„The day is comin'
The drums are drummin'
If you know one say a prayer.
Theres mothers cryin'
And fathers sighin',
War is in the air.“
Als am 1. Mai 2003 George W. Bush die Hauptkampfhandlungen und somit den Irakkrieg für beendet erklärte, hatten viele Menschen die Hoffnung, einerseits die Soldaten wieder nach Hause zu holen, andererseits ein befriedetes Land zu hinterlassen. 139 US-Soldaten waren gefallen. Zwei Jahre später, 2005, nachdem der Krieg beendet war, war die Anzahl der toten US-Soldaten auf weit über Tausend zum Jahreswechsel angestiegen – der Konflikt dauerte immer noch an. Und gerade der streng konservative TV-Sender FOX wagte mit seinem Sub-Kanal FX ein noch nie da gewesenes Experiment: eine TV-Serie über einen noch immer andauernden Konflikt. Steven Bochco, TV-Legende und Schöpfer von Serien wie NYPD Blue, wurde mit der Serie beauftragt und zog Chris Gerolmo als Hauptautor heran, der sich ja bereits mit dem Script zu Mississippi Burning oder Citizen X einen Namen gemacht hatte. Wahrscheinlich nicht zuletzt aufgrund des konservativen Senders und des sehr streng reglementierten Budgets der Serie (eine Folge kostet ungefähr 2/3 einer durchschnittlichen amerikanischen Pay-TV-Soap) entschlossen sich die Macher dazu, die Politik möglichst komplett auszublenden und eine Serie ganz in der Tradition von NYPD Blue zu machen: zwar mit politischen und kritischen Tönen, jedoch hauptsächlich eine Serie
über einfache Männer und Frauen, die nunmal ihre Arbeit machen – und an ihre Grenzen stoßen. Und bewundernswerterweise werden auch die daheim gebliebenen Ehefrauen in das Geschehen mit einbezogen, sowie die oft vergessene Tatsache, dass es auch zurückgebliebene Ehemänner gibt, deren Frauen in den Krieg ziehen.
„The trains are fillin up with boys
They've left behind their favorite toys.“
Für einen höheren Realismusgrad (und natürlich erneut aus Budgetgründen) wurden größtenteils unbekannte Gesichter für die Hauptrollen rekrutiert. Das ständige Ensemble kann man prinzipiell in zwei Teile aufteilen: die zurückgebliebenen Familienmitglieder, sowie die kleine Einheit um Sgt. Chris „Scream“ Silas, dargestellt von Erik Palladino. Über ihn selbst erfahren wir eher wenig, er würde zu Beginn der Serie eigentlich wieder nach Hause kommen, wurde jedoch um 90 Tage zwangsverlängert. Wenige Szenen deuten an, dass er ein sehr einsamer Mensch ist, doch hat er in der Folge „Orphans“ seinen größten Moment. Pvt. Frank „Dim“ Dumphy (Luke Macfarlane) ist der Denker der Truppe, für die Philosophie in der Serie zuständig und der am häufigsten das Geschehen hinterfragt. Pvt. Avery „Angel“ King (Keith Robinson), der Scharfschütze der Einheit kontrastiert den weltlich-ethisch denkenden Dim durch seine tiefe Religiösität, wodurch gerade in so manchem Wechselspiel mit den „bösen“ Muslimen überraschend offene Ansichten zu Religion und Krieg sichtbar werden. Pvt. Maurice „Smoke“ Williams (Sticky Fingaz) ist das Großmaul der Truppe, mit der großen Waffe und dem noch größeren Ego. Doch gerade er, der sich für unbesiegbar hält, muss irgendwann besonders um sein Leben fürchten und herbe Schicksalsschläge hinnehmen. Auch ist gerade er, der zweite Afro-Amerikaner der Einheit, derjenige welcher den Neuling anfeindet, Tariq Nassiri (Omid Abtahi). Dieser stößt erst in der zweiten Folge dazu, und fungiert einerseits als Übersetzer, andererseits aber auch um eine gewisse irakische Sichtweise mit einzubringen, die sonst häufig zu kurz kommt.
Pfc. Bo Rider (Josh Henderson), ein junger Mustersoldat, Mädchenschwarm, Star des Footballteams der Schule und junger Vater muss schon bald die Heimreise antreten, als er durch eine IED seinen rechten Unterschenkel verliert. Diese Figur behandelt die Heimkehrerthematik am häufigsten, auch die Konflikte mit seiner jungen Ehefrau sowie dem inneren und äußeren Kampf um Rehabilitation. Die zweite Geige bei den Soldaten spielen dann die beiden Frauen Pvt. Brenda „Mrs. B“ Mitchell (Nicki Aycox) sowie Pfc. Esmeralda „Doublewide“ Del Rio (Lizette Carrion). Sie sind selten bei den Kampfhandlungen dabei, haben jedoch viele persönliche Probleme und sind für Transportaufgaben zuständig. Natürlich kann man insgesamt sagen, dass die Figuren in gewisser Weise Klischees sind. Man hat den Krieger (Smoke), den Denker (Dim), den Außenseiter (Tariq) und so weiter, jedoch wirken die Soldaten trotzdem sehr echt, mit vielen Stärken aber mindestens ebensovielen Schwächen. Dies führt nicht zuletzt dazu, dass man innerhalb kürzester Zeit eine enge Beziehung zu den Figuren aufbaut, da es eigentlich kaum einen Charakter gibt, der einen komplett ankotzt.
