Schlägt man in einem Lexikon den Begriff „Eiszeit“ nach, so findet man einen wissenschaftlich kühlen Artikel, der von mehrfachen Abfolgen von Kalt- und Warmzeiten im Eiszeitalter berichtet – aber kein Wort über Gemeinschaftswanderungen aller Tierarten und hinterlistige Faultiere, die unbeliebte Familienmitglieder bei der nächstbesten Gelegenheit einfach heimlich zurücklassen. Nachschlagewerke geben außerdem eine Fülle an Informationen über Klimaveränderungen und sinkende Temperaturen – doch militärisch straff organisierte Dodos, die nur für ihren Eifer, die Art zu erhalten, leben, werden in der Betrachtung des Themas völlig außenvorgelassen. Und auch über die massive Ausdehnung von Gletschern wird man ausufernd aufgeklärt – ohne dass dabei erwähnt wird, wie so mancher Bruch in einem solchen Gletscher von hyperaktiven Nagern und ihrer Suche nach einem geeigneten Versteck für ihre Lieblingsnuss verursacht wurde. So stellen wir also fest, dass Lexika zwar wertvolle Auskünfte liefern, dabei aber sehr selektiv vorgehen. Wie gut und notwendig also war es, dass sich 20th Century Fox im Jahre 2002 aufmachte, unsere dadurch entstandenen Wissenslücken endlich zu füllen und uns mit ganz neuen Kenntnissen zu erhellen. Um uns das Lernen einfacher und angenehmer zu gestalten wurde all dieses wertvolle Wissen umsichtigerweise in einer erheiternden Geschichte ansprechend verpackt. Und so verfolgten wir gebannt das Geschehen auf der Leinwand:
Wäh
rend alle Welt sich auf die große Wanderung begibt, um der unwirklichen und lebensfeindlichen Umgebung der vorrückenden Gletscher zu entfliehen, findet sich eine bunt zusammengewürfelte Truppe von Individuen auf ihrem ganz eigenen Weg wieder. Da wäre Sid, das Faultier, das sich durch seine Tollpatschigkeit und seine vorlaute Art regelmäßig unbeliebt macht und in große Schwierigkeiten bringt. Dann gibt es noch das Mammut Manfred, welches eigentlich das Leben eines Einzelgängers bevorzugt, sich aber nun plötzlich mit einem unwillkommenen Reisegefährten versehen sieht, nachdem es Sid vor zwei wutschnaubenden Dickhäutern gerettet hat. Unfreiwillig zusammengehalten werden diese beiden außerdem durch die Verantwortung, die sie für ein Menschenbaby übernehmen, welches nach dem Angriff einer Horde Säbelzahntiger von seiner Gruppe getrennt wurde. Und zu guter Letzt schließt sich ihnen auch noch Diego an, der zu eben diesem Rudel Raubtiere gehört und seinem Anführer das Baby zum Dinner beschaffen soll.
Diese nach Sids eigenen Worten „krasse Herde“ versucht nun also, die weiterziehende Menschengruppe einzuholen und das Baby zu seinem Vater zurückzubringen. Aber abgesehen davon, dass Diego eine schwere Zeit hat, zu entscheiden, auf welcher Seite er eigentlich stehen will, machen die ständigen Meinungsverschiedenheiten der in Vielem so gegensätzlichen Individuen ebenso wie die Unerfahrenheit der haarigen Gefährten im Umgang mit menschlichem Nachwuchs die ungeplante Reise alles andere als einfach. Und in immer weiter vorrückendem Schnee und Eis wird die Suche nach den Menschen langsam aber sicher zu einem Wettlauf gegen die Zeit...
Dramatisch und herzerwärmend trotz seines frostigen Themas und unendlich viel lebendiger, als es ein Artikel in einem Nachschlagewerk jemals könnte, erzählt
"ICE AGE" eine Geschichte von ungewöhnlichen Freundschaften, Courage und persönlicher Opferbereitschaft. Sie lehrt uns den Wert von Loyalität und moralischer Integrität, und dass selbst vollkommen gegensätzliche Individuen durch gemeinsame Interessen tief verbunden werden können. Aber vor allem reißt sie uns mit in ein extrem cooles Abenteuer und jede Menge Spaß.
