„I think there's two ways of looking at the idea of understanding. One is if you don't look you never will see. And the other is, if you look a little less you'll understand a hell of a lot more.“
Die Geister der Vergangenheit sind allgegenwärtig in einer Zeit, die neben glücklichen Momenten auch Tod, Trauer und Verzweifelung bereithält. Zuweilen ist diese Last mehr, als manch einer zu schultern vermag. Doch auf dem Feld unserer Erde ist nun einmal niemand, der heute auf ihm wandelt, wirklich alleine. Auch wenn die Wegbegleiter aus vergangenen Zeiten im Schatten verharrend über uns wachen und vom Nebel unserer Wahrnehmung fast vollständig verhüllt werden.
Diese Erfahrung muss auch der sonst so abgebrühte Detective Dave Robicheaux (Tommy Lee Jones, „
Natural Born Killers“ [1994]) aus New Iberia, Louisiana machen, der sich auf der Fährte eines perversen Serienkillers befindet, welcher bereits mehrere junge Frau bestialisch ermordet hat. Als eine weitere Leiche aufgefunden wird, kreuzt zufällig der eigenwillige Hollywood-Star Elrod Sykes (Peter Sarsgaard, „
Jarhead“ [2005]) den Weg Robicheaux’. Sykes, der sich zur Zeit wegen Dreharbeiten vor Ort befindet, beichtet dem Detective, dass er in den Sümpfen auf die verweste Leiche eines Schwarzen in Ketten gestoßen ist. Noch ahnt de
r Schauspieler freilich nicht, dass dieses Geständnis plötzlich alte Wunden aufreißt. Denn die verweste Leiche in den Sümpfen führt Robicheaux zurück zu einem alten, bereits vierzig Jahre zurückliegenden Fall, der – so spürt er – zu den neuerlichen, bestialischen Morden irgendwie in Verbindung steht. Und plötzlich schicken sich die Toten an, das Leben des Detectives mehr als gewollt zu bestimmen…
Der geneigte Leser merkt vielleicht schon jetzt, dass sich
„THE ELECTRIC MIST“ augenscheinlich weit ab von vielfach beschrittenen Krimi-Pfaden bewegt. Der auf dem Roman
„In the Electric Mist with Confederate Dead“ des preisgekrönten Südstaaten-Autors
James Lee Burke basierende Film stellt nach „Mississippi Delta – Im Sumpf der Rache“ (
„Heaven’s Prisoners“) [1996] mit Alec Baldwin in der Hauptrolle erst die zweite Adaption eines Buches aus der bisher fünfzehn Bände umfassenden Reihe um den mit allen Wassern gewaschenen Detective Dave Robicheaux dar. Auffälligstes Merkmal dieser Reihe ist neben Burkes feinem Gespür für die Auslotung politischer Missstände hinter der trügerisch-ruhigen Fassade Lousianas sicherlich, dass sie sich zeitweise wie eine Autobiographie des Autors liest. Denn Romanschöpfung Robicheaux hat mit denselben Problemen zu kämpfen wie einst Burke selbst. Das Alkoholproblem des Detectives soll hierbei stellvertretend für all die anderen gemeinsamen Sorgen und Nöte stehen, vor allem jedoch eine gewisse Ernsthaftigkeit in den Werken verorten, die andere Kriminalromane gerade schmerzlich vermissen lassen. Wo sonst nämlich brav dem Weg bis zur vollständigen (und teils konstruierten) Aufklärung des Verbrechens gefolgt wird, darf man bei Burke auf keinen Fall eine hundertprozentig zufriedenstellende Lösung erwarten. Am allerwenigsten eine glatte und geschmeidige: Burkes entlarvende Blicke auf die Realität hinter den Kulissen von
New Iberia, Louisiana, bestehen fast hauptsächlich aus Ecken und Kanten.
