Während seine Sympathisanten und Fans in ihm so etwas wie einen Stephen King für Fortgeschrittene sehen, möchte die Opposition zu dem von okkultistischen Codes und barockem Unterwelt-Chic geprägten Oeuvre des Malers, Autors, Theaterschauspielers und -regisseurs Clive Barker keinen rechten Zugang finden. Das Universaltalent aus Liverpool hat sich mit seiner Kunst einen eigenen Raum erschlossen, der es ihm erlaubte, sich von der Popkultur abzugrenzen und dennoch eine individuelle Duftmarke für dieselbe zu setzen. Dabei lassen Barkers Filme - in Bezug auf Farbdramaturgie, Lichtsetzung, Montage und auch die durchästhetisierte Härte - durchaus auf den Duktus des italienischen Giallo-Meisters Dario Argento (“Suspiria”) schließen. Doch ist Barker der profundere Geschichtenerzähler. Im Jahr 1987 gab “Hellraiser”, die Verfilmung seiner eigenen Short Story “The Hellbound Heart”, den Startschuss für eine der überlebenstüchtigsten Horrorfilmserien überhaupt, die den Zenobiten-Anführer Pinhead, dessen kahlen Schädel gleichmäßig Akuptunkturnadeln zieren, als stolzen Nachfahren von Killer-Phantomen wie Michael Myers (“Halloween”) oder Jason Voorhees (“Freitag der 13.”) auswies. Die sich zum bizarr-erschreckenden Delirium verdichtende, tiefschwarze Fantasy-Horror-Parabel über bedingungslose Hingabe und die Gier nach abgründigen Abenteuern ist Barkers unumstrittenes Hauptwerk. Wenngleich sein Film auch Assoziationen zu den Schriften der Gebrüder Grimm w
eckt, ist dies ein Märchen definitiv nur für volljährige Zuschauer.
Bei der Suche nach neuen Herausforderungen erwirbt der Abenteurer Frank (Sean Chapman) auf einem orientalischen Markt eine geheime Puzzlebox, mithilfe derer man angeblich das Tor zu einer anderen Dimension zu öffnen vermag. Auf dem Dachboden seines Hauses experimentiert er mit dem Würfel herum, verdreht ihn, und setzt ihn wieder zusammen. Plötzlich erscheinen wie aus dem Nichts dämonische Kreaturen und reißen Frank in Stücke. Einen nicht näher definierten Zeitraum später zieht Franks Bruder Larry (Andrew Robinson) mit seiner Frau Julia (Clare Higgins) in das Haus ein. Was Larry nicht ahnt ist, dass Julia mit Frank kurz vor dessen Tod eine Affäre hatte. Was aber beide nicht ahnen: Frank ist gar nicht so mausetot wie dereinst vermutet. Als Larry sich an einem aus der Wand ragenden Nagel verletzt und sein Blut auf die Dielen des Dachbodens tropft, beginnt der Körper des als sozusagen untotes Geschöpf zwischen den Sphären gefangenen Frank, sich neu zu materialisieren. Um vollends ins Diesseits zurückkehren zu können, braucht er jedoch mehr Blut. Frank offenbart sich Julia, die für ihn wildfremde Männer aus Bars und Restaurants abschleppen und auf den Dachboden locken soll, damit Frank sie aussaugen kann. Gesagt, getan. Durch ein Missgeschick fällt die Puzzlebox allerdings Larrys erwachsener Tochter aus erster Ehe, Kirsty (Ashley Laurence), in die Hände, die sich ihrerseits auf einen gefährlichen Pakt mit den “Zenobiten” genannten Höllenkreaturen einlässt…
Im Jahrzehnt der humoresken Genre-Zersetzungen wie “Tanz der Teufel”, “Tanz der Teufel 2”, “Return of the living dead” oder “Fright Night - Eine rabenschwarze Nacht” schlug Clive Barker, der zwei Jahre zuvor mit seinen Anthologien “Books of Blood” (“Bücher des Blutes”) für Furore gesorgt hatte, mit dem dunklen Horror-Drama “Hellraiser” einen ungemütlich ernsthaften Ton an, der die Sehgewohnheiten der VHS-Generation torpedierte. Überzeichnungen bedeuteten für Barker nicht die sarkastische Entzauberung einer extraterrestrischen Bedrohung, sondern krasse Stilbrüche, einhergehend mit gotischen Snuff-Fantasien und theologischen Mythen. Die Mitglieder des Höllenordens der Zenobiten, die
Explorers in the further regions of experience, die sich an Schmerz und Qual weiden, sind Wächter einer Art Zwischenreich, nicht aber im eschatologischen Sinn. Die aufgestoßene “Hölle” in “Hellraiser”, die in ihrer kühnen Visualisierung an die Gemälde von Bosch oder Rubens erinnert, entsteht durch die Konfusion der von einem Hunger nach (höherem) Leben getriebenen Handelnden des Szenarios und spiegelt sich als Ort malerischer “Schönheit” und Symmetrie auf der Leinwand. Neben den überaus gelungenen Special Effects, die (mit wenigen Ausnahmen) auch heute noch als up to date durchgehen (besonders die langsame Rück-Verwandlung Franks vom Matsch-Monster zum „Mensch“) , begeistern die markanten, ja “exotischen” Masken der (zum Teil ziemlich deformiert ausschauenden) Zenobiten in ihrer furchteinflößenden Vielfalt. Die mit düsterer Stimme gehauchten Bonmots der Zenobiten (
“We tear your soul apart”), die mittlerweile sogar schon einige Heavy Metal-Bands für den Einstieg in ihre Songs verwenden, haben etwas Pulpiges, was der morbiden Faszination für Barkers grausames Théâtre du Grand-Guignol jedoch keinen Abbruch tut.
