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Kitchen Stories

Kitchen Stories

Ein Film von Bent Hamer

Schweden, 50er Jahre.


Wer von uns allen hätte es wohl für möglich gehalten, dass die durchschnittliche Hausfrau während eines Jahres eine gelaufene Gesamtstrecke von der Entfernung zwischen Schweden und dem Kongo zurücklegt? Nur, um die Küchenarbeit zu verrichten? Niemand? So sieht’s aus. Fortschritten in der Forschung und intensiver Küchennutzungsoptimierung ist es zu verdanken, dass sich diese Strecke heutzutage immerhin schon bis Norditalien verkürzt hat. Eine wirklich grandiose Entwicklung.


Das nationale Forschungsinstitut für Heim und Haushalt wäre aber nicht das nationale Forschungsinstitut für Heim und Haushalt, wenn es sich auf diesem Erfolg ausruhen würde. So fasst man nach der Hausfrau eine andere, bisher eher vernachlässigte Zielgruppe ins Auge: den männlichen Junggesellen. Neun Freiwillige aus einem kleinen Dorf in Norwegen haben sich gemeldet, um sich an den Studien zu beteiligen und als Anschauungsobjekt herzuhalten. So macht sich also eine imposante Wohnwagenkolonne, jeweils ausgestattet mit Beobachter nebst Hochstuhl (!), auf den Weg ins verschneite Landstad, um die Studien zu betreiben. Die Hochstühle sollen in den Küchen der Probanden aufgestellt werden, so dass die Mitarbeiter ein realistisches Bild der Arbeits- und Essgewohnheiten der Junggesellen bekommen können. Sprechkontakt mit den Versuchspersonen ist grundsätzlich untersagt; alles, was zählt, sind die Forschungsergebnisse am Ende de
r Studie.


Folke Nilson (Tomas Norström) hat als Versuchsperson den wortkargen Isak (Joachim Calmeyer) zugewiesen bekommen, der sich – obschon er dem Experiment zugestimmt hat – am Anfang eher skeptisch gibt und Folke das Leben auf seinem Hochstuhl unnötig verkompliziert. Anstatt das Essen in der Küche zuzubereiten, wird kurzerhand das von Folke nicht einsehbare Schlafzimmer zur Küche zweckentfremdet – die Beobachter dürfen ihren Hochstuhl nämlich nicht verlassen! – und auch schon mal das Licht in der Küche ausgeschaltet, so dass der arme Kerl buchstäblich schwarz sieht. Zu allem Überfluss macht der alte Isak sich auch noch einen Spaß daraus, den Beobachtenden seinerseits zu observieren, indem er ihn ein Stockwerk höher durch ein Loch im Boden begutachtet. Der zu Beobachtende wird Beobachter und umgekehrt. Es dauert seine Zeit, bis allmählich das Eis zwischen den beiden im kalten Landstad schmilzt und sich eine (regelwidrige) Freundschaft zwischen den Männern entwickelt, die deutlich und eindringlich zeigt, dass das seltsame Projekt im Grunde von vornherein zum Scheitern verurteilt war.


Bent Hamer schuf mit „KITCHEN STORIES“ eine sehr eigenwillige, bisweilen leise Tragikomödie, die ihren Charme weniger aus Dialogen – die fast nicht vorhanden sind – als vielmehr aus dem sympathischen Spiel seiner beiden Hauptpersonen bezieht. Die anfänglichen Versuche Isaks, die Forschungsergebnisse zu sabotieren, vollziehen sich ohne eine Zeile gesprochenen Worts und heben das schauspielerische Können Norströms und Calmeyers in den Fokus des betrachtenden Auges des Zuschauers. Wir, die wir ebenfalls zum Beobachter des Geschehens werden, gewissermaßen auch nichts sagen dürfen und somit der Person auf dem Hochstuhl ähneln, erkennen selbst, wie einsam manche Menschen sein können und was es heißt, echte Freunde zu haben. Zu allem Überfluss wissen wir nicht, ob man weinen oder lachen soll ob der absurden Thematik und der skurrilen Momente, sind schlichtweg hin- und hergerissen. Indem wir auf unserem (Hoch-)Stuhl sitzen und den bewegten Bildern folgen, sie analysieren und verarbeiten, wird nämlich unbewusst eine Verbindung zwischen uns und dem Beobachter Nilson geschaffen, der seinerseits sein Augenmerk dem Handeln Isaks widmet. Indem wir sehen, was Nilson sieht, indem wir wie er (allerdings von unserer wohnzimmerlichen Warte aus) wahrnehmen, was Isak durchlebt, werden wir selbst Zeuge des Schicksals des alten Mannes. Und wir erkennen mit Traurigkeit, dass unter der harten Schale des Mannes ein zutiefst einsamer und bemitleidenswerter Mensch verborgen liegt, der – Ironie des Schicksals – im Moment, da er Hauptbestandteil einer absurden Studie wird, mit der er sich anfänglich überhaupt nicht anfreunden mag, das bekommt, was ihm all die Jahre in Einsamkeit gefehlt hat: einen Freund.


Ungeachtet der skurrilen Momente, die wunderbar gespielt sind und ein Grinsen auf unser Gesicht zaubern, funktioniert „KITCHEN STORIES“ auch auf emotionaler Ebene. Eine derart starke Sympathie mit den Agierenden ist mir bisher bei fast keinem anderen Film vorgekommen und unterstreicht eindrucksvoll die Regie und Inszenierung Bent Hamers. Wer also noch nicht die Gelegenheit hatte, dieses kleine tragikomische und groteske Filmjuwel anzusehen, sollte dies schleunigst nachholen. Fans von Filmen der etwas anderen, leiseren Art dürften nicht enttäuscht werden.


Übrigens: die eingangs geschilderte Studie über die zurückgelegte Strecke entsprang nicht der Fantasie eines Drehbuchschreibers, sondern hat wirklich so stattgefunden! Also: Atlas rausholen, die Strecke gedanklich nachvollziehen und anschließend vielleicht auch mal als Mann der Frau den ein oder anderen Gang in die Küche abnehmen.

Eine Rezension von Stefan Rackow
(06. März 2007)
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Daten zum Film
Kitchen Stories Norwegen 2003
(Salmer fra kjøkkenet)
Regie Bent Hamer Drehbuch Bent Hamer & Jörgen Bergmark
Produktion Bent Hamer, Jörgen Bergmark und Arve Figenschow Kamera Philip Øgaard
Darsteller Joachim Calmeyer, Tomas Norström, Bjørn Floberg
Länge ca. 95 Minuten FSK ohne Altersbeschränkung
Filmmusik Hans Mathisen
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