von Asokan Nirmalarajah
„Vom Stoff her hätte es mein bester Film werden können. Besser noch als
Die Brücke“, sollte sich der österreichisch-französische Filmemacher Bernhard Wicki später mal über seinen ersten amerikanischen Film unter Solo-Regie, das hochkarätig besetzte Schwarzweiß-Liebesmelodram
The Visit (1964) äußern. Die Voraussetzungen hätten in der Tat nicht besser sein können. Stammt die Vorlage zu Wickis ambitionierter, aber missglückter Literaturverfilmung doch immerhin von seinem alten Freund, dem renommierten Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt, dessen erster großer Welterfolg, die tragische Komödie „Der Besuch der alten Dame“ (1956) einer Hollywood-Adaption unterzogen werden sollte. Unabdingbar waren da wohl die vom produzierenden Studio 20th Century Fox geforderten Veränderungen an dem perfiden, böshumorigen Dreiakter über menschliche Gier und Verführbarkeit. Doch diese sogar mitunter überzeugenden Abweichungen vom kapitalismuskritischen Dramentext, die seinen grotesken Witz und seine makabren Details zugunsten eines bemühten, arg hysterischen Gefühlskinos hinwegwischen, erklärt nicht ganz, wie ein Film so filmisch eindrucksvoll wie erzählerisch enttäuschend sein kann.
Doch alles der Reihe n
ach. Die Handlung des Films beginnt wie die des Theaterstücks (das nicht wenigen Lesern noch aus der Schullektüre bekannt sein sollte) mit der Freude der Bewohner einer kleinen Stadt über die Rückkehr von Karla Zachanassian (Ingrid Bergman) in ihren einstigen Heimatort. Die junge Frau, die damals unfreiwillig die Stadt verlassen musste, ist durch die Heirat mit einem Millionär zu einer der reichsten Frauen der Welt avanciert und hat nach Jahren der Abwesenheit ihren Besuch angekündigt. Die Bewohner der heruntergekommenen Kleinstadt, allen voran der Bürgermeister (Ernst Schröder) erhoffen sich finanzielle Unterstützung von der früheren Tochter der Stadt, die, so munkelt man, auch noch alte Gefühle für ihren damaligen Schwarm, den Lebensmittelladenbesitzer Serge Miller (Anthony Quinn) hegen dürfte. Dieser wird dazu angeregt, Karla gebührend zu empfangen und sie zu einer Spende zu überreden. Doch Karla ist nicht ohne ein Angebot angereist. Sie ist bereit der Stadt und ihren Einwohnern jeweils eine Million zu zahlen, sollte ihre einzige Bedingung erfüllt werden: Die Ermordung des beliebten Bürgers Serge Millers, des Mannes, der ihr einst das Herz gebrochen und ihr Leben ruiniert hat.
Der Besuch, und das wäre auch schon die erste auffällige Änderung gegenüber der Vorlage, ist in Wickis effekthascherischer filmischer Aufarbeitung nicht der einer „alten Dame“. Zumindest sollen Ingrid Bergman und Anthony Quinn, die hier zuweilen in eine extrem affektierte Theatralik verfallen, erst in ihren späten 30ern bzw. frühen 40ern sein. Schließlich scheint in dieser Fassung der Geschichte anders als im Stück noch nicht alle Hoffnung verloren, dass sich die emotional bekriegenden, aber immer noch voneinander faszinierten Ex-Liebhaber am Ende nicht doch noch versöhnen werden. Diese Verjüngung der Protagonisten war wohl eine der Auflagen des Studios, um die Geschichte etwas massentauglicher zu machen, und die Strategie geht auf. Die Zachanassian ist immer noch so bizarr und der Miller (im Stück: Ill) immer noch so tragisch wie in der Vorlage, mit dem feinen Unterschied, dass Bergman die Oscar-nominierten, wild funkelnden Kostüme des Schweizers René Hubert vorführen darf und Anthony Quinn auch mal seinen enormen Oberkörper einsetzen kann, um sich in seiner Verzweiflung zur Wehr zu setzen. Zu dumm, dass ihre angestrengt wirkende Leinwandbeziehung nicht einen Moment lang überzeugt.
Die italienisch-amerikanisch-deutsch-französische Gemeinschaftsproduktion ist dabei vor allem um eins bemüht: Tunlichst die Bühnenherkunft des Stoffes zu kaschieren.
Der Besuch war weder die erste, noch sollte sie die letzte Verfilmung der Geschichte sein (mit
Hyènes drehte Djibril Dip Mambéty 1992 sogar eine senegalische Version), aber kaum ein anderer Film fährt so viele filmische Kapriolen ins Feld, um bloß kein abgefilmtes Theater zu sein wie die vielen anderen Film- und Fernsehadaptionen. Woran es aber bei Wicki mangelt sind bessere Schauspieler, die nicht wie nachsynchronisiert wirken und ihre Rollen mit mehr ausfüllen als mit ihren grotesken (Romolo Valli) oder schönen Gesichtern (Irina Demick). Zumindest beeindruckt die spröde Schwarzweißfotografie, die zuweilen an den Film noir erinnert, und stellenweise scheint auch die Kraft der Geschichte durch, besonders in den dramatischen Szenen, in denen Zachanassian den Tod ihres Ex-Liebhabers fordert und am Ende der Handlung ihrem Ziel erschreckend nahe kommt. Der Film geht anders aus als das Stück, bleibt mit seinem weniger drastischen Schluss aber immer noch überraschend konsequent ohne ein typisches Hollywood-Happy End zu bieten.
Winkler Film bringt den in Vergessenheit geratenen Film als spärliche DVD-Edition heraus, deren Bonusmaterial lediglich aus einer Bildergalerie und einem Booklet besteht. In dem beigefügten Heftchen findet sich neben Fotos der Aufsatz „Eine moderne Medea“ vom Berliner Filmkritiker Marc Hairapetian, der nicht aufhören kann, sich an der unumstrittenen Qualität der „mit Abstand cineastischste[n] Adaption des Theaterklassikers“ zu ergehen, der „der beste Beweis [dafür sei], dass vom Produzenten gewünschte Kompromisse nicht immer die künstlerische Substanz mindern müssen“. Immerhin liefert er nützliche Hintergrundinformationen zur Entstehung des Films und gleich auch eine faschismuskritische Lesart des Films, die sich dem Zuschauer allerdings geradezu aufzwingt. „Besser noch als
Die Brücke“, das brillante Antikriegsdrama Bernhard Wickis, ist
Der Besuch aber nun wirklich nicht.