Wir wissen alle, dass Skandale Aufsehen erregen und darüber hinaus den angenehmen Nebeneffekt erzielen die Kinokassen klingen zu lassen. So musste es ja schließlich einmal kommen, dass Homosexualität, das Tabuthema jedes Cowboyfilms, auf die Leinwand gebannt wurde.
Im Jahre 1963 begegnen sich die beiden jungen Cowboys Jack und Ennis als sie tief in den Bergen von Wyoming eine Schafherde hüten. Die Abgeschiedenheit von der Zivilisation, die Verlassenheit und Stille des Ortes und die beinahe schon magische Stimmung des Brokeback Mountain bewirken, dass sich die beiden Männer näher kommen und sich schließlich eine verbotene Liebesbeziehung zwischen den beiden entwickelt.
Doch konnten die Protagonisten ihre Liebe in der Natur noch völlig frei leben so machen zurück in der Zivilisation die zeitlichen und kulturell-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen es Jack und Ennis schier unmöglich ihre Beziehung auszuleben. Sie scheinen in ihren provinziellen Nestern weit entfernt von den Metropolen, in denen sich zur damaligen Zeit die ersten Schwulenbewegungen formierten, die einzigen homosexuell Liebenden zu sein und stehen ganz auf sich alleine gestellt in einer konservativen und ihnen feindlich gesinnten Welt.
Das Außergewöhnliche dieses Hollywood-Dramas ist seine differenzierte Darstellung der gesellschaftlichen Problematik von Homosexualität, die niemandem die Schuld gibt, sondern vielmehr alle Beteiligten als Opfer des Systems und de
r Konventionen, in denen sie gefangen sind, und die ihnen schließlich – wie im zweideutigen Filmtitel bereits vorweggenommen – das Genick bricht, zeichnet.
Da wäre einmal der sehr selbstbewusste und bodenständige Jack, der in eine reiche, republikanische Familie einheiratet und dort die Autorität des tyrannischen Pater Familias untergräbt. In all den Jahren kann er seine große und einzige Liebe Ennis nicht vergessen und ist immer mehr bereit sein konventionelles, bürgerliches Leben über Bord zu werfen und alles aufzugeben, um mit seinem Liebsten offen und ehrlich ein gemeinsames Leben führen zu können.
Ennis hingegen tut sich hiermit äußerst schwer, weist Jack immer wieder zurück und versucht stattdessen seine Lebenslüge aufrechtzuerhalten. Jack droht immer mehr an der unerfüllten Liebe und seiner inneren Einsamkeit zu zerbrechen, sucht schließlich sogar jenseits der mexikanischen Grenze Stricher auf, nur um die Leere und Hoffnungslosigkeit zumindest auf eine rein sexuelle Art und Weise zu kompensieren.
Ennis musste bereits als Kind mit ansehen wie eine homophober Lynchmob einen alten Schwulen grausam ermordete, ein Erlebnis, welches er nie vergessen sollte und das ihn sein ganzes Leben lang verfolgen wird und ihn zum Gefangenen seiner selbst macht. Voller Selbsthass und Hass auf die anderen geht er durchs Leben, kehrt äußerlich den harten Macho hervor und zerbricht dabei innerlich. Erst Jacks Tod kann ihn aufrütteln und lässt ihn, obwohl nun alles zu spät ist, sein Leben überdenken.
Tragisch ist auch das Schicksal von Ennis’ Ehefrau Alma. Als sie herausfindet, dass Ennis in Jack verliebt ist bricht ihre ganze Welt zusammen. Nach der Scheidung steht sie mit ihren zwei Töchtern alleine da und heiratet – mehr aus Beweggründen der sozialen Absicherung denn aus Liebe – ihren Boss, einen Kleinunternehmer eines Lebensmittelgeschäftes. Besonders gut kommt ihr tragisches Geschick in jener Szene zum Ausdruck, in der sie nach der Scheidung in der Küche ihres neuen Zuhauses Ennis mit seiner Homosexualität konfrontiert und dabei in einen verzweifelten Schrei- und Weinkrampf verfällt.
Ang Lee legt viel Gespür und eine große Sensibilität an den Tag, die man in Hollywood-Produktionen meist vergeblich sucht, und seine sorgfältige Regiearbeit spricht für viel Talent und großes Können.
Durch den langsamen und ruhigen Einstieg, die Einführung der beiden Charaktere Jack und Ennis, die Kombination von wunderschönen Naturaufnahmen, Stille und die sich anbahnende verbotene Liebe kann sich die Dramaturgie mit ihren vielen amerikanischen Western- und Cowboymotiven und herkömmlichen Konventionen, die hier jedoch in einem vollkommen neuen und noch nie dagewesenen Zusammenhang stehen, auf wundervolle Weise entfalten.
Dabei wird dem Zuseher nie langweilig, die zwar emotional sehr mitreißende Story nie zu rührselig, trivial oder gar kitschig, und die Gegebenheiten sowie die Handlungs- und Verhaltensweisen der Charaktere bzw. der verstockten Gesellschaft werden nicht pauschal verurteilt, sondern einfach nur dokumentarisch gezeigt.
Vielmehr legt Lee Wert auf Details und subtile Andeutungen. Wenn etwa der von Leid und Kummer geplagte Ennis das ärmliche Kinderzimmer seines verstorbenen Freundes aufsucht, die aus Holz geschnitzten Spielsachen aus Jacks Kindertagen begutachtet und schließlich an dessen Hemd schnuppert, um noch einmal den Duft des Verstorbenen aufzunehmen und ihm ganz nahe zu sein, dann sprechen Bilder mehr als tausend Worte.
Auch ist es ist dem Regisseur sehr zugute zu halten, dass er Jacks „Unfall“ offen (man achte nur auf Lureens zweideutige Mimik während ihres Telefonats mit Ennis) und den Zuseher die Antworten auf die ungelösten Fragen selbst suchen lässt.
Das abgelutschte Klischee des maskulinen, rauen und Frauenherzen-brechenden (obwohl Ennis dies ja auf eine andere Art und Weise schließlich auch tut) Cowboys wird jedenfalls vollkommen auf den Kopf gestellt. Auch unsere romantischen Vorstellungen vom wilden Westen werden so ziemlich ins Gegenteil verkehrt: Armut, Bigotterie, Konservatismus, soziale Isolation, Einsamkeit und Verzweiflung werden hier dem Zuseher unverhohlen präsentiert und relativieren trotz atemberaubender Landschaftsaufnahmen die Western-Idylle.
Zwar gibt es bereits dutzende Filme, die mehr oder weniger Homosexualität in den Mittelpunkt rücken, „Brokeback Mountain“ ist aber eine groß angelegte Hollywood Produktion, die nicht als solche erkennbar ist sondern durch ihre Sensibilität und Differenzierung vielmehr an ein europäischer Filmdrama erinnert.
So lasst uns zum Abschluss nur hoffen, dass dies keine Eintagsfliege war und Hollywood uns in Zukunft noch weitere Filmwerke dieses Kalibers beschert!