür dass vor dem Gesetz alle gleich sein sollten. Eine optimistische Sequenz, ähnlich wie das berühmte Schreibmaschinengeratter am Ende von
All the President's Men, das Nixons Lügengeschichten übertönt. Justiz und Presse sorgen dort für Gerechtigkeit, wo Politik und Polizei korrumpiert sind.
Auch die Entstehungsgeschichten rund um
Z sind bewegend. Nachdem der in Paris lebende Regisseur keine Unterstützung für seinen ideologisch eindeutigen Film fand, gründeten befreundete Filmemacher eine eigene Produktionsfirma. Bei der Finanzierung half, dass bekannte Schauspieler wie Yves Montand oder Irène Papas für das Projekt gewonnen wurden. Alle spielten für den Bruchteil ihrer gewöhnlichen Gage. Die eindringliche Filmmusik stammt von Mikis Theodorakis, der 1963 die Lambrakis-Jugendbewegung gegründete, die Hauptmelodie auf ein altes Tonbandgerät pfiff und aus Griechenland schmuggelte.
Am Ende von
Z werden die Verantwortlichen verurteilt, Gerechtigkeit gibt es trotzdem keine. Der Wahlsieg der Opposition ist nichtig, denn das Militär übernimmt kurze Zeit später die Macht. Verboten werden unter anderem: lange Haare für Männer, Miniröcke, Streiks, Pressefreiheit, die Beatles, Beckett und Pinter, Ionesco und Tolstoi, Soziologie und Moderne Mathematik. Und der Buchstabe Z, der im Griechischen „Er lebt“ bedeutet. Es war die Losung, die Lambrakis-Anhänger nach seinem Tod immer wieder auf Häuserwände und Gehwege schrieben.
Costa-Gavras wollte dem Zuschauer kein Happy End zeigen. Er konnte es gar nicht. Die Realität zeigte auch keines.