Ach Du liebes bisschen! Was Howard Phillips Lovecraft, einem der wohl besten Autoren der gothic romance (die er zunehmend modifizierte), schon an Verfilmungen seiner Literatur widerfahren ist, würde ihm wohl die Schamesröte ins Gesicht treiben. Nur sehr selten findet sich unter den Machwerken diverser Horrorregisseure, darunter vor allem Brian Yuzna und Stuart Gordon, etwas, was annähernd den Geist seiner Kurzgeschichten und -romane wiedergibt. Meistens jedoch (wie häufig auch bei den eben genannten Regisseuren) wird der Blick in die Abgründe des Wahnsinns erst gar nicht versucht, stattdessen klatscht man lieber Blood & Gore auf die Leinwand. Das kann für sich gesehen ja durchaus unterhalten, hat mit dem subtilen und äußerst atmosphärischen Horror Lovecrafts aber nichts zu tun. Nichtsdestotrotz erfreuen sich die Motive, die dieser mit seiner regen Fantasie schuf, darunter die fremdartige Götterwelt um den tot- und zeitlosen Cthulhu und das Necronomicon, das geheimnisvolle Buch des wahnsinnigen Arabers Abdul Al'hazred, großer Beliebtheit und finden sich in Literatur, Musik, und Film wieder.
Nun also eine Horrorantohologie aus den Federn der größtenteils nicht unbekannten Herren Christophe Gans, Brian Yuzna und Shusuke Kaneko:
Necronomicon, dessen Handlung sich natürlich um ebenjenes Buch dreht, das jedem, der es liest, verbotenes Wissen preisgibt, jedoch dafür stets einen furchtbaren Preis einfordert (dabei handelt es sich meist um d
ie mentale Verfassung des allzu Neugierigen). Was also passiert? H.P. Lovecraft (gespielt von dem wieder einmal herrlichen Jeffrey Combs, dem
Re-Animator himself) besucht eine Bibliothek. Er möchte zur Inspiration ein ganz bestimmtes Werk aufsuchen (na...?) und trickst sogleich einen der Bibliothekare aus, um an den Schlüssel zu kommen, der ihn in die Katakomben tief unter der Bibliothek führt. Er schleicht sich also hinab und unter dem Einsatz sämtlicher zur Verfügung stehender visual effects präsentiert sich ihm... das Necronomicon! Es erleuchtet wie von einem inneren Feuer beseelt, ist auch noch leidlich designt und schaut insgesamt recht finster drein. An die trashige Originalität des Exemplars aus Raimis
Evil Dead kommt es zwar nicht heran, aber ein Augenzwinkern lässt sich in dieser urigen und zugleich recht ambitionierten Verfilmung klar erkennen. Also Obacht! Im Folgenden blättert Lovecraft angeregt durch die mysteriösen Seiten des finsteren Buches und findet die Inspiration, genau drei Geschichten zu schreiben, bevor ihm die tumben Bibliothekare endlich auf die Schliche gekommen sind. Als denn...
The Drowned
Die erste Episode stammt von Gans, der nach
Pakt der Wölfe und
Silent Hill meine Hochachtung errungen hat. Leider ist diese Arbeit nahezu völlig misslungen, was in allererster Linie am miserablen Drehbuch liegt (an dem Gans selbst mitarbeitete). Dieses basiert auf einer der düstersten und am besten konstruierten Kurzgeschichten Lovecrafts,
The Rats in the Walls. Das jüngste Mitglied eines alten Adelsgeschlechts kehrt in den verwitterten und verlassenen Stammsitz seiner Familie zurück. Dieser birgt ein finsteres Geheimnis, das seiner unvermeidlichen Entdeckung harrt.
