Das vielfältige Kino präsentiert täglich ferne Galaxien und fremde Länder, die uns zum Preis eines Tickets für kurze Zeit den Alltag vergessen lassen. Zurücklehnen und von den Bildern berieseln lassen, so lautet die einfache Devise, die einen Kinobesuch immer wieder zu etwas Besonderem macht. Heute entführen uns etwa die „
Ice Age“-Macher nach Rio, wo wie erwartet ausgelassen gefeiert, getanzt und der feurigen Samba gefrönt wird. Ja,
„RIO“ hat wahrlich Rhythmus im Blut. Aber kann das neueste Werk der
Blue Sky Studios auch ansonsten überzeugen?
Nachdem er als Babyvogel gefangengenommen und nach Amerika verbracht wurde, hat der Papagei Blu (Stimme: Jesse Eisenberg) bei der liebenswerten Buchhändlerin Linda (Leslie Mann) im fernen und kalten Minnesota ein neues Zuhause gefunden. Erst als der etwas wirre Vogelkundler Tulio (Rodrigo Santoro) auftaucht und erklärt, Blu sei der letzte männliche Spix-Ara und für die Arterhaltung immanent wichtig, nimmt das Unheil seinen Lauf. Denn um das Überleben der Spix-Aras zu sichern, müsste Blu kurzerhand nach Rio gebracht werden, wo angeblich bereits Jewel (Anne Hathaway), das letzte weibliche Gegenstück, auf Gesellschaft wartet. Eine schwere Entscheidung, der nur widerwillig, aber letztlich der guten Sache geschuldet, beigegeben wird. Und so machen sich Blu und Linda zusammen mit Tulio auf ins ferne Brasilien, ohne zu
wissen, dass sich diese Reise schon recht schnell zum größten Abenteuer ihres Lebens wandeln wird.
Wo „Rio“ draufsteht, ist bestenfalls auch „Rio“ drin. Vor allem dann, wenn es sich bei dem Regisseur des zugrundeliegenden Films um einen waschechten Brasilianer handelt. Soviel sei verraten:
„RIO“ von
Carlos Saldanha, der es sich bisher bei jedem Teil der überaus erfolgreichen „Ice Age“-Reihe auf dem Regiestuhl bequem gemacht hat, atmet zu jedem Zeitpunkt den Geist der Samba, das Feuer von Brasilien, und versteht sich alleine schon aus optischer Hinsicht als Huldigung an die farbenfrohe Welt Rio de Janeiros einer- und – daraus resultierend – Vermittler purer Lebensfreude andererseits. Wenn hüft-, po- und schwanzfedernwackelnd allüberall den Sambarhythmen nachgegeben wird, während der berühmte
Karneval von Rio als einziger riesiger Hingucker durch die Straßen flaniert, dann merkt man, dass Saldanha das bunte Treiben nicht nur inszeniert, sondern es schlichtweg
lebt. Doch auch abseits des Spektakels findet der Regisseur Zeit, Rio in imposanten Panoramen voller Schönheit und mannigfaltiger Details einzufangen. Alleine die eindrucksvolle Kamerafahrt um die weltberühmte Christusfigur auf dem Gipfel des Corcovado, deren ausgestreckte Arme in der 3D-Fassung gar kurzzeitig ins Publikum ragen, oder aber die ausschweifend zelebrierte Sicht auf den Zuckerhut und die Copacabana sind solche Kinomomente, die zeigen, dass hier jemand wirklich mit viel Liebe zur Sache am Werk war.
Dass sich die durch den Rhythmus entfesselte Begeisterung nicht auch auf die erzählte Geschichte überträgt, ist dabei vielleicht die größte Überraschung dieses hervorragend animierten Abenteuers. Denn das Schicksal um Blu, der nicht fliegen kann, und sich nach und nach in die impulsive Jewel verliebt, wird konträr zum eingangs Gesagten mit wenig Fingerspitzengefühl und reichlich gehetzt präsentiert. Während man Letzteres noch mit zwei zugekniffenen Augen dem Credo zuschreiben könnte, jeden Animationsfilm mit einem gehörigen Maß an Action auszustaffieren, um auch ja nicht zu langweilen, ist Ersteres gerade im direkten Vergleich zur nicht schlafenden Konkurrenz, die etwa in „
Oben“ [2009] im Zeitraffer die bisher vielleicht tragischsten Filmminuten eines Animationsfilms überhaupt geschaffen hat, kein Kavaliersdelikt mehr. Sicherlich gelten gerade im Genre des animierten Films, das nun mal von Haus aus hauptsächlich einem jüngeren Publikum zusprechen soll, andere Regeln als gewöhnlich, doch entbindet dies freilich nicht von der Prämisse, zumindest ein wenig Stringenz und Dramaturgie walten zu lassen. Leider verliert sich dieser Grundsatz in
„RIO“ mit zunehmender Laufzeit deutlich, weshalb der „The End“-Schriftzug für den geneigten Kinogänger auch wenig überraschend gerade dann auftaucht, wenn es (noch) nicht angeraten ist.
Somit plätschert die ohnehin schon mehr als vorhersehbare Geschichte weniger gefällig als erhofft dahin, was auch die ein oder anderen gelungenen Gags, welche zumeist auf das Konto der schrulligen Nebenfiguren gehen, im ansonsten arg konventionellen Animationsabenteuer nicht wettzumachen vermögen. So interessant die einzelnen Charaktere zunächst auch erscheinen mögen, so wenig erfährt man doch im Verlauf über sie. Sie alle sind nur Statisten auf der Bühne namens Rio, die sich selbst, dem Titel entsprechend, in den Vordergrund drängt und den anderen nur den Schatten lässt. Das ist verzeihlich, versteht man
„RIO“ vorwiegend als kostengünstige Urlaubsvariante mit Samba-Garantie. Als Unterhaltungsfilm hingegen ist Saldanhas erstes Projekt in Alleinregie „nur“ nett anzusehen, während es dem Vergleich mit der Genrekonkurrenz lediglich bedingt standhält. Da können auch prominente Synchronsprecher wie
David Kross oder ein
Roberto Blanco, der die lustigste Performance des Films innehat, nichts ausrichten. Schade. Nichtsdestotrotz sollte
„RIO“ vor allem den Jüngeren Spaß bereiten, wenngleich zu bezweifeln ist, dass nach dem Kinobesuch gleich die nächstgelegene Zoohandlung gestürmt wird. Denn dieses Mal dürften, wenn überhaupt, wohl eher die Tanzschulen Zulauf erwarten.
Fazit: „RIO“ präsentiert sich als toll animierte, aber arg überraschungsfrei verlaufende Animationskomödie, die Spaß bereitet, jedoch ihre Protagonisten zugunsten einer imposanten Städteschau stark vernachlässigt – und damit in gewisser Weise hält, was der Titel „versprochen“ hat.