Auch wenn der von Barkers Ex-Theaterkollege Doug Bradley gänsehautfördernd gespielte Pinhead sich als mordender Höllenbote in die Ahnenreihe von Myers, Jason & Co. einordnet, kann man “Hellraiser” ebenso schlecht (sogar noch wesentlicher schlechter) in die Slasherfilm-Schublade stecken wie Wes Cravens “Nightmare on Elm Street” (1984). Alleine schon deshalb, weil für die Mordserie, auf die sich der Plot hauptsächlich konzentriert, nicht der Bösewicht, sondern das “Opfer” verantwortlich ist. Dabei geraten die Hauptakteure immer mehr in einen Teufelskreis aus Leben und Tod. Anfangs wird Frank seine Vergnügungssucht zum Verhängnis. Julia, gelangweilt von ihrer bürgerlichen Existenz, sucht ihrerseits das Abenteuer. Als sie erfährt, dass ihr Ex-Geliebter noch (halbwegs) am Leben ist, überkommen sie die Erinnerungen an die stürmische Affäre, und sie wird für Frank zur Marionette. Clare Higgins spielt Julia als Frau zwischen dem Drang nach Selbstverwirklichung, für die sie gnadenlos über Leichen geht, und totaler Selbstaufgabe. Sie hilft Frank dabei, zurück ins Leben zu finden, sprich: bei der “Beschaffung” der notwendigen Körperteile und Organe. Frank wird von drei verschiedenen Darstellern verkörpert, am ambivalentesten und somit am nachhaltigsten von Oliver Smith, obwohl der sich die ganze Zeit hinter seiner schleimigen Maskierung verbergen muss.
“Hellraiser” steht zwar in der Tradition von Horrorfilmen, die den Einsturz einer heilen Familienwelt und deren profanen Abläufen visualisieren, allerdings mit dem Unterschied, dass das Gebilde bereits fragil ist, bevor das übernatürliche Grauen Einzug hält. Kirsty steht mit ihrer Stiefmutter, der es nur sekundär um das Wohl der Familie geht, auf Kriegsfuß. Und Larry hegt die ganze Zeit den unausgesprochenen Verdacht, dass es in Julias Vergangenheit etwas gibt, wovon er besser nichts wissen sollte. Im Gegensatz zu vielen Horrorfilmen der damaligen Zeit bekommen es die Protagonisten hier auch nicht mit hohlen, vor sich hin faulenden Zombies, lustig explodierenden Jahrmarktmonstern oder leicht zu überlistenden Psychokillern zu tun. Bei den Kreaturen aus “Hellraiser” ist alles durchdacht, sie verfolgen ein striktes Ziel und überlassen dabei nichts dem Zufall - auch nicht bei ihren sonderbaren Praktiken. In “Hellraiser” wird nach Lust und Laune gesplattert, wobei auseinandergerissene Leiber und eine Häutung zu den grausigen Höhepunkten zählen. Die ungeschnittene Fassung des Films ist in Deutschland nie erschienen und nur als Import erhältlich. Die verschnippelte Fernsehfassung, die Tele 5 immer mal wieder ausstrahlt, ist allerdings mit Vorsicht zu genießen.
Zwischenzeitlich kursierten Gerüchte, dass sich One-Hit-Wonder Pascal Laugier an einem Remake des Films versuchen wolle. In der Theorie eine durchaus reizvolle Konstellation, hat der Franzose mit „Martyrs“ doch den mit Abstand besten Horrorfilm der 2000er-Jahre inszeniert. “Hellraiser” zog acht Sequels nach sich, von denen ich lediglich den vierten Teil mit dem platten Untertitel “Bloodline” gesehen habe. Das Original destilliert Barkers weit gefächerten Kunstschatz zu einem wortwörtlich phantastischen Film, der neben seinem unkonventionell-intelligenten, von Barker selbst verfassten Drehbuch vor allem durch seine absolut einzigartige Atmosphäre besticht, der Christopher Youngs epischer Score noch einmal besonders zuträglich ist, welcher das im Untertitel des Films beschriebene Tor zur Hölle weit aufzustoßen scheint und pure Gänsehaut erzeugt.