„You need to keep both eyes open.”
Die Figur des
Captain America, die im normalen Leben ja bekanntermaßen als Steve Rogers (1922 in Manhattan geboren) unterwegs ist, stellt bis heute für viele den Prototyp des patriotischen Streiters dar – eine Charakterisierung, die es dem Comichelden bisher nicht allzu leicht gemacht hat, außerhalb der USA eine positive Rezeption zu erfahren. So legte die letzte Comicverfilmung „
Captain America: The First Avenger“ [2011], die sich mit den Anfängen des späteren Rächers befasste und ihn hierfür in einem mehr als kruden Zweiter-Weltkrieg-Szenario verortete, hierzulande auch erwartungsgemäß einen Fehlstart hin. Doch ehrlicherweise muss man zugeben, dass der Film wahrscheinlich selbst ohne den patriotischen Streiter in der Hauptrolle nicht zum Überflieger geraten wäre, da sich die gesamte Chose am Ende als überraschend dröge, halbgar und langatmig herausstellen sollte.
Erst im Fahrwasser des positiv aufgenommenen und darüber hinaus immens erfolgreichen „
The Avengers“ [2012], in dem der Cap an vorderster Front aktiv neben
Iron Man, dem
Hulk und etlichen anderen Superhelden mitmischte, w
urden plötzlich wieder Stimmen nach einer Fortsetzung laut. Und nun, drei Jahre nach Steve Rogers' ersten filmischen Gehversuchen im neuen Jahrtausend, ist der heroische Mann mit dem Schild auch schon wieder da. Im Schlepptau: rasante, knallende Action in einer geerdeteren Story, starke, attraktive Frauen und bemerkenswerterweise auch gediente Recken, die es auf ihre alten Tage anscheinend noch einmal wissen möchten. Wir fragen uns: Macht dies womöglich den kleinen, aber feinen Unterschied? Die Antwort folgt sogleich.
Zunächst jedoch zur Geschichte, die lose auf Motiven des von
Ed Brubaker entwickelten und von
Steve Epting gezeichneten, furiosen Comiczyklus rund um den ominösen
Winter Soldier basiert (erschienen in
Captain America [Vol. 5] #1 [2005]): Auch nach den Geschehnissen mit den
Avengers in New York hat Steve Rogers (Chris Evans) noch so seine Probleme, sich in der modernen Welt zurechtzufinden, in der er kürzlich aufgetaut wurde. Doch viel Zeit zur Eingewöhnung bleibt ihm nicht, da er sich kurz darauf inmitten einer gigantischen Verschwörung wiederfindet, die ihm und der Spionage- und Polizeieinheit
S.H.I.E.L.D. das Leben schwermacht. Keine Frage: Der Cap muss wieder einmal helfen. Mit tatkräftiger Unterstützung von der tough-resoluten Agentin Romanoff (Scarlett Johansson), auch bekannt als
Black Widow, und dem neuen Verbündeten
Falken (Anthony Mackie) stellt er sich mutig dem übermächtigen Feind entgegen. Schon bald machen unsere Helden erste Bekanntschaft mit dem unheimlichen
Winter Soldier (Sebastian Stan), der ein Geheimnis birgt, das die gesamte Mission überschatten soll...
Er scheint endlich angekommen, zumindest filmisch:
Captain America wirkt bereits in den ersten Minuten der actiongeladenen Fortsetzung so frisch wie nie, während er souverän beim Frühsport seinen späteren Mitstreiter
Falken deklassiert. Doch der körperlichen Überlegenheit stehen subtil verpackt auch einige Zweifel gegenüber. So ist es für den Cap, der kurz vor seinem Auftauen noch im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat, nicht sonderlich leicht, sich im modernen Jetzt mit all den technischen Neuerungen und Veränderungen zurechtzufinden. Er hat noch viel nach- und aufzuholen, aber, so lernen wir auch, für sich immerhin schon eine Antwort auf die vielerorts diskutierte Frage gefunden, ob man nun „
Star Trek“ oder doch eher „
Star Wars“ den Vorrang geben sollte. Es ist diese nach außen nicht sichtbare Zerrissenheit, die den muskulösen Mimen, der sich nämlich im Grunde gar nicht als ultimativer Held sieht, verletzlicher als vermutet erscheinen lässt, weshalb er sich auch mehr als einmal alleinig auf seine pure Kraft verlässt, anstatt mit brachialer Waffengewalt zum Ziel zu gelangen. Dies ist zum einen altmodisch, verleiht dem Film zum anderen in seinen hervorragend einstudierten und choreographierten Kampfsequenzen aber auch eine unglaublich physisch-moderne Präsens, die gewiss nicht zu verachten ist. Wenn hier Faust auf Faust knallt, dann so richtig.
Der realistischere Ansatz fußt zu einem Großteil auf der zugrunde liegenden Geschichte, die nicht mehr mit
Red Skulls (1. Film) oder Aliens (Avengers-Zusammenkunft) zu tun hat. Die Bedrohung ist diesmal eine solche, die zwar in der Vergangenheit ihre illustren Anfänge nahm, in der Gegenwart jedoch eher ernste, spionageähnliche Züge annimmt.
