von Asokan Nirmalarajah
The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford (2007) kreist, wie es der Titel des amerikanischen Debüts des australischen Regisseurs Andrew Dominik mehr als deutlich macht, um ein historisches Ereignis, bei dem ein noch heute jenseits seiner Landesgrenzen bekannter amerikanischer Bandit des späten 19. Jahrhunderts von einer mittlerweile vergessenen, oft als Feigling bezeichneten Person hinterrücks erschossen wurde. Wie schon bei seinem allerorts gefeierten Regieeinstand
Chopper (2000), in dem ein mediensüchtiger australischer Kleinganove (gespielt von dem damals noch unbekannten Eric Bana) seine bizarre Lebensgeschichte als ulkiges Unterweltabenteuer präsentiert, geht es Dominik aber weniger darum, die Abenteuer einer legendären Persönlichkeit einzufangen, als um die Mechanismen der Mythenbildung, um die Diskrepanz zwischen konstruiertem Mythos und Realität, wie auch dem Phänomen des Starkults, der sowohl das Objekt des Kults als auch seine Anhänger von der Realität so weit entrückt, dass sie psychotische Tendenzen entwickeln und sich ineinander zu verlieren drohen. Da der eigenwillige Titel der Romanvorlage von Ron Hansen – auf dessen Verwendung Star und Co-Produzent Brad Pitt beharrte – bereits den Höhepunkt der Jesse-James-Legende vorwegnimmt – sofern man es nicht s
chon aus Geschichtsbüchern wusste – ist Dominiks sehr langsamer, ruhiger Film nicht so sehr darum bemüht, eine konventionelle Dramaturgie um die letzten Tage im Leben des Jesse James zu erstellen. Stattdessen liegt mit diesem meisterlich fotografierten Spätwestern ein zweieinhalbstündiges Psychogramm eines brüchigen Helden und seines einst größten Fans vor, in dem sich die unendliche Melancholie und Einsamkeit der sich so ähnelnden wie gegensätzlichen Protagonisten in jedes einzelne, grandiose Bild des Films einfrisst, um die desillusionierende Demontage eines Volkshelden durch einen bislang eher anonymen Feigling bewegend einzufangen.
Bereits 2005 abgedreht, für das nächste Jahr angekündigt und erst 2007 nach langen kreativen Debatten zwischen dem Regisseur, der seinen Film ganz richtig in der Tradition von Terrence Malick (
Days of Heaven, 1978) als elegische Westernballade über die Schattenseiten des Ruhmes sah, und dem Studio, das sich einen besser verkaufbaren, dynamischeren Western im anspruchsvollen Stile eines Clint Eastwood (Pale Rider, 1985) wünschte, kam der Film endlich in die Kinos und fand enorm viel Kritikerzuspruch, aber erwartungsgemäß kein großes Glück mit dem Publikum. Das sollte bei einem so düsteren, nüchternen und behäbigen Werk wie diesem nicht gerade überraschen. Doch gerade das amerikanische Kinojahr 2007 sah eine Flut von eher unkonventionellen, aber erfolgreichen Filmen, die thematisch wie qualitativ an die Filme aus der Blütezeit des unkonventionellen Hollywood-Kinos anknüpfen konnten. Von Paul Thomas Andersons höchst eigenwilliger Charakterstudie
There Will Be Blood über Ben Afflecks moralisch prekärer Milieustudie
Gone Baby Gone und Tony Gilroys kühlem Firmenthriller
Michael Clayton bis hin zum existentialistischen Neo-Western
No Country For Old Men von den Coen-Brüdern fühlte es sich an wie in der Ära des New Hollywood Cinema, als Regisseure wie Peckinpah, Lumet, Kubrick, Altman und andere noch Werke drehten, die reich an konzeptionellem Wagemut, an moralischer Ambiguität und/oder an narrativen/filmischen Spielereien waren. Gerade der größtenteils übersehene
The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford ist ein Film, den in den 70er Jahren Peckinpah oder Malick hätten problemlos drehen können. Doch Dominik vermag hier die männliche Melancholie des ersteren mit den mystischen Naturbildern des anderen zu kombinieren. Das Ergebnis ist ein Film nicht ohne Längen und Schwächen, aber doch von solcher Schönheit und Tragik, dass man die langsameren Passagen und Ausflüge des Films ohne weiteres in Kauf nimmt.
Im Zentrum des Films steht nicht Jesse James (Brad Pitt), der oft als Lichtgestalt, aber ebenso oft auch als psychotischer Mörder in der dunklen Ecke präsentiert wird, sondern Robert Ford (Oscar-nominiert: Casey Affleck), der im letzten Drittel des Films zunächst die Leerstelle der Lichtgestalt zu füllen versucht, aber dann doch zu sich selbst findet, um seinem eigenen Ende entgegenzublicken. Wie in jedem Erzählfilm bewegen sich auch hier die Figuren aufeinander zu und entfernen sich wieder voneinander, doch eine konkrete Dramaturgie hat der Film beim besten Willen nicht vorzuweisen. Stattdessen sehen wir wie Jesse sich in seinen letzten Tagen zusehends zurückzieht und sich von seinem Bruder Frank (Sam Shepard) entfernt. Robert und sein Bruder Charley (Sam Rockwell) stoßen vor einem Zugüberfall zu der berüchtigten James Gang, wobei sich besonders der schüchterne Robert eine große Zukunft als Räuber verspricht und die Aufmerksamkeit des von ihn bewunderten Jesse sucht. Als sich dieser aber mehr und mehr als eigenwilliger Egomane entpuppt, der ihn aufzieht und wiederholt erniedrigt, beschließt Ford jemand Bedeutendes zu werden, statt ein Niemand zu bleiben und lässt sich und seinen Bruder von der US-Regierung bezahlen, um Jesse James in dessen Versteck, wo er mit seiner Frau (Mary-Louise Parker) und seinen zwei Kindern lebt, zu töten. Doch damit beginnt erst der Alptraum für Robert Ford, der so ebenso schnell populär wie auch bald verhasst wird…
Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford ist nicht nur ein Film mit einem recht langen Titel, sondern auch einer, der sich relativ viel Zeit nimmt, um seine Geschichte zu erzählen, und das nicht auch ohne narrative Schlenker, bei denen man für einige Zeit sogar die zwei Titelfiguren aus dem Auge verliert und ganz anderen Mitgliedern der dysfunktionalen James-Bande folgt. Zwar gehört alles wesentlich zu der erzählten Geschichte, aber einiges Material hätte man auch getrost kürzen können. Das Tempo des Films ist allerdings perfekt in den sehr langen Einstellungen, in denen Jesse James, mit viel Eleganz und Star-Autorität von Pitt als mysteriöse Projektionsfläche gespielt, in seinen eigenen Abgrund zu starren scheint, während der anrührende Affleck als hilfloser Jüngling auf der Suche nach Anerkennung die hochnervöse Unsicherheit eines kindlichen Michael Jackson zu vermitteln scheint. Die restliche Besetzung ist durch die Bank weg solide, auch wenn Parker als einzige Frau im Film mit größerer Rolle sich in der grandiosen Requisite des Films auflöst. Zu der handwerklichen Makellosigkeit des Films gesellt sich noch die melancholische Trauermusik von Nick Cave und Warren Ellis, die nicht nur den Tod des Jesse James zu betrauern scheint, sondern auch das Leben des Feiglings Robert Ford.