Small World – der Bestseller des Schweizer Autors Martin Suter wurde letztes Jahr verfilmt. Suter hat es trotz der schweren Thematik “Alzheimer” geschafft, ein glaubwürdiges Happy End hinzubekommen, bei dem der Leser Hoffnung schöpfen kann und wenigstens ein klein bisschen versöhnt wird mit der bedrückenden Lebensgeschichte der Hauptfigur. Der Film veränderte die Story in grundlegenden Elementen, was ja nicht verboten ist, wagte sich damit jedoch auf dünnes Eis.
Bei Small World geht es um den an Alzheimer erkrankten Konrad Lang (Gérard Depardieu). Im Buch ist wunderbar einfühlsam beschrieben, wie Lang langsam merkt, dass etwas nicht stimmen kann. Autor Suter griff hier sicher auf die eigenen Erinnerungen zurück, denn sein Vater starb im fortgeschrittenen Stadium dieser Krankheit. Der Film hat diesen Teil der Handlung wirklich gut umgesetzt und nimmt den Zuschauer mit in die Welt des Vergessens. Im Supermarkt ein zweites Mal ins Regal greifen und erkennen, dass das Produkt bereits im Korb liegt. Doch mit der Zeit werden es größere Sachen: den Weg nach Hause nicht mehr finden, gedankenlos in Unterhose draußen im Schnee herumlaufen. Je mehr Lang die Abläufe von vor einigen Sekunden vergisst, desto intensiver kommen Szenen aus seiner Kindheit hoch. Und nun wird es spannend.
Lang wurde von Elvira Senn (Francoise Fabian) im Umfeld der Reichen und Schönen großgezogen, nachdem seine Mutter ihn verlassen hatte. Sein Spielkamerad war
Thomas (Niels Arestrup), Elviras Stiefsohn und Erbe des industriellen Senn-Imperiums. Als erwachsener Mann hatte Konrad für Elvira und Thomas Senn keine Funktion mehr und wurde abgeschoben, um sich u.a. als Hausmeister um ihr teures Ferienanwesen zu kümmern. Doch plötzlich steht Konrad als alternder Mann vor ihrer Tür und bringt mit seinen Erinnerungen Unruhe in ihr schönes Luxusleben. Konrad erinnert sich an seine Mutter und dass er Angst vor ihr hatte. Er erinnert sich an längst vergessene Reisen und an Namen, die er eigentlich gar nicht kennen dürfte.
Simone (Alexandra Maria Lara), die Schwiegertochter von Thomas, nimmt sich der Betreuung Konrads an. Sie zeigt ihm alte Fotos und versucht alles, um seine Krankheit aufzuhalten. Beide erfahren eine ganz besondere Bindung, obwohl Konrad Simone täglich neu kennenlernt: “Small World – die Welt ist klein, so trifft man sich wieder.” Simone erfährt durch Gespräche mit Konrad mehr und mehr aus seiner Vergangenheit und dem Familienleben der Senns. Und auch, warum Konrad ein Leben lang gefürchtet, und deshalb kontrolliert und gedemütigt wurde.
Regisseur Bruno Chiche ließ in seiner Drehbuch-Adaption einige Figuren des Romans weg und steckte ihre Funktionen anderen Rollen zu. Komplett gestrichen wurde die Figur der Rosemarie, die größtenteils von Simone übernommen wurde: sie entdeckt seine Krankheit und kümmert sich um ihn. Dass sie jedoch nicht mehr die Aufdeckerin des Geheimnisses sein durfte, stimmt missgünstig. Auch das persönliche Happy End von Simone wird gestrichen, was den Kenner des Buches sehr stören dürfte. Der größte Unterschied zum Roman, und dies war sicherlich kein gelungener Griff, ist jedoch die komplette Streichung von Konrads Heilungsprozess. Natürlich kann ein Drehbuchautor machen, was er möchte, aber essentielle Dinge sollte er niemals verändern. Die letzte Filmszene macht klar, dass Konrad krank ist und bleibt.
Ganz hervorragend ist die Besetzung. Alexandra Maria Lara und Gérard Depardieu sind ein tolles Paar. Sie verzichtet in ihrem Spiel gerne auf zuviele Grimassen, Schmollmunderei und sonstige übertriebene Mimik. Sie hat einen eher reduzierten Stil, der zur Rolle der Simone perfekt passt. Depardieu spielt den kranken Konrad derart leichtfüßig und unbeschwert wie ein Kind, dass dies zutiefst beeindruckt. Und nicht nur, wenn wir uns seine Statur ins Gedächtnis rufen. Der personifizierte Teufel Elvira wird von der Grande Dame des französischen Kinos dargestellt. Francoise Fabian spielte an der Seite von Cathérine Deneuve, Jean-Paul Belmondo und Jean Gabin. Dass Fabian die Rolle der Elvira meistert, war zu erwarten, obwohl dazu gesagt werden muss, dass es sich um eine eher eindeutige und eindimensionale Figur dreht.
Wer die Buchvorlage nicht kennt, wird den soliden und spannenden Film mit hochrangigen Schauspielern zu schätzen wissen. Liebhaber des Romans hingegen dürften von dieser Adaption enttäuscht sein. Die Handlung wurde so sehr reduziert, dass der grundlegend optimistische Hintergrund des Romas völlig verlorengeht. Es verbleibt eine düstere und beklemmende Geschichte über einen Alzheimerpatienten, der als Kind in die falschen Hände geriet und sich aufgrund seines weichen Charakters ein Leben lang nicht wehren konnte.