Ein Mann, bekleidet nur mit weißen Boxershorts, treibt mit dem Gesicht nach unten in einem schicken Swimmingpool – die Kamera beobachtet ihn von oben, aus dem Off erklingt seine Stimme. Wie es zu dieser Szene gekommen ist, rollt der Film nun in einem großen Rückblick auf, erst kurz vor Schluss gelangt die Handlung demnach wieder an diesen Anfangspunkt. Alles beginnt mit der Ankunft von Jürgen, einem selbstgefälligen deutschen Schriftsteller, der ein Buch über die berühmt-berüchtigte Stricherszene am Santa Monica Boulevard in Los Angeles. Jürgen verliebt sich auf den ersten Blick in einen dort tätigen, perfekt gebauten “Hustler“ (gespielt von Tony Ward). Dieser begeht gerade Fahrerflucht, nachdem er einem Freier die Brieftasche geleert hatte und verletzt einen Mann dabei schwer. Über einige Umwege lernen sich die beiden kennen, nachdem Jürgen seinen Schwarm nochmals bei einem schwulen Pornodreh gesehen hatte, wo Ward als Fluffer fungiert. Ward selbst will nicht viel zu tun haben mit einer kränklich aussehenden Schwuchtel wie Jürgen, wird aber von guter Bezahlung geködert. Er soll aus erster Hand über die Szene berichten und damit einen wichtigen Teil beitragen zu den Recherchen für das kommende Buch, in Wahrheit will Jürgen dem Adonis aber nahe sein. Schließlich kommt es zu einem Unfall, der die Anfangsszene wieder aufgreift...
Bruce La Bruce spielt den blasierten Autor Jürgen selbst mit Freude an Überzeichnung. So verbietet er sein
em Fahrer das Rauchen und steckt sich im nächsten Moment demonstrativ selbst eine Zigarette an. Als der freundliche Fahrer versucht ein Gespräch aufzubauen, würgt Jürgen ihn unfreundlich ab. Er möge sich doch vorstellen, das einfache Fahrzeug sei eine Limousine und zwischen den beiden befinde sich eine Trennscheibe aus Glas. Jürgen steht hier stellvertretend für jene prätentiösen Künstler, die vom bisherigen Erfolg (der so groß nicht sein kann, schließlich wird Jürgen nicht in einer Limousine kutschiert) berauscht scheinen und Wichtigtuerei mit Schaffensdrang verwechseln. Süffisant macht sich HUSTLER WHITE über Jürgen lustig, ohne ihn aber zur Karikatur verkommen zu lassen. Dagegen überzeugt Tony Ward, seines Zeichens selbst Fotograf, Model und Darsteller allein durch seine Körperlichkeit und seine starke erotische Ausstrahlung. Die Kamera kann sich kaum satt sehen an seinem anmutigen, gestählten Körper, der schon für Madonnas (mit der Ward Anfang der 90er auch eine Beziehung hatte) skandalöses Fotobuch SEX freizügig abgelichtet wurde. Nach zahlreichen Auftritten in Musikvideos ist Tony Ward hier in seiner ersten Filmrolle zu betrachten und schafft es sogleich, seine Anziehungskraft entsprechend umzusetzen.
HUSTLER WHITE ist kein Film, der die schwule Community feiert oder sich mit den üblichen Fragestellungen aufhält. Weder Coming-Out-Probleme, noch AIDS, homophobe Diskriminierung oder ähnlich gelagerte Schwerpunkte scheinen La Bruce zu interessieren, ebenso wenig wie eine Romantisierung des gezeigten Milieus. Außer Jürgen gibt es keine feminine Homosexuelle zu sehen, die Ästhetisierung des männlichen Körpers orientiert sich an gängigen Vorbildern von Kenneth Anger bis hin zu Jack Wrangler und ist maßgeblich beeinflusst durch die Co-Regie des Starfotografen Rick Castro. Dieser ist für seine „harten“ Bilder bekannt und fokussiert nicht selten sadomasochistische Darstellungen auf hohem künstlerischen Niveau. Die schmale Grenze zur Hardcore-Pornografie übertaumelt der Film mehrfach, ohne aber zur voyeuristischen Fleischbeschau zu geraten. Dennoch wird in jeder Einstellung der männliche Körper gefeiert, der als hyper-maskulines Ideal die Szenerie bestimmt. La Bruce unternimmt des weiteren zu keinem Zeitpunkt einen Versuch, den Lebensstil eines Strichers psychologisch zu ergründen – vom sozialen Background der Figuren ist nichts zu sehen, was einen Mann wie Montgomery Ward auf die Straße treibt (abgesehen von den offensichtlichen finanziellen Interessen) bleibt unerforscht und in diesem Kontext schlichtweg egal.
Bei aller Radikalität der Bilder (nicht selten sind erigierte Penisse zu sehen, auch wenn es nie zu sichtbaren Penetrationen kommt) ist HUSTLER WHITE eine Annäherung an den Mainstream, auch wenn dieser Begriff hier auf den ersten Blick deplatziert ist. Im Vergleich zu früheren Werken von La Bruce ist der Film wesentlich zugänglicher, weniger avandgardistisch und pornografisch ausgefallen, zudem dominiert der heitere Ton jederzeit, selbst in den mitunter verstörenden Details. Hier sei ein Kunde genannt, der seltsame Fetisch-Praktiken bevorzugt und ungeachtet seiner seriösen Büromensch-Ausstrahlung zur echten Gefahr wird. Letztendlich entzieht sich der hervorragend fotografierte und klug konstruierte Film den gängigen Schubladen und mäandert gekonnt zwischen Underground, Massenkompatibilität und endet mit einem kecken Epilog, der fast schon in surrealistische Gefilde gleitet. Die bizarr-romantische letzte Einstellung vor einem braunroten Sonnenuntergang am Strand kann sowohl als sarkastische Utopie als auch als sinnliches Bekenntnis zu wahrer Liebe aufgefasst werden. Letztere überwindet ja bekanntlich so manches.