Bei der beachtlichen Dichte an guten Filmen, die Alfred Hitchcocks Oeuvre aufweist, fällt es schwer, für sich
den besten daraus zu küren. Sein schwarzhumoriges Thriller-Spätwerk "Frenzy" zählt jedoch ohne Diskussion zu den beachtlichsten Arbeiten des Suspensekönigs.
Die Londoner Bevölkerung lebt in Angst und Schrecken. Ein Triebmörder geht um, der alleinstehende Frauen mit einer Krawatte stranguliert. Zuerst tappt Chef-Inspektor Oxford (Alex McCowen) von der Scotland Yard im Dunkeln, zumal sich ihm kein einleuchtendes Motiv für die Gräueltaten erschließen will. Mit der Zeit schöpft er aber Verdacht, der ehemalige Air Force-Pilot Richard Blaney (Jon Finch), der soeben seinen Job als Barkeeper aufgeben musste, könne hinter der Mordserie stecken. Immerhin ist dessen Ex-Frau Brenda (Barbara Leigh-Hunt) das jüngste Opfer des Irren - und alle Indizien deuten darauf hin, dass Blaney als Letzter am Tatort, nämlich Brendas Büro bei einer Partnervermittlungsstelle, gewesen sein muss. Tatsächlich ist aber der unscheinbare und stets galante Gemüsehändler Robert Rusk (Barry Foster) der gesuchte Täter, der Blaney die Morde hinterrücks in die Schuhe schieben will und sich dessen Freundin Babs (Anna Massey) schon als nächstes Opfer ausgeguckt hat...
Es heißt, "Frenzy", basierend auf der Novelle "Goodbye Piccadilly, Farewell, Leicester Square" von Artur La Bern, sei Hitchcocks "bösester" Film. Und dies kann man guten Gewissens auch
so unterstreichen. Die gesamte Inszenierung ist von einem Sarkasmus durchzogen, der einem das Lachen ab und zu schon mal in jenem Teil des Körpers stecken bleiben lässt, das der Film-Würger so begehrt. Dabei gehören die Späßchen um des Inspektors Frau, die ihrem Gatten andauernd die exotischsten Speisen serviert - mal Wachteln, mal Schweinefüße mit Weintrauben - die diesem schon beim bloßen Anblick den Appetit verderben, noch zu den harmloseren, obgleich sie Hitchs köstlichen Sinn für Humor unter Beweis stellen. Oxfords steife, aufgesetzte Höflichkeit gegenüber seiner "Köchin", eine Höflichkeit, die das profane Klischeebild vom englischen Mann von Welt ausfüllt, spiegelt sich in der vornehmen, fast schon überheblichen Art des Mörders Rusk. Und was läge dem "Master of Suspense" näher, als seine liebevolle Karikatur der britischen Upper Class-Yuppies mit dem ganz und gar sympathischen Kniff zu akzentuieren, dass der Mörder als Tatwaffe eine Krawatte benutzt? Das ins Groteske, Makabre überzeichnete Schaurige erzeugt in Verbindung mit der clever konstruierten Geschichte eine unterkühlte Spannung, die der Film bis zum (wieder augenzwinkernden) Herzschlagfinale durchhält.
Die Identität des Mörders legt Hitchcock relativ geschwind offen. Doch das ist nicht unbedingt eine Schwäche des Films, sondern ein wohl überlegter Zug des Altmeisters. "Frenzy" ist eben kein Vexierspiel á la
Vertigo, in dem das Spiel mit dem Zuschauer einzig und allein aus einer konstanten Verunsicherung in Bezug auf die Figuren entsteht. Dennoch ist das fein-ironische Bonbon nicht frei von Manipulation. Man nehme die beispielhafte Szene, als Babs ermordet wird. Als Rusk ihr Einlass in seine Dachwohnung gewährt und die Tür hinter sich schließt, schwenkt die Kamera langsam, immer noch auf die Tür gerichtet, die Treppe herunter und verweigert uns sozusagen die "Mitwisserschaft" dessen, was dort drin nun vor sich gehen wird. Wie ein potenzieller "Retter", der aber nicht ins Geschehen eingreift. Der Zuschauer weiß hingegen sehr wohl, dass Babs umgebracht wird. Dazu genügt alleine ein Satz, den Rusk gesagt hat, bevor er die Tür hinter sich schloss: "Du bist genau mein Typ!" Derselbe Satz, den er zuvor Brenda immer wieder zugeraunt hatte, bevor er sie tötete. Typisch Hitchcock!
Manipulation ist auch die Absicht bei der Zeichnung der Charaktere gewesen. "Frenzy" bedeutet "Wahnsinn", "Raserei" - und ausgerechnet Barry Foster, der demzufolge wie ein Wahnsinniger spielt, erweist sich als die zwiespältigste Figur des Films. Zwischen Rusks Taten, die unter normalen Umständen bloßes Entsetzen hervorrufen sollten, will man als Zuschauer immer wieder hell auflachen. Der grandiose Foster überreizt seine schleimige "Jack the Ripper"-Kontrastrolle mit kontrolliertem Overacting nämlich so sehr, dass er den Balanceakt zwischen tiefgreifendem Mörderpsychogramm und schierer Gentlemanparodie spielend meistert. Vollkommen unverständlich, dass der Brite nach dieser Galavorstellung mehr oder weniger in der Versenkung verschwand. Relativ zeitig verabschieden sich im Film Hitchs blonde Musen, Anna Massey und Barbara Leigh-Hunt, und als Zuschauer fiebert man mit dem unschuldig verfolgten und eingesperrten Blaney, vorzüglich gespielt von Jon Finch, der gerechten Strafe für den "Krawattenmörder" Rusk und somit dem Schluss entgegen, mit dem Hitchcock das I-Tüpfelchen auf sein stimmungsvolles Spätwerk setzt.