„Breaking Dawn“, das für Insider so brisante Finale der beispiellos polarisierenden Vampir-Seifenoper „Twilight“, wird wie der letzte Akt der „Harry Potter“-Saga in zwei Parts aufgesplittet. Über Sinn und Unsinn dieser in jedem Fall gewinnmaximierenden Vorgehensweise lässt sich diskutieren – Fakt ist, dass die leidlich ansprechende Erzählung vom bleichen Blutsauger-Jüngling, der eine dünne Sterbliche aus der Provinz liebt, sich mehr und mehr ins Abstruse verliert. Die von der Massenhysterie erfassten, den „Bis(s)…“-Bänden von Autorin Stephenie Meyer vollkommen verfallenen Anhänger, die zumeist weiblich und zwischen acht und sechzehn Jahre alt sind, werden wie blind darüber hinwegsehen. Allen anderen wird sich das seltsame Phänomen „Twilight“ auch durch „Bis(s) zum Ende der Nacht – Teil 1“ nicht erschließen.
Nachdem Alice (Ashley Greene) Bella (Kristen Stewart) beim Aussuchen des Schuhwerks hilfreich unter die Arme gegriffen hat, kann sie mit ihrem Schwarm Edward (Robert Pattinson), dem mitfühlenden Vampir, der ihr unter Voraussicht der Konsequenzen bisher nachdrücklich untersagt hat, sich von ihm beißen zu lassen, nun endlich vor den Traualtar treten. Und kaum ist die Traumhochzeit, auf der auch die Cullen-Sippe erscheint, vorbei, geht es schon in die gemeinsamen Flitterwochen nach Rio de Janeiro. Alles scheint unbeschwert, bis in Bella der Verdacht keimt, von Edward schwanger zu sein. Die beiden reisen zurück in das
heimatliche Städtchen Forks, wo sie von Bellas Vater und ihrem besten Freund Jacob (Taylor Lautner), dem (Halb-)Werwolf vom Indianerstamm der Quileute, Unterstützung beim Empfangen des Babys erhalten…
Die vier bislang veröffentlichten „Twilight“-Bände (von den Verfilmungen ganz zu schweigen) sind von einem spontanen Erfolg gekrönt, der sich in dieser Größenordnung allenfalls mit J. K. Rowlings Wälzern um einen gewissen bebrillten Zauberlehrling und den Verschwörungs-Bestsellern von Dan Brown („The Da Vinci Code – Sakrileg“ vorneweg) vergleichen lässt. Integraler Bestandteil der Bücher der überzeugten Mormonin Stephenie Meyer war stets die Verherrlichung sexueller Zurückhaltung und Unberührbarkeit sowie der einzigen und ewigen Liebe, die sie zu einer strikt anti-promiskuitiven Ideologie erhob. Um der überwiegend jugendlichen Leserschaft ihr veraltetes Frauen- und Weltbild aufzudrängen, ködert sie sie mit einer als poppiges Fantasy-Abenteuer zelebrierten (Liebes-)Geschichte, die in ihrer Simplizität Bände spricht. Die sterbliche Bella, mit der Kristen Stewart eine Art blass-fragile Schönheit als erfrischend neuen Frauentypus im US-Mainstreamkino etablieren sollte, steht zwischen dem sanftmütigen Blutsauger Edward und dem feurigen Wolfsmenschen Jacob, der auch wirklich keine Gelegenheit ungenutzt lässt, um sich sein T-Shirt vom Leib zu reißen und seinen muskulösen Oberkörper zu entblößen – was einem in den letzten zwei Teilen hier und da schon mal ganz schön auf den Zeiger gehen konnte. Bella wird in die Jahrhunderte andauernde Rivalität von Vampiren und Werwölfen hineingezogen und will unbedingt eine von ihnen werden, was zu Konflikten führt, die mal nachvollziehbar, mal total an den Haaren herbeigezogen sind. Über allem schwebt das in Stein respektive Zelluloid gemeißelte Musterbild vom jungfräulichen Mädchen, das sich voller Sehnsucht an die stattliche Brust des Fabelwesens schmiegt.
Für „Breaking Dawn“ zeichnet diesmal Bill Condon verantwortlich. Damit ist er der vierte Regisseur im vierten Film. Trotz dieses Rochierens lässt sich Kontinuität in der Reihe erkennen – die Montage ist gar nicht mehr so ganz angestrengt wie zuvor, Effekte/Animationen und Plot bleiben jedoch auf dem Niveau einer TV-Serien-Episode. Es wird nun eben all das enthüllt, worüber die Zahnspangenfraktion schon seit Monaten hinter vorgehaltener Hand auf dem Schulhof kichert. Die Heirat im blutjungen Alter, die Bettszene, Ehezoff und Babysorgen... Mithilfe von Fliederviolett (das verzierende Gestrüpp), Blutrot (Bellas Lippen) und Unschuldsweiß (Bellas Kleid), begleitet von schwülstigem Weichspül-Teeniepop, macht Condon mit aller Theatralik darauf aufmerksam, dass es sich hierbei um einen Wendepunkt innerhalb der Saga handelt. Die Augen der aus Alaska angereisten Vampir-Verwandtschaft funkeln auch auf dem Hochzeitsball wie gelbe Katzenaugen: Vampire unter sich, hier muss sich keiner verstecken. So zentimeterdick trägt „Breaking Dawn“ tatsächlich nur noch einmal auf: Wenn die Frisch Vermählten später – im mondlichtdurchfluteten Gewässer – in oberflächlichster Poesiealbum-Romantik herumtollen.
