von Asokan Nirmalarajah
Billy Wilder, das muss mal angesichts seiner irreführenden Reputation als Regisseur frivoler bis seichter Komödien gesagt werden, ist ein raffinierter Misantroph und unverbesserlicher Zyniker. Sein Faible für unsympathische Figuren, inhumane Institutionen und menschliche Schwächen hat in düsteren Kriminaldramen wie
Double Indemnity (1944, dt. Titel: Frau ohne Gewissen), der verstörenden Alkoholikerstudie
The Lost Weekend (1945, dt. Titel: Das verlorene Wochenende) und der hysterischen Hollywood-Demontage
Sunset Blvd. (1950, dt. Titel: Boulevard der Dämmerung) schon einen passenden wie oft virtuosen Ausdruck gefunden. Dieser unangenehme, entlarvende Blick, den er auf die Charaktere seiner nicht minder bösen, aber selten so gedachten Lustspiele wirft stößt aber sonderbar auf, da selbst die vermeintlichen Identifikationsfiguren fragwürdig in ihrem Handeln und problematisch in ihren Lebensphilosophien erscheinen. Dies ist jedoch beleibe kein Ruf nach perfekten Leitfiguren, sondern eine Infragestellung der Ideologie, die Wilder unter dem Mantel harmloser, satirisch angehauchter Unterhaltung zu vermitteln sucht.
Dass Kritiker, Publikum und auch andere Regisseure den vielfach prämierten und schon zeitlebens als Hollywood-Legende verehrten Wilder und seine höhnische Wel
tsicht feiern bedarf keiner erneuten Betonung. Dass dieses Weltbild aber nicht immer zum Filmgenuss beiträgt dagegen sehr. Anders als in seinem vielleicht amüsantesten Lustspiel
Some Like It Hot(1959, dt. Titel: Manche mögen’s heiß) und seinen Dramen, erscheinen die negativen Attribute der Hauptfiguren seiner Oscar-prämierten romantischen Komödie
The Apartment(1960, dt. Titel: Das Appartement) als problematisch im Kontext der Intentionen der Geschichte, die Wilder mit gewohntem Witz und Gefühl, aber mit einer halben Stunde Überlänge hier erzählt. Denn während Wilders Figuren immer schon egoistische, asoziale Subjekte waren, deren sehr amerikanischer Individualismus in seinen Dramen letztlich oftmals in einer Tragödie, und in seinen Komödien in einer parodistischen Bestätigung gesellschaftlicher Normen endet, fordert
The Apartment den Zuschauer auf, sich mit einem Helden zu identifizieren, dessen Selbstlosigkeit und Rückgrat ebenso aufgesetzt wirkt wie seine vermeintliche Aufrichtigkeit und fast masochistische Menschlichkeit.
Diese schwierige Identifikationsfigur heißt C.C. Baxter (Jack Lemmon) und ist nur einer von vielen Angestellten einer großen New Yorker Versicherungsagentur. Um möglichst schnell innerhalb der Firma aufzusteigen, leiht der einsame Baxter sein Appartement in Manhattan diversen Vorgesetzten für deren außerehelichen Affären, während unser schüchterner Held selbst für das unnahbare Aufzugsmädchen Fran Kubelik (Shirley MacLaine) schwärmt. Diese hat jedoch eine Affäre mit dem verheirateten Firmenboss Jeff D. Sheldrake (Fred MacMurray), der von Baxters Arrangement mit dessen Vorgesetzten erfährt und statt ihn wegen unschicklichem Benehmen zu feuern, um den heiß begehrten Schlüssel zu Baxters Appartement bittet, mit der Zusicherung einer Promotion…
Die weiteren Verwicklungen und Wendungen in diesem Romantikklassiker sind weitgehend bekannt und oft genug zitiert worden. Und das nicht mal zu Unrecht: kaum ein anderer kann so intelligente wie amüsante Dialogfetzen aneinanderreihen wie Wilder und sein Drehbuch-Partner I.A.L. Diamond, was sich vor allem mal wieder in dem charmanten Schlusssatz äußert: „Shut up and deal.“ Und auch wenn der Film zuweilen einem Theaterstück ähnelt, da die Handlung größtenteils zwischen Baxters Appartement und seinem Büro pendelt und oft genug unterbrochen wird von seinem neugierigen Nachbarn Dr. Dreyfuss (Jack Kruschen), vermag der Film mit seinen eindrucksvollen Breitbildkompositionen die inhumanen Bedingungen eines Großunternehmens einfangen, in dem das Individuum in der großen Masse verloren geht. Zudem wird ein unschönes, aber authentisch wirkendes Bild von Opportunismus und Doppelmoral in den Etagen der korrupten Geschäftswelt gezeichnet, welches mit der Menschlichkeit und Sensibilität des kleinen Mannes in der Maschinerie kontrastiert wird.
Dieser kleine Mann spielt das Spiel um Macht und Geld zwar vorerst auch mit, wirft jedoch zum Schluss Status und Vermögen hin, da ihm seine persönliche Integrität und das Glück seiner Mitmenschen auf einmal wichtiger erscheinen. Bei der ersten Sichtung des Films mag dies noch als ein Triumph der Moral löblich wirken, aber die zwei Stunden vorab in der Gesellschaft dieses Menschen zu verbringen, also bis er zu seiner Läuterung findet, ist nicht unbedingt angenehm. Wilders Charaktere – von dem schmierigen, selbstgerechten Sheldrake über der selbstdestruktiven, bockigen Fran bis zu dem fast schon masochistischen, wild herumgestikulierenden Menschenfreund Baxter – sind wahrlich keine angenehmen Zeitgenossen. Und wenn sie sich zuweilen in Selbstmitleid ergehen, hört auch jede Sympathie auf. Bezeichnend ist wohl auch, dass nie wirklich geklärt wird, ob Fran die Gefühle für Baxter erwidert, was manch eine Feministin dazu bewogen hat, festzustellen, dass eine Frau in Wilders Film nur die Wahl zwischen einem schmierigen Widerling wie Sheldrake und einem schwächlichen Deppen wie Baxter hat. So ist die zentrale Frage des Films auch nicht, ob sich die zwei Hauptfiguren kriegen oder nicht, sondern wann Fran endlich den Wert des nervigen, naiven Baxters erkennt und den reichen, egoistischen Sheldrake vergisst. Doch abgesehen von ideologischen und charakterlichen Problemen und der unnötigen Überlänge für eine im Grunde schlicht gestrickte Komödie, ist
The Apartment natürlich solides Hollywood-Kino durch und durch – selbst wenn man sich ob der unstimmigen Komponenten des Films oft nicht sicher ist, ob man gerade einen visuell düsteren
film noir, ein bissiges Sozialdrama, oder einen charmanten Liebesfilm sieht.