HELLE KÖPFE BRAUCHT DAS LAND
„Was vorstellbar ist, ist auch machbar.“ - Schon der gute Albert Einstein hatte eine allzu genaue Vorstellung davon, was dem Menschen möglich ist. Solange nämlich die Kreativität des Einzelnen fortbesteht, kann jeder von uns die Welt verändern. Eine simple These vor wahrem Hintergrund, die sich Regisseur und Drehbuchautor
Brad Bird („
Ratatouille“ [2007]) hier zu Eigen macht, um in seinem aufwendigen Sci-Fi-Debüt
„A WORLD BEYOND“ (im Original:
„Tomorrowland“) eine zu einem großen Teil originell-spaßige Zukunftsvision zu entfesseln, die beiläufig wichtige Themen anschneidet:
Eine mysteriöse Anstecknadel führt die clever-quirlige Wissenschaftsliebhaberin Casey (Britt Robertson) über einige Umwege vor die Haustür des desillusionierten Mittfünfzigers Frank (George Clooney), der einst ein genialer Erfinder war. Nach einigen Startschwierigkeiten gelingt es Casey, Frank ein Geheimnis zu entlocken, das unmittelbar mit der seltsamen Anstecknadel und Franks eigenem Leben zusammenhängt: Irgendwo versteckt in Zeit und Raum existiert eine futuristische Welt mit dem Namen
Tomorrowland, in der einst alles möglich gewesen zu sein schien. Leider hat diese Welt infolge eines unerwarteten Machtwechsels ihren Glanz mittlerweile komplett eingebüßt, und Casey muss lernen, dass Erfinder Fra
nk seinerzeit aus dem Tüftler-Paradies
Tomorrowland verbannt wurde. Dieses Geheimnis zu teilen, hat in der Folge weitreichende Konsequenzen für das so ungleiche Duo, denn unbekannte Verfolger wollen um alles in der Welt verhindern, dass Casey und Frank diese Welt (erneut) betreten, um den Soll-Zustand wieder herzustellen.
Auf den ersten Blick fühlt sich
„A WORLD BEYOND“ an wie ein auf einer übervollen Ideenstrecke absolvierter wilder Achterbahnritt, welcher bis zur Zieleinfahrt nicht nur durch einen, sondern unzählige Loopings brettert. Eine Schlussfolgerung, die nicht von ungefähr kommt; immerhin basiert das Grundgerüst des neuesten
Disney-Realfilm-Abenteuers wie schon die „
Fluch der Karibik“-Reihe abermals auf einer Themenpark-Attraktion (in diesem Fall
Tomorrowland), und da wie dort wird freilich nicht gegeizt mit Stars, Schauwerten und actiongeladenen Sequenzen. So verwundert es fast ein wenig, dass
Disney nunmehr von der fast schon gängigen Praxis abgewichen ist, eine nachträgliche 3D-Konvertierung vorzunehmen (zumindest die Ausflüge ins
Land von Morgen böten sich hierfür nachgerade an) und im Kino die Pforten von
Tomorrowland vielmehr im klassischen 2D-Format öffnet. Doch den eingefleischten 3D-Puristen sei gesagt, dass die unter der Federführung von
Industrial Light & Magic (ILM) visualisierte Zukunftsspinnerei auch in dieser Form eine nicht unerhebliche Tiefenwirkung entfaltet. Ein optischer Leckerbissen ist
„A WORLD BEYOND“ mit seinem vermuteten 190 Millionen Dollar-Budget nämlich allemal.
Dass eine schöne Optik alleine jedoch nicht zwangsläufig für einen Kino-Hit bürgt, musste
Disney mit seinen letzten großen Realverfilmungen „
John Carter - Zwischen zwei Welten“ [2012] und „
Lone Ranger“ [2013] unschön am eigenen Leib erfahren. Johnny Depp, der derzeit strauchelnde Star, wusste den teuren (und im übrigen gar nicht so üblen) Action-Western nicht davor zu bewahren, zum veritablen Flopp zu geraten; und auch
Pixar-Meister Andrew Stanton, der 2003 erfolgreich nach Nemo suchen ließ, fand mit seinem optisch imposanten, aber inhaltlich trivial-verqueren Trash-Feuerwerk „John Carter“ bei allen künstlerischen Ambitionen keinen wirklichen Zuspruch beim Publikum. Dass
Disney mit Brad Bird nun einen weiteren
Pixar-Regisseur für einen Langfilm, noch dazu einen der originären Art, verpflichten konnte, erscheint angesichts der gerade kurz skizzierten Vorgeschichte da schon ein wenig mutig. Denn künstlerisch wie inhaltlich wertvolle Animationsfilme kreieren zu können, lässt erst einmal keinen Schluss darauf zu, wie es um einen Realfilm bestellt ist. Einen entscheidenden Vorteil gegenüber seinem Kollegen Andrew Stanton hatte Bird dann aber doch vorzuweisen. Das Zünglein an der Waage war „
Mission: Impossible - Phantom Protokoll“ [2011], der als Birds Realfilm-Debüt zum Hit und gefeierten Kritikerliebling geriet. Dieser Bird versteht also augenscheinlich sein Handwerk.