Ist diese Ausgangssituation noch recht genau aus der lovecraftschen Erzählung übernommen worden, wird jetzt eine gänzlich andere Geschichte darauf aufgebaut; dies ist an und für sich in keiner Weise verwerflich, nur kann sie nicht im Geringsten an die Tugenden des Originaltextes anknüpfen. Denn leider folgen nur ein paar absehbare Gruselszenen, ein platter Versuch, etwas Erotik einzubringen und ein paar unpassende Spezialeffekte, deren Krönung wohl ein lächerlich wirkender Cthulhu (oh nein, die Pointe verraten!) ist, der jeder mystischen Aura beraubt ist und zudem völlig deplatziert wirkt. Gans, das geht nicht: Wenn man schon eine Geschichte in waschechter, das heißt subtiler Lovecraftatmosphäre ankündigt, kann man nicht mit einem Mal die Spur wechseln und einen trashigen Horrorfilm daraus machen, der dem Zuschauer mit dem nackten Hintern ins Gesicht springt. Zudem ist der Richtungswechsel auch noch inkonsequent, sodass weder die Actionhorror- noch die Gruselfraktion zufriedenstellend bedient werden. Leider sind auch die Schauspielleistungen viel zu mau, um noch etwas retten zu können (Bruce Payne als Protagonist spielt so hölzern, als hätte er sich eigentlich im Studio geirrt und wäre von Gans mit vorgehaltener Pistole zum Improvisieren gezwungen worden).
Ein äußerst schwacher Einstieg in die Anthologie (und das bei diesem Ausgangsmaterial!), doch ist der gute Lovecraft vor dem Necronomicon jetzt erst richtig warm geworden. So ersinnt er auch gleich die nächste Geschichte, die den formschönen Namen trägt:
The Cold
Diese Episode wurde von Shusuke Kaneko (
Death Note 1 und
2,
Azumi 2) gedreht, der mir bisher nahezu unbekannt war. Er präsentiert sein Segment, das recht originalgetreu die Kurzgeschichte
Cool Air verarbeitet, routiniert und weitaus atmosphärischer als der Vorgänger es vermochte:
Eine junge Frau zieht in ein Mietshaus, das einen seltsamsen Bewohner hat: Er hat sich im obersten Stockwerk von der Außenwelt abgeschottet; seltsame Maschinen rumoren hinter seiner Zimmertür und übelriechende Flüssigkeit tropft hinab ins Zimmer der jungen Mieterin. Die lovecraftsche Kurzsgeschichte lebt von ihren unheilschwangeren Andeutungen, die die Auflösung genüsslich hinauszögern. Diese mysteriöse Atmosphäre wird zu Beginn der Episode gut vermittelt und von den gut agierenden Schauspielern getragen (vor allem David Warner als geheimnisumwitterter Mieter kann hier sehr überzeugen). Leider juckte auch hier den Drehbuchschreibern der ungeduldige B-Film-Finger und so finden unnötige Gewalt- und Sexszenen ihren Weg in eine Geschichte, die deren Verlauf zwar teilweise stören, aber immerhin deutlich besser eingebaut sind als in
The Drowned.
Das Ende dieser Episode kann leider mit deren Rest nicht ganz mithalten und hinterlässt einen leicht faden Nachgeschmack. Zwar kann man nicht sagen, dass
The Cold weder Fisch noch Fleisch sei, dennoch aber wirkt die Mischung aus atmosphärischem Grusel und effektlastigem Horror immer noch etwas unausgewogen. Eine konsequente Entscheidung zur einen oder anderen Seite hätte diesem Segment gut getan, so wie es die wirklich erstklassige und uneingeschränkt zu empfehlende (Amateur!-)Verfilmung von
Cool Air aus den Händen Byran Moores vormacht.
