"I will search for you through 1.000 worlds and 10.000 lifetimes!"
Hierzulande kennt man sie eher weniger, doch in Japan ist die Geschichte um 47 herrenlose Samurai (die sogenannten
Rōnin), welche Anfang des 18. Jahrhunderts mit beispielloser Treue den Tod ihres Herren rächten, mittlerweile in Teilen schon zum Nationalmythos gereift. Fraglos kein allzu leichter Stoff, den sich der Werbefilmer und Ridley Scott-Protegé
Carl Rinsch hier für seinen Spielfilmerstling ausgesucht hat. Umso überraschender ist es da wohl, dass das produzierende Studio
Universal Pictures hierfür ein geschätztes Budget von mindestens 175 Millionen Dollar bereitstellte (manche Quellen sprechen sogar von beachtlichen 200 Millionen Dollar), denn Massentauglichkeit lässt sich dem ambitionierten Werk, das in den Staaten bislang einen glatten Fehlstart hingelegt hat, nicht attestieren. Der sich vor unseren Augen entfaltende, bildgewaltige Reigen ist zwar jederzeit schön anzusehen, gestaltet sich aber davon abgesehen als durchgängig bierernstes und weitaus redelastigeres denn actionorientiertes Werk, das zudem übermütig zwischen anspruchsvollem Arthousekino, vereinzelt eingestreuten Fantasyelementen, brachialem Schlachtenepos und konventionell-hinzugedichtetem Liebesdrama pendelt. Schon lange wurden klassische Sehgewohnheiten nicht mehr auf eine derart harte Probe gestellt.
Der gesetzlose Krieger Kai (Keanu Reeves) sc
hließt sich einer Gruppe herrenloser Samurai, den sogenannten „
47 Rōnin“, an. Sie wollen Rache an dem kaltherzigen Lord Kira (Tadanobu Asano) nehmen, der den Tod des Oberhaupts der Samurai zu verantworten hat. Außerdem nahm Kira dessen Tochter Mika (Kou Shibasaki), zu allem Überfluss Kais Geliebte, gefangen und gelobte, diese nach einem Jahr der Trauer zu ehelichen. Mit Unterstützung von der mysteriösen Mizuki (Rinko Kikuchi), einer Hexe, unterdrückt Kira seitdem unbarmherzig sein Volk. Kai macht sich daher mit den 47 Samurai auf zu Lord Kiras Festung, um dessen Schreckensherrschaft ein für alle Mal zu beenden. Der Beginn eines Abenteuers, bei dem nicht nur etliche Fabelwesen, sondern auch Dämonen den gefahrvollen Weg der Krieger kreuzen.
Fabelwesen? Dämönen? Richtig gelesen. Obschon es sich bei der Geschichte der
47 Rōnin um einen in der Realität verwurzelten Nationalmythos handelt, hat dies Regisseur Carl Rinsch mitsamt seinem Autorengespann nicht davon abgehalten, Fantasy-Elemente in den Film einzustreuen. Um jedoch gleich Entwarnung zu geben: Abgesehen von einem wildgewordenen, sechsäugigen Monster zu Beginn, riesenhaften Hünen in einer Art
Fight Club und Dämonen, die Kai mitsamt Gefolgschaft einer harten Prüfung unterziehen, hält sich Rinsch relativ nahe am Originalstoff. Die Hexe, die sich gegen Ende noch formschön in eine Drachenschlange verwandeln darf, wurde hier bewusst ausgelassen, da sie Lord Kira auch genauso gut mit ihren weiblichen Reizen „verhext“ haben könnte, ohne dass sich an der Grundintention des Film etwas ändern würde. Und wenn sie respektive ihr Umhang wie eine seidene Schlange durch die Luft schwebt, um des Nachts lautlos ihre finsteren Pläne in die Tat umzusetzen, dann kann dies durchaus als bildliche Metapher für ihr intrigantes Verhalten im Schatten und nicht etwa als ein dem Zeitgeist geschuldeter Fantasy-Aspekt verstanden werden.
