Über die Nachkommen der 68er – man nennt sie pauschal auch “Generation X” – sind zwischen Anfang und Mitte der 90er Jahre drei Kinofilme entstanden, die den Nerv eben dieser Generation von jungen Menschen, deren Hauptcharakteristika die Abgrenzung des von ihren Vorfahren kultivierten Wohlstandszirkus und allgemeine Perspektivlosigkeit sind, haargenau getroffen haben: In Richard Linklaters
Before Sunrise schlenderten Ethan Hawke und Julie Delpy eine ganze Nacht lang plaudernd und philosophierend entlang der schönsten Plätze Wiens. In Ben Stillers
Reality Bites konnte sich die junge Produktionsassistentin Winona Ryder nicht zwischen ihren beiden WG-Mitbewohnern – der eine ein charmanter Faulenzer (wieder Hawke), der andere ein verklemmter Workaholic (Stiller) – entscheiden. Der Dritte im Bunde jener „Generation X“-Filme ist Cameron Crowes „Singles“, eine feinfühlige Dramödie über die Selbstfindungsprobleme einer Handvoll Mittzwanziger und deren angestrengter Suche nach dem großen Los in der Liebe – und ganz nebenbei ein kleines Fest für Fans der Grungemusik, deren Wurzeln in Amerikas westlicher Industrie- und Hafenmetropole Seattle liegen, in der die Filmhandlung spielt.
Die frustrierte Umweltaktivistin Linda (Kyra Sedgwick) hat schon einige schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht, die ihr zunächst Zuneigung v
orheuchelten und sie dann im Regen stehen ließen. Als sie bei einem Rockkonzert den smarten Nahverkehrsplaner Steve (Campbell Scott) kennenlernt, hat sie jedoch das Gefühl, dass ihre Beziehung anstatt einer weiteren kurzlebigen Affäre diesmal etwas Verlässliches sein könnte. Derweil versucht Steves gute Freundin Janet (Bridget Fonda) das Herz des verplanten Frontmanns der (fiktiven) Band „Citizen Dick“, Cliff (Matt Dillon), zu erobern. Der hat die Wände seiner unaufgeräumten Bude komplett mit üppig gebauten Szenefrauen zugekleistert, was in Janet sonderbare Minderwertigkeitskomplexe auslöst. Sie glaubt, mit ihrer relativ überschaubaren Oberweite nicht in Cliffs Beuteschema zu passen und will sich beim Schönheitschirurgen die Brust vergrößern zu lassen, um ihrem Schwarm zu gefallen. Und last but not least wäre da noch die leicht hysterische Debbie (Sheila Kelley), die die skurrilsten Videoannoncen aufgibt, um die Männer anzulocken…
Würde man „Singles“ vorwerfen, dass er manche der angeschnittenen Themen einen Tick zu oberflächlich behandelt, wäre das sicher richtig, mit einem voreiligen Verriss würde man dem Film aber dennoch Unrecht tun. Denn eine hausgemachte Beziehungskiste á la Hollywood ist das Werk von „Almost Famous“-Regisseur Cameron Crowe ganz bestimmt nicht. Der Film pickt sich - wie es der Titel bereits verrät – einige „Singles“ als Exempel heraus und begleitet sie auf dem Weg zu der oder dem Richtigen – ein Weg, der mit allerlei Stolpersteinen ausgelegt ist, weil einem die „große Liebe“ eben nicht so ohne weiteres vom Himmel fällt. Anhand der dargebotenen Schicksale porträtiert Crowe ein bisschen im Stile von Lawrence Kasdans episodisch angelegtem „Grand Canyon“ (ebenfalls von 1992) den Lifestyle eine ganzen Generation und greift mit der um sich selbst zirkulierenden Geschichte gleichermaßen die meist symbolträchtig artikulierten Sehnsüchte einer Gruppe orientierungsloser Twentysomethings nach Zweisamkeit und vertrauenswürdigen Haltepunkten, als auch einiges an substantiellen Wahrheiten auf. Crowe macht seinem Publikum nichts vor und schafft Situationen, die teilweise so oder zumindest ähnlich jedem von uns bekannt vorkommen dürften. Auch die Charaktere sind dabei direkt aus dem Leben gegriffen: Matt Dillon steht als unangepasster Einzelgänger mit langer Matte nicht nur perfekt für die gesamte Jugend der 90er, sondern wirkt in seiner Art, wie er spricht und wie er sich verhält, wie jemand, den man von irgendwo her zu kennen scheint. Oder Kyra Sedgwick als zögerliche Karrierefrau, die sich nichts sehnlicher wünscht, als ihren Garagentüröffner in die Obhut eines vertrauenserweckenden Partners zu geben.
Die Stadt Seattle ist dabei keinesfalls nur eine austauschbare Randkulisse, galt sie zu Beginn der 90er doch als die Hochburg der aufkeimenden Grungewelle. Durch Nirvanas empathische Hymne „Smells Like Teen Spirit“ quasi über Nacht mit dem Grungevirus infiziert, machte sich eine riesige Fanschar (nicht nur in Seattle) auf, um mit zerrissenen Jeans und wilder Mähne gegen die Obrigkeiten zu rebellieren und den verhassten „Bonzen“ mit einem lautstarken fuck off entgegenzutreten. Auch wenn jüngere Semester den Hype um jene populäre Undergroundbewegung wohl kaum mehr vollends nachvollziehen dürften, kann kein waschechter Fan heute Songs wie „Come As You Are“ oder „Jeremy“ hören, ohne dabei einen Kloß im Hals herunterschlucken zu müssen. Um dieser Ära, die 1994 mit dem Suizid von Grunge-Lichtgestalt Kurt Cobain ein vorzeitiges Ende fand, ein andächtiges Denkmal zu setzen, gestattet Rockfan Cameron Crowe einigen ortsansässigen Bands wie Pearl Jam, Alice in Chains und Soundgarden kurze Gastauftritte. Überhaupt ist der Soundtrack mit weiteren Genrehighlights wie Mudhoney, den Smashing Pumpkins oder Mother Love Bone ein Ohrenschmaus für jeden Fan.
Fazit: Cameron Crowes „Singles“ ist ein stiller, unaufgeregter, aber dennoch äußerst sensibler Film mit einem geschärften Sinn für das Zeitkolorit der frühen 90er. Und auch wenn hier und da der Feinschliff fehlt, bleibt das Endresultat trotzdem sehens- (und auch hörens-)wert!