von Asokan Nirmalarajah
Seine Reputation als ebenso maßlos überschätzter wie missverstandener, da eigenwilliger wie unverkennbarer Filmemacher verdankt der Australier Baz Luhrmann vor allem seiner selbst als
red curtain trilogy titulierten Reihe audiovisuell berauschender Musicalfilme, die mit
Strictly Ballroom (1992) ihren Ursprung
down under hatte, mit
Romeo + Julia (1996) Leonardo DiCaprio zum romantischen Filmhelden einer Generation erhob, und mit
Moulin Rouge (2001) schließlich auch Hollywood im Sturm eroberte. Gemäß ihrer Bezeichnung verstehen sich die drei filmisch hochpotenten wie narrativ problematischen Filme als selbst-reflexive Genre-Spiele, die sich ihrer irrealen, klischeehaften Konstruiertheit und künstlichen Bühnenursprungs ständig bewusst sind. Als naiver, sympathischer Liebesfilm im Anzug einer schrillen, bunten Tanzfilmparodie vermochte
Strictly Ballroom durch grelle Optik, virtuosen Tanzszenen und kraftvoller Musik den Kunstfilmmarkt zu begeistern, während die extrem moderne Shakespeare-Interpretation
Romeo + Julia als zwischen ergreifender Tragödie und alberner Klamotte pendelnder Liebesthriller es schaffte, eine neue Welle jugendlicher, sehr zugänglicher Hollywood-Adaptionen des Barden in Gang zu setzen. Verstand sich
Strictly Ballroom noch als subv
ersiver Tanzfilm und enthielt
Romeo + Julia traumhafte Musical-Einlagen, die das hohe Tempo des Films zuweilen drosselten, so erscheint
Moulin Rouge als Luhrmanns erstes klassisches Tanzmusical, das jedoch formal nicht minder subversiv ist und narrativ nicht weniger klassischen Mustern folgt. Doch mehr noch als die anderen Filme, ist sich
Moulin Rouge seiner konstitutiven Elemente mehr als nur bewusst. Jenseits jeglicher Tiefe im eigentlichen Text, findet sich Bedeutung und der intelligente Kommentar über den kreativen Schaffensprozess und die dafür so notwendige Inspiration der Liebe in der scheinbar exzessiven, aber eigentlich subtilen und cleveren Form, die sich vielfach auf Text- und Subtextebene spiegelt und ebenso bezaubert wie herausfordert.
Moulin Rouge spielt in einem retroaktiv kreierten, und drum phantastischen Paris um die Jahrhundertwende, in das sich der mittellose, vom wohlhabenden Vater verschmähte Poet Christian (Ewan McGregor) verirrt und in die Gesellschaft einer Artistengruppe gerät, die ihn als Autoren für ein neues Stückes engagiert, das sie in dem dubiosen, als Tanzschuppen sich vermarktendem Bordell
Moulin Rouge aufführen will. Um das Einverständnis des Bordellleiters Zidler (Jim Broadbent) zu bekommen, wird Christian vorgeschickt, um sich der Unterstützung von Zidlers kostbarsten Kurtisane Satine (Nicole Kidman) sicher zu werden, indem er sie mit seiner Lyrik überzeugt. Doch diese hält ihn für den wohlhabenden Duke (Richard Roxburgh), und nach kurzem Verwechslungsspiel, und mit Hilfe von Toulouse-Lautrec (John Leguizamo), dem Anführer der Artistengruppe, schaffen es die Künstler, dass der von Satine besessene Duke für die Kosten des Stücks – eine indische Liebesgeschichte, in der sich die reale Dreiecksgeschichte zwischen Christian, Satine und Duke spiegelt – aufkommt und dafür Satine erhält. Diese aber sucht trotz lebensgefährlicher Krankheit und der rasenden Eifersucht des Duke nach der Nähe ihres nicht minder verzweifelten, eifersüchtigen Poeten Christian...
Bei der ersten Sichtung des Films ist nicht zu leugnen, wie unbedacht man hier konventionelle Filmelemente wie Erzählfluss, Charakterzeichnung und Spannungsaufbau zugunsten einer arg kompromisslosen Stilwut ignoriert. Die Charaktere wirken hier wie stets perfekt geschminkte und schablonenhafte Kunstfiguren, die nur als Kleiderständer für prachtvolle Kostüme und als kleine Figuren vor überwältigenden Dekors auftauchen. Die kaum nachvollziehbare Montage und die konfusen Kamerabewegungen in der atemlosen Inszenierung des Films tragen ebenso dazu bei, dass der Zuschauer hier zunächst irritiert auf Distanz zu diesem Bilderinferno geht. Doch der Wahnsinn hat auf dem zweiten Blick durchaus Methode: die Dreiecksgeschichte zwischen Christian, Satine und dem Duke ist zwar eine dünne, abgegriffene Tragödie, die zum Schluss hin ins maßlose Melodrama abdriftet, aber das ist auch durchaus so beabsichtigt. Da der Film durch die Fanfare eines Dirigenten beginnt und mit dem Aufziehen und Zuziehen eines gigantischen Vorhangs eingerahmt wird, wird schon darauf verwiesen, dass es sich hier um fiktive Figuren handelt, die von Schauspielern auf einer Bühne dargestellt werden. Zudem ist
Moulin Rouge angereichert mit cleveren surrealen Momente, die uns immer wieder aufzeigen, dass wir hier einer phantastischen, traumhaften Fiktion erliegen, und diese Figuren zwangsläufig keine realen Menschen, sondern Spiegelbilder großer Kino-Emotionen sind.
In der Tat macht hier der Stil die Substanz des Filmes aus, statt dass der Stil die vermeintliche Substanz überlagert oder entfremdet wie so oft in großen Hollywood-Produktionen. Denn als ein Kunstwerk, das sich regelmäßig in sich selbst spiegelt (es finden sich unzählige Verweise zu der zentralen Liebestragödie in dem von Christian verfassten Stück, und in Musik- sowie Dialogpassagen), emuliert
Moulin Rouge das Kino zu seiner ausdrucksstärksten Zeit, die Ära des Stummfilms, indem es durch seine visuell berauschenden Bilder erzählt, und sucht die Anbindung zur heutigen Zeit durch unheimlich vertraute, hier entfremdete Töne: Pophits werden hier zu klassischer Filmmusicalmusik verdichtet, die in ihrer Virtuosität ihresgleichen sucht. Das ebenso hochmelodramatische wie klamaukhafte, und damit unstimmige, aber stets dynamische Spiel der durchweg famosen Besetzung trägt dann nur noch mehr dazu bei, dass man sich hier in einem irrealen Kinotraum verlieren darf, der sich der filmischen Prozesse zur Erzeugung seiner phantastischen Welten auch bewusst ist und mit diesem Wissen spielt.