Filmkritiken - von Independent bis Hollywood
 
2008 Filmkritiken | 10468 Personen | 3323 Kommentare  
   
Bitte wählen Sie

Email

Passwort


Passwort vergessen

> Neu anmelden

Auch interessant



36 - Tödliche Rivalen
von Olivier Marchal




Meist gelesen¹

1. 
Cannibal Holocaust (Nackt und Zerfleischt)  

2. 
Martyrs  

3. 
Auf der Alm da gibt's koa Sünd  

4. 
Troll Hunter  

5. 
Antikörper  

6. 
Das Zeiträtsel  

7. 
Supernatural  

8. 
Harry Potter und der Orden des Phönix  

9. 
Andromeda - Tödlicher Staub aus dem All  

10. 
Midnighters  
¹ gilt für den aktuellen Monat

  FILMSUCHE
  Sie sind hier: Filmkritiken > Andreas Schaap > Das letzte Abteil
Das letzte Abteil RSS 1.0


Das letzte Abteil

Das letzte Abteil

Ein Film von Andreas Schaap


ES FÄHRT EIN ZUG NACH NIRGENDWO


Ein Waggon, sechs Menschen, ein verheerendes Unglück: Mehr benötigt Drehbuchautor und Regisseur Andreas Schaap („Must Love Death“ [2009]) nicht, um in „DAS LETZTE ABTEIL“ einen klaustrophobischen Alptraum zu kreieren, aus dem es kein Erwachen gibt. Oder doch?


1986: Nach einem Lawinenunfall in den Alpen finden sich sechs überlebende Passagiere eines Zuges in einem abgetrennten Waggon wieder, begraben unter gewaltigen Schneemassen. Da die Luft langsam knapp zu werden droht und eine alsbaldige Rettung nicht in Sicht scheint, suchen die Verschütteten um die junge Greta (überragend: Anna Fischer), die sich auf dem Weg zu ihrer seit Jahren im Koma liegenden Mutter befindet, fieberhaft nach einem Ausweg aus der Misere. Als dann zu allem Überfluss noch eine verstümmelte Leiche entdeckt wird, ist der Alptraum für die Verunglückten vollends perfekt, denn der Mörder muss sich noch unter ihnen befinden. Und er kann jederzeit wieder zuschlagen...


Was sich hier zunächst wie eine klassische Whodunit-Geschichte liest und sich im Film auch erst so anfühlt, ist in Wahrheit die vielleicht interessanteste Genre-Paarung der jüngsten deutschen Kinogeschichte. Denn die vermeintliche Kriminalhandlung im reduzierten Kammerspielmodus ist lediglich Aufhänger für einen überaus spannende
n und geschickt konzipierten Psycho-Thriller-Trip, der vor vereinzelten Horrorelementen nicht zurückschreckt, dabei aber immer mal wieder den leisen, charakterbezogenen Momenten Spielzeit einräumt. Dass der Film bei dieser nicht ganz ungefährlichen Manövrierung durch verschiedenste Genres trotz allem in der Spur bleibt und nicht dasselbe Schicksal wie das titelgebende letzte Abteil erleidet, ist sicherlich bemerkenswert. Vor allem, da Schaap nach eigenem Bekunden eingangs noch einen reinrassigen Horrorfilm im Kopf hatte und erst im fortgeschrittenen Produktionsverlauf sein bestehendes Drehbuch zur jetzigen Form umschrieb. Doch wie kam es zu dieser Neuausrichtung?


Verantwortlich war wieder einmal das Drehbuch des Lebens, das sich fortwährend umschreibt und Dinge einfach passieren lässt, gute wie schlechte. Ob man es nun Schicksal nennt, oder im letzteren Fall schlicht ungerecht, ist eine Frage, die schon viele gestellt haben. Unumstößlicher Fakt ist: Andreas Schaap verarbeitete mit „DAS LETZTE ABTEIL“ persönlich Erlebtes, was das Gezeigte gerade zum Ende hin im besten Sinne nur schwer goutierbar macht. Denn der interessierte Zuschauer sucht mit einem Mal automatisch selbst nach Antworten auf unbequeme Fragen. Antworten, die mitunter genauso unbequem ausfallen können. Schaap spielt hier nicht etwa den Moralapostel, wenn er die schwer zu beantwortende Frage, wann ein Leben noch lebenswert ist, in sein klaustrophobisch-dichtes Story-Korsett zwängt, sondern seziert ethische Überlegungen, die im Grunde uns alle angehen, mit der Präzision und Einfühlsamkeit eines unmittelbar Betroffenen. Was den packenden Mystery-Psychohorror letztlich auf eine menschlich-dramatische Ebene zieht, die man nach der Inhaltsangabe wahrscheinlich nicht erwartet hat. Garniert mit klassischen Schuld-und-Sühne-Aspekten, entfaltet sich in knapp 100 Minuten ein wahres Panoptikum des Lebens, in dem Schein und Sein, Wahn und Realität mitunter nur einen Wimpernschlag voneinander getrennt liegen.


Netterweise nimmt uns Schaap in diesem Vexierspiel immer wieder kurzzeitig an die Hand, um uns durch die verschlungenen Pfade seiner Geschichte zu leiten. Doch einige scheinbar unwegsame Passagen müssen wir dann mit etwas Anlauf doch noch selbst bewerkstelligen, um auch wirklich den allerletzten Stein vom Weg aufzusammeln. Aber da das Leben schon nicht einfach ist... So beschließt das Einsetzen des Abspanns vielleicht den Film an sich, sein clever verborgenes Diskussionspotential jedoch hat dann gerade erst begonnen, in unseren Köpfen Wurzeln zu schlagen. Und das macht am Ende den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen einem soliden und einem großartigen Film aus, bei dem vom Schnitt über die Kamera bis hin zur stimmigen Musikuntermalung so gut wie alles miteinander harmoniert.


Fazit: Drehbuchautor, Produzent und Regisseur Andreas Schaap liefert einen clever gestrickten, überraschend-tiefsinnigen und brillant gespielten Genre-Beitrag aus deutschen Landen ab, der trotz schmalen Budgets so manch größeren Vertreter seiner Zunft alt aussehen lässt. So ist „DAS LETZTE ABTEIL“ nicht nur der persönlichste Film dieses jungen Regisseurs, sondern auch dessen bestes, weil reifstes Werk geworden, was für die Zukunft Großes erwarten lässt. Bis dahin hat „DAS LETZTE ABTEIL“ wahrlich jede Aufmerksamkeit verdient.


Cover: © Little Bridge Pictures


Eine Rezension von Stefan Rackow
(26. September 2016)
    Das letzte Abteil bei ebay.de ersteigern


Kommentar schreiben | Einem Freund empfehlen

Daten zum Film
Das letzte Abteil Deutschland 2014-2016
Regie Andreas Schaap Drehbuch Andreas Schaap
Produktion Little Bridge Pictures Kamera Dennis Pauls, Dimitri Serovatski, Manuel Ruge
Darsteller Anna Fischer, Tim Sander, Andreas Hilscher, Barbara Prakopenka, Nic Romm, Ernst-Georg Schwill, Annelinde Gerstl
Länge 104 Minuten FSK voraussichtlich ab 16 Jahren
Filmmusik Matthias Petsche, Daniel Dickmeis
Hintergrundinfos Der packende Film feierte auf dem diesjährigen 23. Internationalen Filmfest Oldenburg in Anwesenheit von Regisseur, Cast und Crew seine Weltpremiere.
Kommentare zu dieser Kritik

Kommentar schreiben | Einem Freund empfehlen

 

Impressum