Der Name Tschernobyl ist mit Schrecken besetzt, die leider aus keinem Hollywood-Drehbuch stammen, sondern nur allzu real und gerade deswegen so grauenvoll sind. Die nukleare Katastrophe, die sich 1986 als Folge einer eigentlich routinemäßigen Überprüfung der Sicherheitssysteme in dem ukrainischen Kraftwerk ereignete, kostete zwar nur wenigen Mitarbeitern unmittelbar das Leben, doch Tausende von Menschen wurden extrem hohen Dosen von Strahlung ausgesetzt und haben bis heute mit den teils schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen zu kämpfen. Es wird erwartet, dass die Zahl der Tode, die indirekt auf diese Verstrahlung zurückzuführen ist, in den kommenden Jahren noch massiv steigen wird, von den Langzeitfolgen für Flora und Fauna in den betroffenen Gebieten gar nicht zu reden.
So wurden Hunderttausende von Quadratkilometern schwer belastet, Wind und Regen trugen radioaktive Teilchen bis in die entferntesten Winkel der meisten Länder Europas. Während die Strahlenbelastung in Westeuropa jedoch überwiegend niedrig genug war, um als unbedenklich eingestuft werden zu können, wurde eine 30-Kilometer-Zone rund um das ukrainische Kraftwerk vollständig geräumt und nach der anfänglichen Hoffnung auf die baldige Rückkehr der Einwohner schließlich für weitgehend unbewohnbar erklärt. Mitten in dieser Zone, in Sichtweite des havarierten Reaktors, liegt Pripyat, wo einst Mitarbeiter des Kraftwerks mit ihren Familien wohnten. Heute ist Pripyat eine Geisterstadt,
in der von den vormals fast 50.000 Bewohnern nur noch das zeugt, was sie bei der eiligst durchgeführten Evakuierung zurücklassen mussten. Doch ganz vereinsamt ist der Ort nicht, denn dieses stumme Zeugnis einer von Menschenhand geschaffenen Katastrophe hat sich zu einem Anziehungspunkt für Touristen entwickelt, die statt der üblichen Sehenswürdigkeiten lieber ein Stück Geschichte hautnah erleben wollen, vielleicht auch in der Hoffnung, hier einen ganz besonderen Nervenkitzel zu erleben.
Eben diese Tatsachen bildeten die Grundlage für eine düstere Erzählung aus der Feder von
Oren Peli ("
Paranormal Activity"), die nun unter dem Titel
"CHERNOBYL DIARIES" ihren Weg in die Kinos findet. Der Zuschauer folgt einer Gruppe von sechs jungen Leuten und ihrem Guide, die sich auf das Abenteuer Extrem-Tourismus einlassen und nach Pripyat fahren, um sich die Geisterstadt mit eigenen Augen anzusehen. Doch bereits die Ankunft verheißt nichts Gutes, denn die Stadt wurde vom Militär abgesperrt. Aber ein guter Guide weiß immer einen Weg, auch wenn der durch ein inoffizielles Hintertürchen und über unbefestigte Wege in die verbotene Zone führt. Dort angekommen, erkundet die Gruppe die verlassenen Gebäude, wirft aus scheinbar sicherer Entfernung einen Blick auf das still gelegte Kraftwerk, hält diese etwas anderen Urlaubserinnerungen in Fotos fest und macht sich nach einer unerwarteten Begegnung mit einem nicht gerade fröhlich gestimmten Bären schließlich auf den Rückweg.
Doch gerade als die jungen Leute es sich mit gemischten Gefühlen im Auto gemütlich machen, stellt ihr Guide mit Schrecken fest, dass sich Jemand am Wagen zu schaffen gemacht und damit die eben noch erhoffte Rückkehr in die Zivilisation vereitelt hat. Die Gruppe sitzt fest, auch das Funkgerät erweist sich als unbrauchbar, und als schließlich die Nacht über Pripyat hereinbricht, erheben sich in unmittelbarer Umgebung der ängstlich im Wagen sitzenden Touristen unerwartete Geräusche, die den jungen Leuten schon sehr bald unmissverständlich klar machen, dass sie hier doch nicht so allein sind, wie sie es sich nun wahrscheinlich wünschen…
Zweieinhalb Jahrzehnte nach dem folgenschweren Unfall in Tschernobyl ist die nukleare Bedrohung für die Menschen außerhalb der unmittelbar betroffenen Gebiete zwar nicht mehr so präsent wie einst, die Katastrophe und ihre Folgen aber dennoch nicht vergessen. Dass sie nun als Rahmen für einen Horrorfilm dienen, kann man je nach Sichtweise als geschmacklos oder auch als mutiges Mittel zur Bewältigung verstehen. Darüber, inwieweit ein solcher Umgang mit der Vergangenheit nun zu bewerten ist, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden, widmen wir uns lieber dem Film selbst. Denn was hier unter der ersten Solo-Regie
Bradley Parker entstand, ist durchaus für ein paar Überraschungen gut, die über einige effektiv gesetzte Schreckmomente hinausgehen. So kommt
"CHERNOBYL DIARIES" ohne übermäßigen Gore-Einsatz und glücklicherweise vor allem ohne die in diesem Genre leider üblich gewordenen infantilen Sex-Witze aus und bietet damit echte Erleichterung und eine angenehme Abwechslung. Außerdem gelingt es, mit recht minimalem Aufwand eine spannungsgeladene Atmosphäre zu schaffen, die den Zuschauer tatsächlich in ihren Bann ziehen kann und ihn mit den nicht gerade vielschichtig gezeichneten, von ihren größtenteils unbekannten Darstellern aber solide verkörperten Figuren mitfiebern lässt. So weiß der Film – obwohl er sich auf eine simple Grundidee, eine noch simplere Geschichte und bewährte Genre-Konventionen, welche die Handlung vorantreiben sollen, verlässt – über weite Strecken überraschend gut zu unterhalten.
Aber leider kann
"CHERNOBYL DIARIES" die Erwartungen, die er mit fortschreitender Laufzeit unerwarteterweise aufbaut, letztlich doch nicht erfüllen, denn die Auflösung des Mysteriums lässt in vielerlei Hinsicht zu wünschen übrig. So bietet sich dem Zuschauer während des Showdowns schließlich ein in kürzester Zeit geflochtenes Netz von Klischees, die nur allzu bekannte filmische Stereotypen bedienen und sich nicht die Mühe machen, eine originelle Lösung zu finden. Letztlich wünscht man sich, dass die Macher statt auf die nun präsentierte Mischung aus halbgaren Erklärungsversuchen und einem offenen Ende lieber konsequent auf Letzteres gesetzt hätten, denn eine anhaltend unbekannte Bedrohung hätte wenigstens zum bis zu diesem Punkt aufgebauten Tenor des Filmes gepasst. Andererseits kann man wiederum froh darüber sein, dass die sogenannte Auflösung hier innerhalb kürzester Zeit erfolgt und sich nicht noch mehr in leeren Phrasen ergießt. Denn wie heißt es so schön: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. So hat man wenigstens die baldige Gelegenheit, sich von diesem Klischeeschock zu erholen und sich die noch nicht weit zurückliegenden positiven Aspekte des Films erneut in Erinnerung zu rufen. Damit ist
"CHERNOBYL DIARIES" immer noch besser als so mancher seiner Genre-Kollegen, gehaltvoller, als man es ihm im Vornherein zugestehen würde, aber letztlich leider nicht so gut, wie er mit ein wenig mehr Mühe hätte sein können. Doch aus Fehlern soll man bekanntlich lernen, und wo wäre dieser fromme Wunsch angebrachter als bei diesem Thema?!