Zwischendurch blitzt immer mal auf, was aus dem keinesfalls unsympathischen „Breaking Dawn“ mit ein bisschen mehr Mut und Selbstvertrauen in das im Endeffekt halbgare Drehbuch hätte werden können. Dass sich Regisseur Condon dessen bewusst gewesen sein muss, zeigt die Art und Weise, wie der Film zuweilen mit seiner Grundprämisse verfährt: Bella posiert vor Edward, der so gut es geht versucht, sein Verlangen nach ihr zu unterdrücken, der ihre mageren Hüften sorgsam zudeckt, als sie eingeschlafen ist. Dass während der Liebesnacht, vor der Bella sich noch extra die Mühe macht, sich die Beinhaare zu epilieren, das Bettgestell zusammenkracht, weil Edward weder seine Zeugungs- noch seine Körperkraft im Griff hat, wird man als harmlosen Slapstick-Gehversuch belächeln müssen. Einen Hauch von (unfreiwilligem) Slapstick hat es hingegen schon, wenn Edward in einer Rückblende seinen Blutdurst in einer Vorstellung von „Frankensteins Braut“ entwickelt. Und, man verzeihe dem Rezensenten den Ausrutscher ins Geschmacklose, aber: Die Frage des Bräutigams bei Schwangerschaftsverdacht, ob die Frau denn ihre Periode wie gewohnt bekommen habe, kann man – unter den Vorzeichen dieser unkonventionellen Beziehung - mit leichtem Zähneklappern auch falsch interpretieren…
Viel wurde im Vorfeld über die angeblich härtere Gangart des Streifens kolportiert. Das minderjährige Publikum bibberte vor angedrohten Kürzungen oder einer womöglich strengeren Altersfreigabe. Abgesehen von einer Geburtsszene, die – mitsamt ausgezehrter Kristen Stewart – in ihrer Unappetitlichkeit wohl niemals der von „Alien“ Konkurrenz zu machen gedenkt, ist der vierte „Twilight“ trotz minimal finstererer Marschrichtung ausgesprochen brav und zudem konsequent prüde. Tunlichst wird darauf geachtet, dass auch jede Aufsehen erregende Hautfalte von Laken oder im Spiegelbild verdeckt wird. Ohnehin: Sobald „Breaking Dawn“ Tendenzen zum packenden Genrekino zeigt, verwirft er sie auch schon wieder. Das Argument, dass der erste Teil nur eine Ouvertüre zum zweiten sei, wird zumindest relativiert durch die vage Vermutung, dass aufgrund der geringen Handlungsdichte gar keine Zweiteilung vonnöten gewesen wäre. Themen wie die Verantwortung, die mit dem Austragen und Aufziehen eines Kindes einhergehen, werden vom Skript viel zu beiläufig behandelt.
Schauspielerisch werden hier keine Bäume ausgerissen. Robert Pattinson, Objekt der kollektiven Begierde kreischender und schluchzender Teens, wartet einmal mehr mit seiner hölzernen Herzensbrecher-Nummer auf, zeigt dabei ein arg limitiertes Repertoire an darstellerischen Finessen, während seiner Figur Sätze wie „Auf dich habe ich ein ganzes Jahrhundert lang gewartet“ auf den Leib geschrieben werden, die beim (erwachsenen) Zuschauer akute Überzuckerungsgefahr verursachen. Taylor Lautner mischt sich diesmal erst im letzten Drittel ins Geschehen ein – von ihm erfahren wir, was es für einen Zugehörigen seines Stammes bedeutet, „geprägt“ zu werden. Kristen Stewart lässt einem da schon hoffnungsvoller zumute werden. Ihr hat man nicht umsonst schon die eine oder andere anspruchsvollere Rolle in kleineren Independent-Produktionen anvertraut. Ansonsten bleibt auf der Besetzungsliste so weit alles beim Alten, auch wenn der Volturi-Clan, der ein bisschen so ausschaut, als hätte Graf Dracula seinen eigenen Illuminatenbund organisiert, diesmal etwas im Hintergrund bleibt.
Fazit: „Breaking Dawn – Bis(s) zum Ende der Nacht“ ist Hausmannskost für die eingeschworene Fangemeinde der Teenie-Vampir-Lovestory, die nun dem im nächsten Jahr startenden Schlussakkord der Saga entgegenfiebern dürfen. Der neutral eingestellte Zuschauer wird allerdings – Achtung: Wortspiel – auch nach diesem ersten Kapitel des nunmehr vierten „Twilight“-Filmchens kein Blut geleckt haben.