Nun also wagt sich der ehemalige Animationsfilmer in das Genre vor, das seinem Kollegen beinahe das Genick gebrochen hat: Science-Fiction. Doch anders als bei „John Carter“ kann sich Bird gänzlich frei entfalten, da
„A WORLD BEYOND“ bis auf die Tatsache, dass ein titelgebender Themenpark existiert, einen komplett originären Filmstoff und keine Adaption darstellt. So schöpft das kreative Mastermind hinter den
Unglaublichen [2004] auch sogleich aus den Vollen und erschafft zusammen mit „Lost“-Showrunner
Damon Lindelof (ein nicht erst seit „
Prometheus - Dunkle Zeichen“ [2012] vieldiskutierter Name) nach einer eigenen Idee eine faszinierend, gleichwohl verstörende Welt, in der die Wissenschaft das Schicksal der Erde zu lenken scheint. Wie, wird hier freilich nicht verraten. Nur soviel: Ginge es nach
Disney, würde in naher Zukunft eine Welt-Elite aus klugen Köpfen entsandt werden, um weitere Genies ausfindig zu machen oder einfach nur Menschen zu kontaktieren, die eine klare Vision von der Zukunft haben.
Uncle Donald wants you! Eine etwas befremdliche wie kluge Herangehensweise an ein Thema, das eigentlich jeden von uns interessieren sollte: Was kann der Einzelne für eine gelungene Zukunft beitragen?
„A WORLD BEYOND“ gibt uns die Antwort, auch wenn sich manch einer mit dieser ob ihrer leicht naiven Natur womöglich nicht so recht anfreunden mag.
Und hier liegt das eigentliche Problem des handwerklich wie inhaltlich ambitionierten Films, der erleuchten und neue Einsichten hervorbringen möchte: Er verzettelt sich mit zunehmender Laufzeit in seinem Zukunftsgeflecht und kulminiert schließlich sogar in einem Finale, das nach einem faszinierenden Anfang und einem starken Mittelteil fast ein wenig enttäuschend daherkommt. Der Bösewicht ist enttarnt, die Zukunft im Argen – und plötzlich ist von der einen auf die andere Minute alles vorbei, so als sei die Laufzeit mit großzügigen 130 Minuten noch immer zu wenig gewesen. Wollte hier ein kreativer Kopf einfach zu viel? Nicht anders ist es zu erklären, dass der Film bis zu diesem Punkt an jeder Ecke mit Überraschungen aufzutrumpfen wusste, von denen die meisten überaus gelungen sind, da man sie nicht in einem
Disney-Film erwarten würde. Wenn etwa plötzlich Agenten in bester
Men in Black-Manier in Houston ein Memorabilia-Geschäft namens
Blast from the Past zerlegen oder aber der Eiffelturm zweckentfremdet wird, dann staunt der Zuschauer und vergisst überdies glatt die zum Ende hin immer deutlicher hervortretenden Drehbuchdefizite. Dass Sein auch Schein und andersherum sein kann, zeigt der Film an späterer, denkwürdiger Stelle, wird aber trotzdem nicht müde, den Zuschauer mit immer neuen Schauwerten und teils einfach nicht zum Grundton der Geschichte passenden Humoreinlagen zu blenden. Übrig bleibt somit solide, aber etwas überkandidelte Kino-Kost.
Landen tun wir am Ende aber alle doch wieder auf dem (Erd-)Boden der Tatsachen, denn glücklicherweise handelt es sich hier immer noch um einen Brad Bird-Film. Die leichte Unentschlossenheit, mit der sich die originäre Story entwickelt, einmal außen vorgelassen, ist
„A WORLD BEYOND“ nämlich ein weitgehend durchdachtes, äußerst solides Science-Fiction-Familienabenteuer mit mahnender Öko-Botschaft, welches trotz etlicher skurriler Einfälle und narrativer Freiflüge am Ende dann doch erstaunlich geerdet daherkommt. Hauptschuld hieran dürfte sicherlich die Jungschauspielerin
Britt Robertson aus „Under the Dome“ [2013] tragen, deren Interpretation der technikliebenden, gleichwohl quirligen Casey jederzeit überzeugt – insbesondere im direkten Zusammenspiel mit Frauenschwarm
George Clooney („
Michael Clayton“ [2007]), der einen herrlich granteligen Erfinder mimt. Wenn hier im wahrsten Sinne des Wortes zwei Welten aufeinandertreffen, ist dies der Zündstoff, aus dem (amüsante) Kino-Konflikte erwachsen. Denn während Casey mit ihren jugendlichen Forscheraugen nur allzu interessiert neues Terrain beschreitet, ist es Frank, der sie mit stoischem Gehabe ein ums andere Mal zu bändigen versucht. Da verkommt „Dr. House“
Hugh Laurie bei aller Schauspielkunst schnell zum bloßen Stichwortgeber, der es recht schwer hat, sich über seine knappe Filmzeit hinaus noch großartig zu profilieren.
Fazit: Viel gewollt, etwas verzettelt: Trotz einiger Längen ist
„A WORLD BEYOND“ ein seit langem mal wieder originärer Stoff, der sowohl hinsichtlich der Geschichte als auch der künstlerischen Ausgestaltung äußerst solide zu unterhalten weiß. Nur das erhoffte neue Meisterwerk, das bleibt uns Brad Bird dieses Mal leider schuldig.