Dabei ist die Story an sich im Grunde genommen recht simpel und lebt vor allem von den temperamentvollen Beziehungen der Figuren, denen damit die gewichtigste Rolle in dieser Produktion zukommt. So wurde ihnen in der kritischen Betrachtung des Films auch entsprechend große Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei wurde oft bemerkt, dass die Animation zu grobschlächtig und weniger ausgefeilt sei als in anderen Produktionen ähnlicher Art. Doch selbst wenn man zugibt, dass einige der Film-Landschaften und Figuren tatsächlich etwas hart modelliert sind, darf man beispielsweise Sid und Scrat doch ungestraft ein putziges Aussehen bescheinigen. Abgesehen davon ist es offenkundig Tatsache, dass die Charaktere vor allem dank ihrer Eigenheiten und liebenswerten Marotten mühelos das Herz des Zuschauers gewinnen, vollkommen unabhängig von knuddeligen Gesichtern und Kulleraugen. Was die menschlichen Figuren angeht, ist die Animation in der Tat mit weniger Feinarbeit ausgeführt worden, so dass sie im Großen und Ganzen gröber wirken. Betrachtet man dies jedoch vom Blickwinkel ihrer tierischen Kollegen aus, macht es durchaus Sinn, wird damit doch deren Ansicht, dass die Menschen in ihrer Entwicklung (noch) unfertig seien, reflektiert (Diego:
„Du weißt doch, dass Menschen nicht sprechen können!“).
Wo wir gerade beim Thema Sprache sind: Was so unterkühlt und eigentlich wenig aussagekräftig als Fähigkeit zur Kommunikation mittels komplexer Zeichensysteme definiert wird, ist außerhalb der Seiten linguistischer Sekundärliteratur doch unendlich viel mehr. Gerade in der Sphäre der bewegten Bilder können Sprache und Klänge ein und derselben Szene extrem unterschiedliche Bedeutungen verleihen, was ein Grund dafür ist, dass die verschiedenen Tonfassungen eines Films regelmäßig hitzige Diskussionen um den Titel der einzig wahren Version auslösen. Im Falle von
"ICE AGE" müssen jedoch selbst eingefleischte Vertreter der Fraktion „Nichts geht über den Originalton eines Films!“ wohlwollend anerkennen, dass die deutsche Synchronisation der englischen Urform in nichts nachsteht, sie eigentlich sogar noch übertrumpft. In der Regel baut der Zuschauer eher Beziehungen zu den Figuren eines Animationsfilms auf, wenn sie von ihm vertrauten Klängen belebt werden. So ist „der deutsche Manny“ dem heimischen Publikum schon deshalb sympathischer, weil er von
Arne Elsholtz synchronisiert wird, der sich vor allem als deutsche Stimme von Tom Hanks, Bill Murray und Jeff Goldblum durch unsere Ohren in unser aller Herzen vorgearbeitet hat, wogegen ein großer Teil der Kinogänger hierzulande wahrscheinlich eher weniger mit
Ray Romanos Originalstimme vertraut sein dürfte.
Doch der auffälligste Punkt ist selbstverständlich ein anderer:
John Leguizamo ist zwar großartig als Sid, doch im Vergleich zu
Otto Waalkes’ genialer Interpretation des unaufhörlich quasselnden Faultiers wirkt er regelrecht fade. Scheinbar mühelos, unwahrscheinlich witzig und vor allem herrlich schräg liefert das Urgestein der ostfriesischen Komik eine einmalige Performance ab, welche die deutsche Fassung des Films mehr als nachhaltig geprägt und ihr einen ganz eigenen Charakter verpasst hat.
"ICE AGE" ist das, was man gemeinhin so schön als Familienfilm bezeichnet, ein Heidenspaß für Jung und Alt. Angesichts des großen Erfolgs an den Kinokassen war eine Fortsetzung der Geschichte in Form eines Sequels nur eine Frage der Zeit, und so erhellte 2006 schließlich "
Ice Age 2: Jetzt taut's" die Leinwände in den Lichtspielhäusern dieser Erde. The Pack was back!
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