Ein grauenvoller Doppelmord sucht das beschauliche Städtchen Dead River, Maine, heim: eine Babysitterin und eine allein erziehende Mutter werden auf brutalste Weise getötet und zerstückelt, Körperteile sowie der Säugling gestohlen. George Peters, ein im Ruhestand befindlicher Polizist, ist sich sicher, dass der Kannibalenstamm zurück ist, der Dead River schon vor über 10 Jahren heimsuchte. Als „Experte“ versucht er zusammen mit den örtlichen Polizeikräften die Bevölkerung zu warnen, doch die Wilden haben sich bereits ein nächstes Ziel ausgesucht: sie benötigen den Geist eines lebendigen Babys. Das junge Ehepaar Amy und David haben nicht nur kürzlich eine Tochter bekommen, sondern in dieser Nacht auch noch Besuch von Luke und seiner Mutter Claire, die unglücklicherweise auch nicht von ihrem Ex-Mann Steven in Ruhe gelassen wird, welcher sich auf dem Weg nach Dead River befindet...
„Offspring“ bezieht sich auf das gleichnamige Buch von Jack Ketchum, das in Deutschland kürzlich in der Heyne Hardcore Reihe unter dem Titel „Beutegier“ erschienen ist. Die Originalausgabe von 1991 ist der Nachfolger von Ketchum's Erstling „Off Season“ (aka Beutezeit) von 1980 – und damit fangen die Probleme auch schon an. Im Nachwort der deutschen Ausgabe, das auf einem älteren Magazinartikel besteht, erläutert Ketchum die Hintergründe der Entstehung von Offspring. Eine wichtige Kernsache, wie Ketchum frei zugibt, ist vor allem eines: der schnöde Ma
mmon. Nachdem „Off Season“ trotz aller Probleme (unter anderem Zensur, das weggeworfene Originalmanuskript, etc.) zu einem Riesenerfolg wurde, wollte Ketchum natürlich mit seiner Literatur auch Geld verdienen. Dies merkt man dem Buch auch leider an. Es hat nicht diese gnaden- und hoffnungslose Kompromisslosigkeit, die den Vorgänger zum einen auszeichnet, zum anderen aber auch in gewisser Weise unerträglich bzw. schwierig zu lesen macht. Sicherlich, ein paar Elemente wie die Gefahr des Ex-Mannes sind ganz interessante Aspekte, nur fragt man sich nach der Lektüre des Vorgängers, was Ketchum bei solch einer archaischen Geschichte noch großartig neu erzählen möchte. Wenn man dann noch das vielgescholtene Ende des Buches kennt, kann man dem Film durchaus skeptisch gegenüber stehen, da eben schon die Vorlage zwar nicht unbedingt schlecht, aber eben auch bei weitem nicht das Gelbe vom Ei ist. Allerdings hat die Produktion des Films Modernciné übernommen, die ja auch den hervorragenden
Jack Ketchum's The Girl next Door - Evil geschaffen haben.
Das Buch selbst ist ja wie so oft bei Ketchum eine eher knackig-kurze Angelegenheit: knapp 280 Seiten hat die deutsche Übersetzung, das Original natürlich auf ein paar Seiten weniger, je nach Ausgabe. Da die Geschichte in nur einer Nacht stattfindet, gibt es ohnehin nicht unbedingt viel zu erzählen, dementsprechend bringt es der Film auch nur auf eine Laufzeit von knapp 75 Minuten. Das Drehbuch selbst wurde von Jack Ketchum persönlich nach seinem eigenen Roman geschrieben, und schon hier manifestieren sich erste Schwierigkeiten, die der Film über weite Strecken hat. Ketchum portiert seinen Roman fast 1:1 auf das Medium Film, gewinnt der Geschichte selbst nach über 15 Jahren (und etlichen Backwoods-Streifen wie
Wrong Turn und Konsorten) nichts wesentlich neues ab. Sicherlich, eine werkgetreue Umsetzung wird von vielen Fans befürwortet, allerdings – und das ist meine persönliche Meinung – sind 1:1 Umsetzung etwas fragwürdig, weil dadurch gerade die Chancen des anderen Mediums, des Films, ignoriert und sträflich vernachlässigt werden. Gerade auch weil man mit Andrew van den Houten einen eher unerfahrenen Regisseur genommen hat, der es auch nicht schafft, den größten Mangel von Ketchums Script auszubügeln.
