Die Superheldenfilme scheinen nunmehr in der Ära der existentiellen Abrechnung angekommen zu sein. Nicht nur, dass der extraterrestrische Mann aus Stahl gegen den dunklen Ritter aus Gotham in „
Batman v Superman: Dawn of Justice“ die Hand erhoben hat, auch Iron Man und Captain America, zwei ehemals Verbündete, überwarfen sich im Interessenkonflikt und suchten in „
The First Avenger: Civil War“ die Lösung ihrer Differenzen in einer großformatig angelegten Rauferei. Dieser Tage scheinen die das Kino flächendeckend verstopfenden Comic-Adaptionen voll auf Konfrontation, Konflikte und Kontroversen ausgelegt zu sein, die das obligatorische Gut-und-Böse-Schema nicht nur einfach hinterfragen, sondern auch aushebeln, wenn sich Freunde, die eigentlich für das Wohl der Menschheit einstehen, plötzlich als Feinde gegenüberstehen. In „X-Men: Apocalypse“ bricht ebenfalls ein bedeutungsschweres Gefecht Bahn, in dem nicht nur Gefährten zu Widersachern werden, Bryan Singer („
Jack and the Giants“) lässt seine mutierte Bagage, der Titel kündigt es an, gar dem Weltuntergang entgegenblicken.
Die nunmehr achte Ausformung des „X-Men“-Franchise („
Deadpool“ wird an dieser Stelle
nicht miteinbezogen) ist an dem Punkt angekommen, der sich irgendwann unweigerlich in ein derart ausgedehntes Universum einschleichen musste: Offenkundig scheint der Vorrat an Ideen ausgegangen zu sein. Erschöpfung macht sich breit. Zeichnete sich die Reihe um die überbegabten X-Männer und Frauen – jedenfalls unter der Ägide von Matthew Vaughn und Bryan Singer – dadurch aus, die Balance zwischen Spektakel und Charakterzeichnung akkurat aufrecht zu halten, scheinen Singer und sein Drehbuchautor Simon Kinberg in „X-Men: Apocalypse“ nicht mehr in der Verfassung, dem hiesigen Superheldenvakuum künstlerisch entgegenzusteuern. Die Leichtigkeit, mit der man der Mutantenschar um Professor Xavier (James McAvoy, „
Wanted“) und Magneto (Michael Fassbender, „
Prometheus - Dunkle Zeichen“) in „X-Men: Erste Entscheidung“ einer Verjüngung unterzogen hat und die Lust am Geschichtenerzählen, die Bryan Singer in der wunderbaren Fortsetzung „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“ auslebte, scheinen größtenteils passé.
Zu oft bestätigt sich „X-Men: Apocalypse“ offen als auf reinen Umsatz bedachtes Kommerzprodukt, welches primär darauf ausgelegt ist, die Prequel-Trilogie zu einem Abschluss zu führen. Ein funktionaler Eindruck, den Bryan Singer noch in „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“ gänzlich ad absurdum führte, als er dem Zeitlinienchaos der Serie mit beständiger Radikalität begegnete und nicht nur den von Fans und Kritikern weitestgehend verschmähten „X-Men: Der letzte Widerstand“ für quasi ungeschehen erklärte, sondern auch einen Kontinuitätsstrudel heraufbeschwörte, der sich irgendwo zwischen Prequel, Sequel und Reboot entlud. Es wäre mit Sicherheit zu harsch ausgedrückt, würde man „X-Men: Apocalypse“ als kompliziert titulieren, dadurch, dass der Film aber bis unters Dach mit (alten neuen und neuen alten) Figuren und verschiedenen Handlungssträngen vollgestopft wurde, erscheint das grundsätzlich reichlich konventionelle Narrativ des sich über 140 Minuten erstreckenden Blockbusters wirr und wüst, was die Nachvollziehbarkeit des Zuschauers schon mal auf eine merkliche (Gedulds-)Probe stellt.
Dass „X-Men: Apocalypse“ trotz erheblicher Defizite kein Totalausfall geworden ist, liegt nicht unwesentlich an der namhaften Schauspielriege, die vom Drehbuch zwar so unterfordert wurde, wie selten zuvor, aber die grundlegende Klasse besitzt, dieses aufgeblähte Heldenscharmützel innerhalb des effektgeladenen Schaulaufens zuweilen irgendwie stilvoll abzufedern. Gerade Michael Fassbender ist es, der Einblicke in das Seelenleben des weiterhin strauchelnden, von Erinnerungen geplagten Magneto erlaubt, wenngleich seine Motivation, sich als einer der apokalyptischer Reiter dem archaischen Ur-Mutanten En Sabah Nur aka Apocalypse (Oscar Isaac, „
A Most Violent Year“) anzuschließen, schon reichlich schwachsinnig erscheint: Ein Opfer des Faschismus schließt sich einer neuen faschistischen Macht an. Aber auch hier lässt sich mit gutem Willen das Paradethema der „X-Men“-Reihe feststellen, wenn Emotionen die Protagonisten von jedweder Vernunft abschirmen: Weiterhin müssen sich die Beteiligten darin üben, ihre Gefühle richtig einzuordnen, bevor die Welt an Hass und Gewalt zugrunde geht. Mag Bryan Singer auch nichts Neues mehr zu erzählen haben, auf seine Darsteller kann er sich immerhin verlassen.
Cover & Szenenbilder: © 20th Century Fox 2016