Die Hauptfiguren in dem britischen Horrorthriller „Kill List“ sind zwei kaltblütige Auftragskiller.
Und auch wenn diese Konstellation bei einer Genre-Arbeit vielleicht zunächst eher ungewöhnlich oder gar abwegig anmutet, handelt es sich bei dem Zweitwerk von Regisseur Ben Wheatley („Down Terrace“) womöglich um den effektivsten Schocker, den das Filmjahr 2011 bereithält.
„Kill List“ ist ohne Frage harter Tobak, der Freunden der konventionellen Filmkunst nicht nur wegen seiner streckenweise recht expliziten Gewaltdarstellung sauer aufstoßen wird, sondern diese wohl auch mit seinem inhaltlich sehr subtilen Aufbau abschrecken könnte.
„Ich finde, es ist viel unheimlicher, wenn man nicht alles auf dem Silbertablett präsentiert bekommt“, gibt Wheatley sehr trefflich über seine Entscheidung, das Publikum bewusst ohne zu viele konkrete Hinweise im Dunkeln zappeln zu lassen, zu Protokoll.
Obwohl der Film seine Protagonisten und Zuschauer an dieser Stelle bereits immer tiefer in einen fiebrigen Albtraum gezogen hat, aus welchem es kein Entrinnen zu geben scheint, kommt das Ende dann trotzdem brutal und urplötzlich.
Dieses fühlt sich wie ein Schlag mit einer Grabschaufel auf den Hinterkopf an:
Man spürt einen stumpfen Schmerz, bevor alles um einen herum schwarz wird und man schließlich, noch ganz benommen, wieder erwacht – oder eben der totenstille Abspann einen völlig verdutzt und verstört aus dem Kinosaal taumeln lässt.
Ein größeres Kompliment kann man einer derart intensiven Arbeit wohl fast nicht unterbreiten.
Der Familienvater Jay (Neil Maskell, „The Football Factory“) steckt in schweren Geldnöten.
Ein merklich leeres Bankkonto und der latente Streit mit einer Frau Shel (MyAnna Buring, „
The Descent - Der Abgrund des Grauens“) veranlassen den traumatisierten Ex-Soldaten, der erst vor einigen Monaten von einer Mission in Kiew zurückgekehrt ist, zusammen mit seinem Freund Gal (Michael Smiley, „Burke & Hare“) einen mysteriösen Job anzunehmen, dessen Ziel die Tötung dreier Personen ist.
Bereits das Treffen mit dem Kunden (Struan Rodger, „
Der Sternwanderer“) in einem Hotelzimmer verläuft ein wenig anders als gedacht. Denn der Vertrag ist nicht etwa bereits mit einer Unterschrift, sondern erst mit Jays Blut darauf gültig.
Als das todbringende Duo seinem ersten Opfer, einem Priester, gegenübersteht, muss es verblüfft feststellen, dass dieser nicht etwa panisch vor der Pistolenmündung zu fliehen versucht, sondern sich sogar für seine Erlösung bedankt, bevor die Kugel in seinen Schädel eindringt.
Hier stimmt etwas ganz und gar nicht.
Vor der folgenden Exekution eines Bibliothekars finden sie in dessen Versteck eine Sammlung von Videos, auf welchen grausamste Misshandlungen von Menschen dargestellt werden.
Jay wühlt der Anblick des Materials so sehr auf, dass er vom eigentlichen Plan abweicht und die Zielperson erbarmungslos foltert.
Gal erkennt, dass der zweifelhafte Auftrag seinen Partner und Freund psychisch vollkommen zu zerstören droht.
Doch für einen Abbruch ist es bereits zu spät...
Regisseur Wheatley gelingt mit „Kill List“ das Kunststück, nicht bloß, wie heute üblich, Zitate aus Jahrzehnten Horrorgeschichte aneinanderzureihen, sondern einen Film zu erschaffen, der sich trotz vieler bekannter Elemente wieder frisch und unverbraucht anfühlt.
Er streift dabei zwar immer wieder Werke von Polanski, Hardy oder Parker, ohne jedoch je wirklich Gefahr zu laufen, diese am Ende nur plump zu kopieren.