Damit bleibt nicht viel übrig, was
„47 RONIN“ in die Nähe eines Fantasy-Actioners rücken könnte. Selbst die spätere Prüfung durch die Dämonen wirkt weitaus weniger fantastisch, wenn man ihre an den Tag gelegten Fähigkeiten einfach mit den Subjekten
Schnelligkeit und
Körperbeherrschung gleichsetzt. Es verbleibt ein recht strammes Story-Korsett, das sich überraschenderweise eher kopf- denn actionlastig präsentiert, wenn die 47 Krieger ihrem selbstgewählten Schicksal entgegen marschieren. Selbst derjenige unter uns, der die zugrundeliegende Geschichte nicht kennen sollte, muss am Anfang nur aufmerksam zusehen, um die am (Film-)Ende drohende Konsequenz, die in dem Entschluss der Samurai liegt, frühzeitig vorausahnen zu können. Dies ist, vor allem für einen teuren Hollywood-Film diesen Kalibers, eher ungewöhnlich, wird hier doch nichts beschönt oder gar umgeschrieben. Wahrscheinlich der lobenswerteste Aspekt in diesem über alle Maßen ambitionierten Epos, das ansonsten aber wohl keinen leichten Stand in der Zuschauergunst haben dürfte.
Der Hauptgrund hierfür ist dabei so naheliegend wie ärgerlich:
„47 RONIN“ ist einfach zu risikofreudig, was im Hinblick auf das imposante Budget und die thematisch eher schwere Kost einem Schicksalsmarsch zu einem ungewissen Ziel gleichkommt. Die Verortung in einer Welt, die auch Fabelwesen und Dämonen ein Zuhause bietet – geschenkt. Denn dies sind noch jene Momente, die am besten funktionieren, da sie Bekanntes neu aufbereiten. Der Rest: anspruchsvolle Arthouse-Dramatik im Samurai-Gewand, die in ihrer Opulenz wirklich toll aussieht, den nicht leichten Stoff aber bierernst, ohne einen Funken Ironie und damit teils recht zäh wiederkäut. Und so wirkt der einzige, leidlich witzige Moment gen Ende (Ein Mann, sein Schwert und ein Ast) wie ein Fremdkörper im Gesamtkonzept, passt er doch einfach nicht zur sonst durchgängig grimmigen Grundstimmung des Films, welcher darüber hinaus selbst so seine Probleme hat, eine einheitliche Note zu wahren. Es kommt nicht allzu oft vor, aber hier ist es dann doch geschehen:
„47 RONIN“ zieht, eigentlich löblich, seine ambitionierte Vision von Anfang bis Ende konsequent durch, vergrätzt in seiner inkohärenten Machart, die unnötigerweise wild durch diverse Genres hüpft, aber auch den Geschmack des Publikums, das bald schlichtweg nicht mehr weiß, ob es nun Samurai-Action, redelastiges Liebes-Drama oder solide getrickste Fantasy goutiert. Oder gleich alles zusammen.
Ausstattungstechnisch eine glatte 1, inhaltlich aber fast durchweg schwerfällig – So wird
„47 RONIN“ letztlich dem Kinopublikum mutig vorstellig. Nur zahlt sich der Mut nicht aus. Der derzeit leicht strauchelnde, einstige Kinoheld
Keanu Reeves („
Matrix“ [1999]) tut sein Bestes, die vormals noch als bloße Nebenrolle angedachte Figur des Halbbluts Kai zur Haupt- und Indentifikationsfigur für das westliche Publikum aufzublasen, bleibt im direkten Vergleich zu seinen japanischen Schauspielkollegen jedoch erstaunlich blass. Selbst wenn man das mienenlose Spiel noch irgendwie mit seiner Rolle als „treuergebener Samurai im Geiste“ in Verbindung bringen kann, so überzeugen
Hiroyuki Sanada („
Wolverine: Weg des Kriegers“ [2013]) oder
Rinko Kikuchi („
Pacific Rim“ [2013]) mit ihren nuancierten Performances doch weitaus mehr. Apropos überzeugend: Dies trifft auf die begutachtete 3D-Fassung des Films leider überhaupt nicht zu, da der dreidimensionale Effekt bis auf einige wenige Ausnahmen überraschend unauffällig bleibt. Sehr schade bei dem Potential.
Fazit: Der Entschluss, einen japanischen Nationalmythos auf die Leinwand zu bringen, verdient gerade in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um das Erstlingswerk eines amerikanischen Regisseurs handelt, zunächst einmal uneingeschränkten Respekt. Doch Ambitionen alleine reichen zumeist nicht aus: Zu verkopft, um massentauglich zu sein, ist die Hollywood-Fassung der
47 Rōnin letztlich nicht mehr als ein netter Bilderrausch, dem seine ohne Zweifel sehr ehrgeizige Prämisse letzten Endes zum eigenen Verhängnis wurde.
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