Wenn es zwei Genres gibt, die sich seit jeher mit einer gar inhärenten Formelhaftigkeit herumschlagen müssen, dann sind es wohl Biographien (zum Beispiel der larmoyanten Marke „Die Entdeckung der Unendlichkeit“), die das Leben einer renommierten Persönlichkeit für die große Leinwand aufbereiten und die bedeutungsvollen Stationen der jeweiligen Vita mit einem steifen Übermaß an lexikalischem Wissen abklappern, oder eben Sportler-Dramen, auf die letzten Endes ja oftmals genau die gleichen Vorwürfe einschlagen – Im Extremfall treten beide Sektionen sogar in tränenheischender Kombination auf. Mit Antoine Fuquas „Southpaw“ scheint sich auf den ersten Blick ein weiteres Fragment in das glanzlose Mosaik unzähliger Boxer-Filme einzugliedern, wäre dort nicht eine ganz bestimmte Personalie, die vollkommen zu Recht hellhörig stimmt: Kurt Sutter, der hier als Drehbuchautor in Erscheinung tritt. Als kreativer Kopf hinter seriellen Erfolgsformaten wie „The Shield“ und „Sons of Anarchy“ hat sich Sutter im Fernsehbereich wiederholt Persilscheine vom Sender FX Networks gesichert und konnte fungieren, wie es seinem sadistischen Genie beliebte.
Mit „Southpaw“ hat es Kurt Sutter nun also auch gewissermaßen in die Lichtspielhäuser geschafft, und Fans seiner vorherigen Projekte wissen, was dieser Umstand verheißen könnte: Nämlich Kino, das sich über die normierten Gepflogenheiten hinwegsetzt. Und um die Klasse von „Southpaw“ zu erspähen,
muss man sich wirklich lauter mit seiner Gestalt auseinandersetzen. Es geht um den Mittelgewichts-Champion Billy Hope (Jake Gyllenhaal, „
Brokeback Mountain“), dessen Karriere wie am Schnürchen verläuft: Seine widrigen Lebensumstände sind Teil der Vergangenheit, heute fährt Billy Sieg um Sieg ein, in dem er sich im Ring wie ein Schwamm mit Aggressionen vollsaugt und seine Gegenspieler gnadenlos auf die Matte schickt, wenn er seinen Körper nur mit der nötigen Wut aufgetankt hat. Finanziell hat er unlängst ausgesorgt, seiner Frau Maureen (Rachel McAdams, „
Sherlock Holmes“) und ihrem Töchterchen Leila (Oona Laurence) kann er jeden materiellen Wunsch erfüllen, ohne einen sorgenvollen Blick auf das Preisetikette zu werfen.
So weit, so abgestanden, möchte man sagen: Das starke, potente Testosteronphänomen, welches Frau und Kind versorgt, in dem es unter dem Gegröle einer tosende Menge seine Gegner zu Kleinholz verarbeitet. Dem aber ist nicht so. „Southpaw“ macht in der ersten halben Stunde immer wieder deutlich, dass es gar nicht unbedingt Billy ist, der seine Familie zusammenhält, sondern seine Frau Maureen, die er schon kannte, als er noch ein perspektivloses Heimkind in Hells Kitchen war. Sie ist das Herz und Hirn hinter Billys medialer respektive sportlicher Persönlichkeit, sie zieht die Strippen, wirtschaftet klug und gibt ihrem Mann die nötigen Ratschläge dahingehend, was er zu tun und zu lassen hat. Als Maureen aus seinem Leben gerissen wird, bricht auch die Stütze weg, die Billy seit Jahren auf dem rechten Pfad hat wandeln lassen: Billy war von seiner Frau abhängig, sie hat die Entscheidungen getroffen, er hat ihre liebevollen Anweisungen befolgt, einfach weil er sich im Klaren darüber war, dass er nicht der Kopf, sondern der Körper der Beziehung war.
Ist besagte halbe Stunde abgelaufen, dokumentiert „Southpaw“ die emotionale Abwärtsspirale des Billy Hope: Den Drogen und dem Alkohol verfallen, die Seele vollkommen von Trauer ramponiert, sind Billy nur noch die verzweifelten Schreie in das Bettlaken und eine unbändige Gier nach Rache geblieben. Als Konsequenz einer puren Todessehnsucht wird Billy das Sorgerecht seiner Tochter entrissen, was für jeden Vater den wachrüttelnden Effekt nach sich ziehen sollte, das eigene Fehlverhalten zu erkennen und Besserung zu geloben – Und Billy sucht die Sühne darin, in dem er sich an Tick (Forest Whitaker, „
Der letzte König von Schottland“) wendet, einen Boxtrainer, der Billy in die Spur bringen soll, der sich auf Jugendarbeit konzentriert und einst den Boxer ausgebildet hat, der es vollbrachte, Billy zu besiegen. Dass sich zwischen Billy zu Tick eine Art väterliche Beziehung aufbaut, scheint dem Usus des Genres zu entsprechen, allerdings hat man mit Jake Gyllenhaal und Forest Whitaker zwei hervorragende Charakter-Darsteller zu bieten, die so blendend miteinander harmonieren, dass das klischierte Wesen ihrer gemeinsamen Szenen von den pointierten Performances kaschiert wird.
Was „Southpaw“ in seiner Essenz aussagen möchte, ist, dass es nichts mit Männlichkeit zu tun hat, sich im Boxring wie ein Gorilla auf die Brust zu hämmern und seine Kontrahenten unter tumben Posen zu unterminieren. Stattdessen muss Billy Hope sich seine Frau als Vorbild nehmen und lernen, Verantwortung zu übernehmen, in dem er den Mut aufbringt, sein altes Ich zu besiegen und wie eine überflüssige Hülle abzulegen – Symbolisch wird genau dieses Ansinnen im finalen Kampf thematisiert. Es geht nicht mehr darum, ständig auf die impulsive Attacke zu plädieren, sondern seine Defensive auszubauen; zu verstehen, dass es nicht mehr nur um den Fausthieb, sondern um die Abwehr geht – Deswegen muss Billy das Wort Hoffnungslosigkeit auch erst ausbuchstabieren, bevor er sich aus dem Würgegriff eben jener zu winden versteht und den Boxring - ein illusorisches Zerrbild attitüdenhafter Maskulinität – nicht als blutverschmierter Boxer, als virile Bestie, die mal wieder einen Kampf für sich entschieden hat, sondern als Vater, der endlich in der Verfassung ist, seiner Tochter Obhut zu bieten, zu verlassen. Und das ist in diesen Gefilden schon ziemlich angenehm, den Mann durch die Rückbesinnung auf weibliche Tugenden zu komplettieren.
Cover & Szenenbilder: © 2015 The Weinstein Company.