Mindestens ebenso interessant ist aber dann auch „die Heimatfront“. Terry Rider (Sprague Grayden), die junge Ehefrau von Bo Rider und Mutter des gemeinsamen Sohnes muss die Verletzung ihres Mannes verkraften und ihn wieder aufbauen. Was umso schwieriger dadurch ist, dass Bo – lapidar gesagt – ein traumatisierter Sturkopf ist. Ich persönlich muss sagen, dass Grayden und Henderson in meinen Augen wunderbar harmonieren und in den tränenreichen Szenen glaubwürdigste Chemie an den Tag legen. Super! Vanessa Dumphy (Brigid Brannagh) ist die Ehefrau von Dim und Mutter seines Stiefsohnes. Schon bald nach seiner Abreise widmet sie sich lieber dem Alkohol und fremden Männern als ihrem Sohn oder der Treue zu ihrem Mann. Eine anfangs unsympathische Figur, die aber glaubwürdig bleibt und niemals abstoßend im eigentlichen Sinne wirkt. Sergio Del Rio (Lombardo Boyar) schließlich ist der Ehemann von Doublewide und hat damit natürlich eine herausragende Stellung zwischen all den zurückgebliebenen Ehefrauen. Er zeigt auch überraschend viele Gefühle, als er ständig an der Schwelle zu einer Affäre mit Anna (Ana Ortiz) steht, deren Mann ebenfalls im Irak dient.
„They're goin over there
Over there
Where someone has to die.“
Der Serie wird oft vorgeworfen, dass sie zu unpolitisch ist. Das ist sie sicherlich irgendwo. Aber man kann ihr das in meinen Augen nicht unbedingt negativ vorwerfen. Sie porträtiert nun mal keine Politiker, ebenso sind keine hochrangigen Generäle oder sonstige Befehlshaber das Zentrum von Over There. Over There dreht sich um einfache Soldaten, die in ein fremdes Land – eben over there – geschickt werden, und hier tagtäglich um ihr Überleben kämpfen müssen, irgendwo zwischen Pflichterfüllung, Menschlichkeit und dem eigenen Gewissen. Die Serie spart allerdings auch keine kritischen Themen aus, von der Folterung gefangener Irakis, über die Macht der Fernsehbilder bis zu einer konkreten Ansprache der Thematik „Abu Ghuraib“ bezieht sich Over There immer wieder auf diskussionwürdige Themen, ohne aber die Ohnmacht des einfachen Fußsoldaten zu vergessen – und sie aber auch vor allem nicht zu heroisieren. Doch gerade diese dicht bepackte Themensammlung würde ich als Kritikpunkt ankreiden: die Soldaten erleben überraschend viel, gerade Folgen ohne größere Feuergefechte sind rar aber eine willkommene Abwechslung. Gerade weil das Ensemble absolut überzeugen kann, auch in den zwischenmenschlichen Szenen, wäre eine geringere Betonung der Action-Elemente nicht nur wünschenswert gewesen, auch das Budget hätte es einem sicherlich gedankt.
Und obwohl die Serie oft überraschend kritisch ist, behalten die US-Soldaten doch oft recht, und auch über den Standpunkt der irakischen Bevölkerung erfahren wir in meinen Augen zu wenig. Bei den Irakis gibt es eigentlich nur maskierte und damit gesichtlose Terroristen, oder harmlose Dorfbewohner, die jedoch oft nur wie Staffage wirken. Trotzdem kann man der Serie sicherlich keine plakative Schwarz-Weiß Malerei vorwerfen, da sich auch die Soldaten der amerikanischen Streitkräfte alles andere als zivilisiert verhalten. Ein kleinerer negativer Punkt ist dann noch die mangelnde Budgetierung der Serie, die man in wenigen Momenten durchleuchten sieht, wenn beispielweise ein Konvoi angegriffen wird, ein Truck sichtbar explodiert, und der zweite nur Offscreen mit einem lauten Knall in Flammen aufgeht. Das sind aber Kleinigkeiten, die die ansonsten größtenteils gelungene Illusion der irakischen Weite ab und zu aufbrechen kann. Gedreht wurde in Kalifornien, doch bis auf ein paar Dörfer, denen man die Kulissenherkunft manchmal ansieht, ist die Illusion perfekt – soweit man das als außenstehender Zivilist beurteilen kann.
„Over there, over there
Where ours is not to reason why.
Over there, over there
Where someone has to die.“
Fazit: Over There ist großes und mutiges Fernsehen. Die Höchstwertung bleibt zwar aufgrund kleinerer Kritikpunkte, hier sei vor allem noch einmal die mangelnde Perspektive der Iraker betont, verwehrt, ansonsten macht die Serie aber fast alles richtig. Glaubwürdige Charaktere, ein großartiges Ensemble und szenenweise wirklich knisternde Spannung sorgen für ein gelungenes TV-Experiment, das schon nach wenigen Folgen süchtig macht.
Doch leider erlebte Over There nur 13 Folgen und wurde nach einer Staffel ziemlich rabiat eingestellt (die letzte Folge war offensichtlich nicht als letzte Folge konzipiert). Zu mutig fürs Fernsehen? Vielleicht.