Whispers
Genau wie die Rahmenhandlung, die sich mittlerweile zuspitzt und dem Finale entgegensteuert, ist auch diese letzte Episode des Films von Brian Yuzna gedreht worden, der ja im Bereich der blutigen und wenig originalgetreuen Lovecraft-Verfilmungen als Stuart Gordons Produzent einige Erfahrung hat (zudem geht
Bride of Re-Animator auf seine Rechnung). Er macht dankenswerterweise nicht den Fehler, auf zwei Hochzeiten tanzen zu wollen. Stattdessen wirft er den subtilen Grusel gleich über Bord und wirft den Zuschauer stattdessen mitten hinein in die Action:
Verfolgungsjagd, Blaulicht, quietschende Reifen! Zwei Polizisten jagen einen Raser, der sich alsbald als gefährlicher Serienkiller entpuppt. Dann verschwindet einer der beiden Cops, hinterlässt nichts als eine blutige Spur und die verbliebene, bald nervlich ein wenig überstrapazierte Polizistin gerät von einem Albtraum in den nächsten. Die Kurzgeschichte
The Whisperer in Darkness, auf der diese feine Episode beruht, ist kaum noch zu erahnen, nein, nach Lovecraft sieht hier zunächst fast nichts mehr aus; gut so, Yuzna! Wie die besseren der zahlreichen Autoren, die sich Lovecrafts Erbe angenommen haben, um eigene Kurzgeschichten daraus zu spinnen, konzentriert er sich auf einige der größten Stärken des Originals und präsentiert sie dem Zuschauer in neuem Gewand. So begegnet uns auch hier das fremdartig Böse in Gestalt außerweltlicher Wesen, die als graue Eminenz unsere Welt schon längst unterwandert haben. Der Fokus liegt aber auf dem geistigen Verfall, den die gebeutelten Protagonisten der lovecraftschen Geschichten häufig zu erleiden haben. Dieser wird hier grandios in Szene gesetzt und auf die Spitze getrieben; Yuznas Segment suhlt sich am Ende förmlich im Wahnsinn und kotzt eine irre Mischung aus Overacting, Blut, Gedärmen, Schmodder und abstrusen Monstern in Richtung Zuschauer.
Zudem wird auch nicht zu viel aufgeklärt, stattdessen wird vieles absichtlich im Dunkel des Wahnwitzes gelassen. Lovecraft selbst erlag leider manchmal dem Drang, seine sorgfältig gewobenen Netze aus subtilen, zutiefst beunruhigenden Andeutungen durch eine simple Erklärung zu zerreißen. Yuzna begeht den Fehler nicht, sondern zeigt uns nur einen Teil der Geschichte, deren Rest im Verborgenen bleibt und somit im Gedächtnis haftet. Somit ist ihm mit dem letzten Segment dieser Anthologie eine moderne, mutige Interpretation lovecraftschen Horrors gelungen, die ihren B-Touch intelligent einsetzt und vollends überzeugen kann.
Auch die Rahmengeschichte kommt schließlich zu einem Ende. Der liebevoll verspielte Ton, der die gesamte Anthologie durchzieht, ist hier noch einmal besonders stark zu finden und versieht die Trashigkeit des Geschehens mit einem Augenzwinkern. Dass man stets fühlt, dass hier Liebhaber am Werk waren, tröstet ein wenig über das insgesamt etwas durchwachsene Endresultat hinweg; leider erfährt man hier aber immer wieder die negative Konnotation des Wortes "Amateur".
Dennoch: Die hervorragende finale Episode sowie die außerordentlich gelungene musikalische Untermalung, die stets herrlich düsterromantische Stimmung verbreitet, machen Necronomicon zu einer Empfehlung, zumal sich in dessen temporeicher Inszenierung auch im schwachen ersten Segment nie Längen finden. So rettet sich der Film mit zwei blauen Augen den vierten Stern. Damit steht er im Feld der Lovecraft-Adaptionen sogar recht gut da; und auch wenn es in der Rezension eines liebevoll gemachten B-Films ein wenig zu anspruchsvoll klingen mag: Noch fehlen einfach die dem Original angemessenen, durch und durch ambitionierten A-Produktionen, die Lovecraft ein Denkmal setzen, wie Kubrick es für King getan hat. Es besteht Nachholbedarf.