Sie sind eine Quelle der Unterhaltung und zugleich ein wahrer Wissensschatz. Sie helfen uns, Unerklärliches zu begreifen und Lösungen für Rätsel zu finden. Und sie fungieren als Universalsprache, die in den verschiedensten Kulturen verstanden werden kann: Legenden, Sagen, Epen, Märchen, Fabeln und all die anderen fiktiven Geschichten, die sich Menschen seit Jahrtausenden erzählen – Und in denen immer ein Körnchen Wahrheit steckt, so phantastisch sie auch erscheinen mögen. Das Bedürfnis, die Welt durch bildhafte Erzählungen zu erklären, ist so alt wie die Menschheit selbst, und die mythologische Vielfalt, auf die wir heute zurückblicken können, ist eine wahre Fundgrube an Weisheiten, Erfahrungen sowie Emotionen, die auch nach so langer Zeit noch immer aktuell sind. Dieser Tradition der mündlichen und schriftlichen Überlieferung von Wissen – von jeder neuen Generation ein wenig verändert, aber dennoch wohl verwahrt – zollt die Serie
"VON MYTHEN, SAGEN UND LEGENDEN" Rechnung und entführt den Zuschauer in wahrhaftig phantastische Welten.
Schon die ersten Episoden sind viel versprechend, widmen sie sich doch einem der größten Abenteurer überhaupt: Odysseus. In einem Zweiteiler beschreibt die Serie seine abenteuerliche Irrfahrt, die ihn in die entlegendsten Winkel des antiken Griechenlands führte und den Zuschauer tief in die dort verankerte Sagenwelt mitreißt. Auch zwei der bekanntesten Helden der Geschichte ist jeweils eine Episod
e gewidmet: dem griechischen Halbgott Herkules und dem skandinavischen Monstertöter
Beowulf. Sie stehen auf der Seite des Guten, während sich zwei weitere Folgen mit den dunklen Seiten der alten Mythologien beschäftigen: Zum einen mit dem monströsen Minotaurus, halb Mensch, halb Stier, und zum anderen mit der schlangenköpfigen Medusa, deren Name allein einst für Angst und Schrecken sorgte. Wieder andere Protagonisten stehen weit über allen weltlichen Plagen und sind trotzdem tief in jede einzelne der menschlichen Legenden verwickelt, denn die Serie berichtet auch von drei der bekanntesten Götter, nämlich Zeus, Hades und
Thor. Und schließlich beschäftigt sich
"VON MYTHEN, SAGEN UND LEGENDEN" noch mit
J.R.R. Tolkiens Fabelwesen und der einzigartigen Welt, die der englische Autor in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschaffen hat.
Viele dieser Episoden erzählen jedoch nicht nur einen einzigen Mythos, da in der alten Sagenwelt viele Geschichten untrennbar miteinander verbunden waren. So erfährt man in der Hades-Folge ebenso etwas über Orpheus und Sisiphos, die Geschichte der Medusa ist gleich auch die des Perseus und die Legende um den Minotaurus erzählt auch von der Heldensage um den jungen Prinzen Theseus. Obwohl die Serie also auf nur zehn Episoden begrenzt ist, werden deutlich mehr Mythen und Sagen vorgestellt.
Trotzdem erscheint diese Auswahl auf den ersten Blick ein wenig willkürlich und mit dem überdeutlichen Schwerpunkt auf das antike Griechenland seltsam einseitig. Doch bei genauerer Betrachtung macht die Zusammenstellung durchaus Sinn, denn unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund ähneln sich die Erzählungen in ihrem Kern, sind in jeder von ihnen doch dieselben Themen und zudem sich sehr ähnliche Motive verankert: Die Legenden erzählen ganz simpel vom ultimativen Kampf von Gut gegen Böse, von schier unlösbaren Aufgaben und wagemutigen Taten, von mächtigen Göttern und stolzen Helden, die zwar nicht immer im Mittelpunkt einer Geschichte stehen, ihren Ausgang aber entscheidend mitbestimmen. Dass die griechischen Sagen dabei prozentual so überlegen vertreten sind, dürfte der schlichten Tatsache geschuldet sein, dass kaum eine andere europäische Mythologie derart viele Erzählungen hervorgebracht hat, die sich bis heute erhalten und verschiedenste moderne Kulturen beeinflusst haben. Jeder kennt heute noch die Olympischen Götter und die größten Monster des antiken Griechenlands. Doch mit der nordischen Sagenwelt kennen sich vergleichsweise Wenige aus, obwohl sie uns geographisch und zeitlich eigentlich viel näher steht.
