Schauplätze eines Films sind manchmal die halbe Miete. Genrebedingt sind einige Filme mal mehr und mal weniger auf ihr Setting angewiesen. Was wäre beispielsweise ein „Amityville Horror“ ohne das Haus gewesen oder warum ging der größte Reiz des „Predator“ im zweiten Teil mit dem Schauplatzwechsel in die Großstadt verloren?
Gerade im Horrorfilmgenre, welches doch sehr stark von der Atmosphäre lebt, ist es wichtig, im allgemein sehr eingeschränkten Stil eine Neuerung zu bieten.
„Urban Explorer“ (2011) hat das überraschenderweise geschafft. Obwohl es dieses düstere Setting eines U-Bahn-Untergrundes bereits 2004 in „Creep“ gab, dürfte „Urban Explorer“ gerade hierzulande auch unheimlich zu Gute kommen, dass es der Untergrund von Berlin ist, an dem die Story angesiedelt ist.
Fangen wir dem Üblichen an: Vier junge Touristen suchen den ultimativen Großstadtkick und haben auf Empfehlung vieler anderer Touristen hin den „Urban Explorer“ Kris (Max Riemelt; „Napola“, „Im Angesicht des Verbrechens“) gebucht, der mit ihnen durch den Untergrund von Berlin steigt. Es verspricht eine abenteuerliche Reise in die Vergangenheit zu werden, als die fünf Leute durch den Berliner Club „Tresor“ in den Untergrund hinabsteigen und Gruppenleiter Kris erzählt, man werde alte Nazi-Malereien an den Wänden und Relikte aus der DDR finden. Während es immer tiefer in den Berliner Untergrund geht, keimt in den Studenten der
Wunsch, etwas Besonderes zu erleben. Dies scheint zu geschehen, als Explorer Kris erklärt, dass er den Weg, der beschritten wird, selbst noch nie gegangen sei. Es dauert jedoch nicht lange, bis allen klar wird, dass sie dort unten nicht allein sind…
Bisher also nichts wirklich Neues an der filmischen Front. Natürlich tappt auch „Urban Explorer“ in diverse Fallen, die sich einem Horrorfilm so bieten, um ein weiterer, unbedeutender Genrebeitrag zu sein. Die Figuren der Touristentruppe beispielsweise handeln oftmals genau so, wie man es als erfahrener Zuschauer erwartet, sie tun selten das Richtige und nur manchmal das Nachvollziehbare. Und erst Recht gegen Ende kommt es zum einen oder anderen Moment, den man aufgrund der Logik lieber nicht gesehen hätte.
Fast alles demnach beim Alten: die Bösen werden wie immer bewusstlos liegengelassen statt fertig gemacht und natürlich können ihnen auch übelste Wunden kaum etwas anhaben, beliebte und viel frequentierte Bahnhöfe mitten in Berlin sind plötzlich völlig verlassen und das über einen ordentlichen Zeitraum und selbstredend treibt die Angst die Hauptprotagonisten nicht zum vermeintlichen Ausgang, sondern wieder rein ins Revier des Psychopathen.
So weit, so altbekannt.
Kommen wir nun zu den positiven Aspekten des Films, die ihn dann trotz aller Klischees doch wirklich sehenswert machen.
Zum einen muss gelobt werden, dass Regisseur Andy Fetscher den Berliner Untergrund gekonnt als dunkles, klaustrophobisches, höhlenartiges Gebilde inszeniert, sodass die Möglichkeiten dieses Settings erstklassig ausgenutzt wurden. Die sparsame, aber jederzeit genügende Ausleuchtung erweist sich als perfekt gestaltet, sodass quasi in jeder Einstellung in jedem Bildausschnitt Schattenbereiche vorhanden sind, bei denen man sich nicht sicher ist, was darin lauern könnte.
Die völlig individuelle Kameraarbeit überzeugt mit verschiedenen Stilen, das geht tatsächlich vom (glücklicherweise überwiegenden) professionellen Filmstil über kurze Einschübe einer Handkamera bis hin zu quälend hektischen Schwenks in Terrorsequenzen und wunderbar unbehaglichen, ruhigen Einstellungen vom Schauplatz des Schreckens.
Hervorzuheben ist auch die kompetent gemachte Filmmusik, die mit wirkungsvoll düsteren Klängen die bedrohliche Atmosphäre maßgeblich mitkreiert.
Der überzeugendste Kniff des ganzen Films allerdings ist ein anderer Punkt: die sprachliche Gestaltung. Die amerikanischen Touristen sprechen komplett Englisch (Deutsch untertitelt), nur die deutschen Figuren im Film sprechen auch Deutsch. Somit entsteht durch diesen einfachen, aber wirkungsvollen Effekt eine Verbundenheit zu den Charakteren, ein wichtiges Merkmal, welches leider den meisten Horrorfilmen heutzutage vollkommen abgeht. Obwohl auch hier keine Unmenge an Zeit für irgendwelche Charakterisierungen verschwendet wird, ist es diese kleine, feine Idee, die uns als Zuschauer tatsächlich mit den Protagonisten mitfiebern lässt.
Angenehm ist ebenfalls, dass die Darsteller nicht aus einer Soap rekrutiert wurden und chargieren, sondern von einer Standard-Performance bis zu wirklich beängstigend gut gespielten Sequenzen alles vertreten ist, nur eben glücklicherweise nicht das untere Niveau. So gibt Max Riemelt routiniert den Urban Explorer, die Touristen vollbringen solide Leistungen, aber der absolute Killer im wahrsten Sinne des Wortes ist Klaus Stiglmeier, der den kranken Psychopathen unterhalb Berlins mit viel Herzblut gibt und damit garantiert jedem die Angst ins Mark treibt.
Eine Streitfrage bleibt natürlich, ob man den storytechnischen Hintergrund der Geschichte tatsächlich so gestalten musste, denn bei allem Hintergrund der deutschen Geschichte mutet es doch etwas kontrovers an, dass man zwar löblicherweise keine außerirdische Macht den Schrecken verbreiten lässt sondern reale Bestien in Form von Menschen, andererseits aber den Hintergrund deutscher Geschichte für diese perversen Persönlichkeiten benutzt. Da kommen Anspielungen und tatsächliche Verweise auf die Nazi-Zeit wahrlich nicht zu kurz und das bereits im grenzwertigen Bereich. Im Großen und Ganzen kommt man nicht umhin, den Fort- sowie Ausgang der Story bzw. deren Hintergrund als ziemlich fragwürdig zu bezeichnen.
Sieht man sich davon allerdings nicht so großartig gestört, erwartet den Zuschauer ein angenehm spannender Horrorfilm, der mit seinem Schauplatz und einigen neuen wie guten Ideen punktet und auch ab und an den Mut beweist, bei der deutschen Zensurbehörde hängen zu bleiben, da es doch die ein oder andere sehr deftige Szene gibt, die die 18er Freigabe mehr als rechtfertigt.
Aus deutschen Landen erreicht uns hier also mal ein überraschend sehenswerter Genrefilm, der natürlich auch viele Klischees nicht auslässt, aber stellenweise auch enorm spannend und fast durchweg überzeugend gemacht ist.
Einem Horrorabend mit einem guten Film abseits aller schlechten No-Name-Produktionen steht also endlich mal wieder nichts im Wege.