Wie gesagt hat man den Eindruck, Ketchum hätte seinen Roman einfach in die Form eines Drehbuchs gepresst. Das bedeutet in der Praxis, dass Ketchum nur die eigentlichen Aktionen und gesprochenen Sätze der Charaktere in das Script gepresst hat, aber das filmisch zugegebenermaßen schwieriger als im Roman darzustellende Innenleben quasi ersatzlos gestrichen hat. Das ist deshalb besonders schwierig, da vieles in der Vorlage eben durch jenes Innenleben und die Gedankenwelt dargestellt wird. Regisseur van den Houten schafft es dann auch nicht, diese Aspekte durch seine Narrative im Film darzustellen. Das eigentlich einzige, was er einigermaßen retten konnte, ist die Sozialstruktur des Kannibalenstamms – leider eher unelegant, indem er sie ein einer unverständlichen Sprache miteinander reden lässt, und das ganze untertitelt. Was natürlich mit der Vorlage nicht viel zu tun hat, in der die Kannibalen gebrochenes Englisch reden, aber auch das nur sehr wenig. Das größte Problem findet sich dann aber bei den „zivilisierten“ Personen, allen voran dem Ex-Polizisten George Peters. Dieser spielte im Vorgängerroman „Off Season“ bereits eine wichtige Rolle, und gerade die Verknüpfung mit seiner Vergangenheit erklärt im Buch sein Verhalten, und noch viel wichtiger die eigentliche Tragik seiner Figur. Das gibt es im Film gar nicht! Er wird zwar – wieder 1:1 zum äußeren Geschehen des Romans – von der örtlichen Polizie aus dem Bett geklingelt und als „Experte“ hinzugezogen, aber auf die Vorgänge aus „Off Season“ kann der Film ja kaum Bezug nehmen, da es den Charakteren in Ketchums Roman zwar bewusst ist, aber fast nie explizit zur Sprache kommt. Dieses nicht dargestellte Innenleben der Charaktere führt dann leider auch zu völlig holprigen und fast schon absurd-lächerlichen Szenen, wenn beispielsweise Rabbit (zu deutsch: Wiesel) eben jenen George Peters am Strand kurz vor dem Showdown beobachtet; Kenner des Buches wissen über die Gedanken von Rabbit Bescheid (und damit über die Vorstellungswelt des Kannibalenstamms), Zuschauer ohne Kenntnis der Vorlage sehen ein Kind, das an der Kamera vorbeischaut.
Auch der Rest ist stellenweise sehr zweckmäßig inszeniert, so dass auch manchmal Kannibalen wie auf ein Stichwort ins Bild springen, um sich flüchtenden Protagonisten in den Weg zu stellen. Was man van den Houten und seinem Team aber bei weitem nicht vorwerfen kann – und das ist bei der Romanvorlage doch wertzuschätzen – ist, dass sie keinen Mut hätten. Liest man Beutegier, könnte man ähnlich wie bei
Jack Ketchum's The Girl next Door - Evil aka Evil auf den Gedanken kommen, dass das so nicht umsetzbar ist. Immerhin schreibt Ketchum über eine Gruppe von Kannibalen, die sich von Menschenfleisch ernährt, sich ein menschliches „Vieh“ als Haustier und Befruchtungsmaschine hält, sowie sich neuerdings auf das Entführen von Säuglingen spezialisiert hat. Zu allem Überfluss besteht der Stamm zu großen Teilen aus Kindern jeglichen Alters. Und gerade das ist dann der starke Tobak, der Film und Buch im wörtlichen Sinne „bemerkenswert“ machen, da auf der Gore-Schiene der Vorgänger Beutezeit deutlich härter ist. Aber menschenfressende Kinder sind verstörend genug, doch wenn diese sich nur durch Waffengewalt (und damit Tötung) stoppen lassen, stellen sich eigene moralische Empfindungen in Frage.