Jede der Episoden, die
"VON MYTHEN, SAGEN UND LEGENDEN" der Vergangenheit erzählen, muss sich einer großen Herausforderung stellen: Den Bericht über Geschichten, die zum Teil seit mehr als zwei Jahrtausenden bekannt sind und unzählige Male nacherzählt wurde, trotzdem noch spannend zu gestalten. Das Vorhaben gelingt mit zwei einfachen, aber wirkungsvollen Strategien: Zum einen präsentiert die Serie verschiedene Seiten der alten Mythen, von denen Viele gar nichts wissen. So kennt Jeder die Medusa als scheußliches Ungetüm mit giftigen Schlangen auf dem Kopf und einem tödlichen Blick, der jeden zu Stein verwandeln konnte. Doch wem ist schon bewusst, dass sie einst eine wunderschöne junge Frau war, der ein schreckliches Schicksal auferlegt wurde – Und dass die eigentlichen Monster in dieser Geschichte ganz andere sind?! Man weiß von Hades als unerbittlichem, kaltherzigen Herrscher der Unterwelt, der Niemanden aus dem Totenreich entkommen lässt. Doch wer kennt den Beginn seiner traurigen Geschichte, als er mit List in eine Position gedrängt wurde, die er nie wollte, sodass er nun ein unmenschliches Dasein fristen muss, eingesperrt in eine trostlose Umgebung, die selbst einem Gott jedes Gefühl der Glückseligkeit aussaugt?! Und wer hat sich je Gedanken darüber gemacht, dass sich selbst hinter der blutigen Legende des monströsen Minotaurus ein mitleiderregendes Schicksal verbirgt?!
Zum anderen stehen die sogenannten Helden sowohl der griechischen Antike als auch der germanischen und nordischen Erzählungen hier unter sehr genauer Beobachtung. Die Serie analysiert ihre Stärken ebenso wie ihre Schwächen und versucht, zu erklären, warum diese Geschichten die Menschen seit so langer Zeit zu fesseln vermögen. Gleichzeitig geht sie gemeinsam mit dem Zuschauer auf die Suche nach tatsächlich existierenden Fakten und stellt Vermutungen an, wie diese die Entstehung der Mythen begünstigt haben könnten. Die Serie zieht Parallelen zwischen Mythos und Realität und gibt dem Zuschauer so das Gefühl, dass die dargebrachten Legenden oder zumindest ähnlich spannende Geschehnisse wirklich stattgefunden haben könnten – eine faszinierende und zugleich grauenerregende Vorstellung, die das Interesse der Zuschauer ohne Mühe aufrecht erhält.
Zudem sind die Ausführungen der Kulturwissenschaftler, die in jeder Episode die Hintergründe der Legenden zu erläutern versuchen, nicht nur bildhaft, detailliert und für jeden Zuschauer nachvollziehbar, unabhängig davon, wie bewandert er in Sachen Mythologie ist; Sie sind auch unterhaltsam und bieten moderne Äquivalente zu den alten Vorstellungen an, welche das Erzählte noch besser verdeutlichen. Da wird Odysseus, der beständig dem Tod ins Auge blickt, aber mit seinem scharfen Verstand in jeder noch so ausweglosen Situation eine Lösung findet, als „MacGyver der Antike“ betitelt oder Göttervater Zeus zum „fruchtbarsten Frauenhelden der Mythologie“ erklärt. Allein wegen solcher auf den ersten Blick merkwürdigen, aber doch seltsam treffenden Aussagen lohnt es sich, nicht nur der Serie, sondern auch den in ihr vorgestellten, vertrauten Geschichten seine Aufmerksamkeit zu schenken. Denn egal, wie gut wir eine Legende bereits zu glauben kennen – Es lässt sich trotzdem oftmals noch etwas bisher Unbekanntes in ihr entdecken und immer wieder etwas Neues lernen. Und wenn nicht? Dann war es zumindest höchst unterhaltsam und wahrhaft phantastisch.