Sollte man alles auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bringen, ist Hauptaussage des vorliegenden Werkes wohl die, dass niemand unfehlbar ist. Robicheaux – auf der einen Seite der liebende Familienvater mit einer Vorliebe für das Fliegenfischen, auf der anderen der harte Gesetzeshüter, der erst einmal zuschlägt, bevor er den Mund aufmacht – findet sich zugleich auf beiden Seiten der sprichwörtlichen Medaille wieder. Der ihn verkörpernde
Tommy Lee Jones schafft es dabei mit stoischer Miene, den Balanceakt zwischen barmherzigem Samariter und dem nicht immer gesetzestreuen Hüter von Recht und Ordnung mit Bravour zu meistern, ohne die Person des Detectives auch nur einen Funken Glaubwürdigkeit einbüßen zu lassen. Herauskommt eine schauspielerische Leistung, die sich keinesfalls vor der in dem ähnlich düsteren „
No Country For Old Men“ [2007] zu verstecken braucht. Der 63jährige Jones, dessen zerfurchtes Gesicht alleine schon so viel auszusagen vermag, ist schlichtweg für die Rolle des Raubeins mit Herz prädestiniert. Spätestens jetzt weiß man, dass auch vormals harte Kerle in und an der heutigen Welt verzweifeln können. Die Gegenseite macht es einem aber auch übertrieben schwer. Jenes ist im Falle von
John Goodman („
Arachnophobia“ [1990]) durchaus wörtlich zu nehmen, verkörpert er hier doch überaus gelungen einen übergewichtigen Gangster, der dieses Amt bereits mit seinem beachtlichen Bauchumfang ausfüllt.
Doch dies sind wahrlich Marginalien in einer Welt, die Schöneres zu sein vorspiegelt. Tatsächlich ziehen, auch in
„THE ELECTRIC MIST“, nicht zu verachtende und teils schon vergessen geglaubte Missstände im Hintergrund die Fäden. Dass man die Fesseln der Vergangenheit nicht abschütteln kann, erfährt der gebeutelte Robicheaux schon recht früh am eigenen Leib, als ihm immer wieder die Geister toter Konföderierter erscheinen. Spätestens jetzt ist
Bertrand Taverniers Adaption kein konventioneller Krimi mehr, sondern mausert sich zur waschechten und teils lyrischen Abhandlung über die Verkommenheit der modernen Welt, die Robicheaux nicht müde ist, mehr als nur einmal anzuprangern. Glücklicherweise versumpft der Film jedoch nicht in seinem eigenen Anspruch, was vor allem einer ironischen Brechung geschuldet ist, die auf das Konto des Soundtracks geht. Überraschend lässig und manchmal eben auch ironisch angehaucht präsentiert er sich zum Großteil, wenn
Marco Beltrami („
Todeszug nach Yuma“ [2007]) äußerst liebevoll dem vorherrschenden Lebensgefühl in den Südstaaten huldigt, ohne zu überzeichnen. Gewissermaßen als Kehrseite warten die dramatischen Momente dafür mit deutlich passenderen, weil düsteren Klängen auf.
„THE ELECTRIC MIST“ ist sicherlich kein einfacher Film. Viele Aspekte bleiben etwa auch nach dem Abspann noch ungeklärt oder wurden bis dahin nur notdürftig angeschnitten. Aber all das geschieht durchaus konsequenterweise, entzieht sich der Film doch durch das, was er erzählt, gewissermaßen selbst den Boden eines konventionellen Krimis. Der titelgebende Nebel, der davor warnen soll, der Vergangenheit den Zutritt in die Gegenwart zu versagen, ist nämlich auch dann noch vorhanden, wenn sich die letzten Schwaden über den Sümpfen schon längst verzogen haben: die undurchsichtige Vergangenheit findet immer einen Weg, auch wenn sie sich hierfür der Hilfe Dritter bedienen muss. Hier ist es Robicheaux, der 40 Jahre in der Zeit zurückgeht, um ein Verbrechen aufzuklären, das nicht ungesühnt bleiben sollte. Ob er denn keine Gnade kenne, wird er kurz vor Ende von einem der Verantwortlichen gefragt, und er antwortet knapp und klar: „Nein.“ – Wie auch, wenn die nicht immer erkennbaren Missstände im Jetzt eine Brücke ins Damals schlagen, die man beschreiten sollte? Insoweit ist der auch im übrigen einwandfrei inszenierte Film vielleicht kein wirklicher Krimi per se, sondern vielmehr ein durchaus wichtiger Beitrag zur Beseitigung einer nach wie vor bestehenden Unkenntnis, der sprichwörtliche Blick hinter die trügerische Fassade. Denn der verschleiernde Nebel in den Köpfen der Menschen wird noch lange, lange brauchen, bis er sich gänzlich gelegt hat.