Fox Mulders Grundsatz, niemandem zu vertrauen, ist plötzlich auch im
Marvel-Universum angekommen, das uns zum allerersten Mal in seiner (Film-)Geschichte eine Verschwörung präsentiert, die bis in die höchsten Kreise reicht. Sicherlich in ihrer Entwicklung nicht immer vollends nachvollziehbar, lässt die Story von
Christopher Markus und
Stephen McFeely den nicht mit den Comics vertrauten Zuschauern doch stets den roten Faden, der sich – teils recht windungsreich, teils äußerst gradlinig – wie eine Hydra durch den über zweistündigen Film schlängelt.
Soviel ist also bereits jetzt festzuhalten: Die für die erfolgreiche Comedy-Serie „Arrested Development“ mit dem
Emmy prämierten Neu-Regisseure
Anthony & Joe Russo sorgen für frischen Wind im mittlerweile schon etwas angestaubt wirkenden Superhelden-Genre und verhelfen dem einst strahlenden und zuletzt eher unauffälligen Helden aus der zweiten Reihe im selben Atemzug wieder zu neuem Glanz. Die handgemachte Action sitzt, die Story passt, und auch die Hauptdarsteller, allen voran ein beeindruckend durchtrainierter
Chris Evans („
Snowpiercer“ [2013]) und sein ebenfalls handfest austeilender, weiblicher Gegenpart
Scarlett Johansson („
Vicky Cristina Barcelona“ [2008]), wissen nachhaltig zu überzeugen. Die bemerkenswerteste Leistung liefert aber der 77-jährige
Robert Redford („
Der Clou“ [1973]) als hochrangiger S.H.I.E.L.D.-Agent Alexander Pierce ab. Er hat gar nicht mal sonderlich viele Minuten Leinwandpräsenz, doch diese wenigen werden von dem charismatischen Mimen gekonnt dominiert. Diese unerwartete Casting-Entscheidung hat sich definitiv bezahlt gemacht.
Was hindert nun eigentlich den bestimmt nicht perfekten, jedoch im Ganzen äußerst stimmigen
„CAPTAIN AMERICA 2: THE RETURN OF THE FIRST AVENGER“ noch daran, eine 5-Sterne-Bewertung abzugreifen? Zwei Umstände, die den zuvor angesprochenen realistischen Ansatz unschön unterwandern und den Film mehr als einmal ungewollt wie eine stereotype Effekteschlacht ohne Sinn und Verstand aussehen lassen. Zum einen wären da die manchmal erstaunlich schwach umgesetzten
Visual Effects unter der digitalen Federführung von George Lucas' Trick-Studio
Industrial Light and Magic, die in ihrem verwaschenen Aussehen teils ungemein an bereits erfolgreich verdrängt geglaubte CGI-Verbrechen der späten 90er-Jahre erinnern, welche dem Standard des technisch Machbaren (man erinnere sich etwa an die ungleich besseren, weil unaufdringlichen Effekte im deutlich günstiger produzierten Oscar-Abräumer „
Gravity“ [2013]) des öfteren meilenweit hinterherhinken. Gerade die Flugsequenzen vom
Falken fallen hier negativ auf.
Zum anderen ist der im Vorfeld angekündigte, verstärkte Handkamera-Einsatz nur bedingt gelungen. Ohne Frage sorgt er in den Action-Sequenzen für eine deutliche Intensivierung des Gezeigten und schmeichelt hier und da gar der vermittelten physischen Stärke. Doch wann immer die Kamera hektisch an den Charakteren klebt und genauso wild wie diese durch die Gegend spurtet, geht gleichzeitig stets ein wenig Übersichtlichkeit flöten. Der dynamisch vollzogene Schnitt ist ebenso wenig förderlich, um in den schnellen, nicht gerade rar gesäten Action-Momenten den Überblick zu wahren. Nach Aussage der beiden Regisseure soll das Geschehen für den Zuschauer so eigentlich noch greifbarer werden, lässt es diesem aber aufgrund der zuvor geschilderten Herangehensweise leider öfters unglücklich entgleiten. Was vor allem insoweit ärgerlich ist, als der Film diese technischen Spielereien gar nicht nötig hätte.
Fazit: Der bisher wohl physischste Film im großen
Marvel-Universum bietet neben tollen Actionsequenzen und perfekt gecasteten Akteuren auch noch eine Geschichte, deren Verwurzelung in irdischen Gefilden nur zu begrüßen ist. Als interessante Mischung aus recht intelligentem Verschwörungs-Thriller und Agenten-Action konzipiert, funktioniert
„CAPTAIN AMERICA 2: THE RETURN OF THE FIRST AVENGER“ auf beinahe allen Ebenen vorzüglich und würde wahrscheinlich auch in höhere Wertungssphären vordringen. Doch ein leider nicht immer vorteilhafter Wackelkamera-Einsatz, der vermehrt den Überblick vermissen lässt, und für einen Blockbuster dieser Größenordnung (geschätztes Budget: 170 Millionen US-Dollar) dann doch teils erstaunlich mittelmäßige Effekte wissen dies leider gekonnt zu verhindern.
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