Es ist eher diese unangenehm-paranoide Stimmung der früheren Meisterwerke, die „Kill List“ in sich aufsaugt wie ein Schwamm – ein modernes Genre-Highlight, das den Geist der großen Klassiker atmet.
Nun liegt eine große Stärke des Films allerdings auch darin, dass er uns nicht penetrant unter die Nase reibt, dass er ja in erster Linie eine Horrorgeschichte erzählt.
Der Beginn zeigt eher ein sehr bodenständiges Familiendrama, in dessen Mittelpunkt sich der noch völlig verstörte Jay in ständiger Konfrontation mit seiner Frau sieht.
Sie streiten viel, und ihr Streit ist heftig. Doch unter den verbalen Gewaltausbrüchen scheint immer noch der letzte Funke einer Liebe zu flimmern.
Jay ist ein interessanter Filmcharakter, der von Neil Maskell absolut glaubwürdig verkörpert wird.
Er bleibt trotz seiner spürbaren, inneren Unruhe und Impulsivität für die Zuschauer irgendwo stets sympathisch und greifbar.
Nur ist er eben nicht dieser typische „Held“, welcher erst infolge der Handlung von einem finsteren Strudel nach unten gezogen wird – schon zu Anfang steht er nicht mehr fest mit beiden Beinen auf dem Boden.
Wir bemerken das und auch sein Umfeld bemerkt das.
Als Jay und Gal schließlich ihren Job beginnen, führt sie dieser langsam an eine Grenze, an welcher Wahnsinn und Wirklichkeit die Plätze zu tauschen scheinen.
Während Jay forsch einen Schritt über diese hinaus wagt, zögert Gal kritisch und versucht, seinen Buddy irgendwie zur Vernunft zu bringen und den Auftrag gründlich zu überdenken.
„Kill List“ ist auch das Psychogramm eines Menschen mit einer ungewöhnlichen „Berufung“.
Wie fühlt es sich wohl an, den Lauf einer Waffe auf eine Person zu richten und, ohne zu zögern, eiskalt den Abzug zu betätigen? Welche Narben hinterlässt eine Vergangenheit voller Greueltaten auf solch einer Seele? Gibt es überhaupt ein Zurück in ein harmonisches Familienleben ohne die ständigen Schreckensbilder vor Augen?
Ben Wheatley lässt bereits vom schlichten Vorspann an, welcher anstelle des Titels ein eigenartiges Symbol zeigt, keinen Zweifel daran aufkommen, dass in der Story okkulte Mächte ihre Finger mit im Spiel haben.
Allzu viele Hinweise darauf, was nun genau unter der pechschwarzen Oberfläche brodelt, bekommen wir aber nicht in die Hand.
Dafür überreicht uns der Regisseur eine Schaufel und lässt uns selbst aufmerksam nach dem Unheil graben, welches da im Zentrum des Werkes lauert.
Was hat es mit der ominösen
Abschussliste auf sich, in welchem größeren Zusammenhang stehen die einzelnen Opfer?
Kurze Texttafeln geben eine lediglich knappe Information über die jeweils folgende Zielperson preis - und vor allem die letzte Einblendung vor den abschließenden Credits zeugt von einem unterschwelligen, bitterbösen Humor in dem beklemmend ernsthaften „Kill List“.
Der Newcomer Wheatley beweist mit der hypnotisch ruhigen, stets bedrohlichen Stimmung des Films ein beeindruckendes Talent dafür, seinem Publikum ein langsames, aber dafür umso nachwirkendes Fürchten zu lehren.
Geschmackvoll,
aufwühlend und
fordernd sind vielleicht die Adjektive, die „Kill List“ am treffendsten beschreiben würden.
Ohne am Ende jede Frage zufriedenstellend beantwortet zu haben und mit Raum für Interpretationen, entlässt das Werk seine Zuschauer mit einem Paukenschlag aus seinem wirren, dreckigen Inferno.
Doch sieht unsere Welt wirklich so viel friedlicher und besser aus?
Vorsicht: Dieser Film geht unter die Haut.