Dabei gibt es wenig reine Exzesse wie zu seligen
Cannibal Holocaust Zeiten. Es fließt zwar szenenweise ordentlich Blut (Jugendschützer werden sowieso wieder die reinste Freude an dem Film haben), aber ansonsten sind die wirklich brutalen Szenen relativ zurückhaltend inszeniert. „Zurückhaltend“ ist hier wirklich sehr vorsichtig zu sehen, aber gerade die grausamste Szene in der Höhle spielt sich zu weiten Teilen im Kopf ab. Überhaupt ist die Stimmung in der Höhle sehr bedrückend, auch wenn der Film hier – wie die Kannibalen überhaupt – fast zu sauber wirkt. Die Wilden selbst sind szenenweise zu sauber, um wirklich glaubwürdig zu sein, gerade wenn man auch hier wieder die Vorlage kennt. Dafür schafft es der Film, gerade in den weniger graphischen Szenen den Zuschauer psychisch zu verstören. Ohne das hier groß spoilern zu wollen, hat es wirklich fast alles in den Streifen geschafft, auch die Szene mit Amy und dem Kannibalenbaby, die eigentlich viel grausamer ist als irgendwelche Fressereien.
Die Schauspieler sind zu großen Teilen No-Names, ebenso wie der Rest von der Crew. Jack Ketchum selbst hat immerhin einen Cameo als Ermittler am ersten Tatort. Erneut ist es natürlich bemerkenswert, dass hier wieder Kinder jeglichen Alters in extremen Rollen besetzt werden. Ein Making-Of oder ähnliches wäre hier auf einer zukünftigen DVD sehr wünschenswert. Etwas merkwürdig, aber noch nicht wirklich kritikfähig ist der Ton und das Bild des Films. Basis für diese Rezension war eine Screener-DVD von Modernciné. Ich bin mir nicht sicher, ob die Post-Production hierbei schon vollständig abgeschlossen war. Das Bild sieht zu weiten Teilen völlig unbearbeitet aus, eine kurze Szene wirkt wie aus einem alten Urlaubsvideo auf Super-8 (was mir super gefallen hat). Der Ton wiederrum ist vor allem bei der Musik wahrscheinlich noch nicht fertig. Der Soundtrack ist so minimalistisch, dass er fast vorläufig wirkt, was dadurch unterstützt wird, dass er von der Mischung her zu sehr „im Vordergrund“ liegt, wenn er denn ertönt. Dazu kommen noch eher provisorische Anfangscredits, und so manch holpriger Schnitt, so dass ich all diese Faktoren nicht zu bewerten vermag.
Somit ist„Offspring“ nicht notwendigerweise ein sehr guter Film geworden. Seine Komromissloigkeit und Werknähe bügeln zwar einige Fehler der Regie und des Drehbuchs wieder aus, aber gerade eben jene Werknähe sorgt auch für einige dieser Probleme, wie ich zu zeigen versucht habe. Dafür kann der Film mit einer Ernsthaftigkeit und der kompromisslosen Umsetzung der Grundidee von wilden Kindern, die sich von Menschenfleisch ernähren, punkten. „Offspring“ hat durchaus einige Ecken und Kanten, ist also bei weitem kein Mainstream-Backwoods-Horror, sondern wirklich eher für Freunde des extremeren (hier nicht! im Gore-Sinne, sondern auf moralischer Stufe) Kinos sehenswert. Kenntnis des Buches wird empfohlen!
„Offspring“ ist also nicht exzellent. Aber das ist das Buch auch nicht. Womit wir wieder beim leidigen Thema der Werknähe wären...