„What happens when the numbers run out?“
Vorhersagen über die Zukunft und Prophezeiungen beschäftigen die Menschheit seit jeher. Während sie sich noch relativ einfach treffen lassen, steht ihr wirkliches Eintreten hingegen auf einem ganz anderen Blatt. So frotzelte etwa Gary Cooper nach seinem Entschluss, die Hauptrolle in „Vom Winde verweht“ [1939] nicht anzunehmen, Clark Gable würde nun an seiner statt böse auf die Nase fallen. Doch diese wenig weise Voraussicht sollte schon bald von einem lauen Lüftchen hinfort getragen werden, das selbst ein allsehender Wetterfrosch nicht hätte vorausahnen können. Niemand weiß eben, was wirklich kommt –
oder?
1959 in Lexington, Massachusetts. Eine Schulklasse wagt das Experiment, ihre Vorstellungen einer Zukunft zu beschreiben, die in 50 Jahren Entfernung liegt, indem jeder Schüler, jede Schülerin seine respektive ihre Zukunftsvision als Zeichnung auf einem Blatt Papier festhält. Diese Zettel lagern dann gesammelt in einer sogenannten Zeitkapsel, welche erst 2009 im Beisein vieler Gäste wieder ausgegraben und geöffnet werden soll. Alle bis auf die kleine Lucinda (Lara Robinson) kommen der Aufforderung der Lehrerin (Danielle Carter) nach. Seltsamerweise ziert nämlich nicht ein Bild, sondern eine Zahlenreihe das Blatt der Kleinen, die selber nicht genau erklären kann, was sie da gerade wie unter Hypnose zu Papier gebracht hat. Richtig mysteriös wird es abe
r erst, als Lucinda plötzlich spurlos verschwindet und erst nach längerer Suche völlig verängstigt und zusammengekauert in einem Wandschrank der Schule aufgefunden wird, ihre Fingerkuppen blutig vom Kratzen an der Holztür. „Sie sollen aufhören zu flüstern“, wimmert das Mädchen immer wieder ins Gesicht ihrer Lehrerin, welche den Blick nicht abwenden kann von den Furchen an der Tür. Furchen, die sich als panisch eingekratzte Zahlen entpuppen...
2009. Die Zeitkapsel wird im Rahmen einer Feier im Beisein der Öffentlichkeit gehoben und jedem anwesenden Schüler eine der zu Papier gebrachten Zukunftsvisionen ausgehändigt. Caleb (Chandler Canterbury, „
Der seltsame Fall des Benjamin Button“ [2008]), der Sohn des alleinerziehenden Astrophysikers John Koestler (Nicolas Cage, zuletzt zu sehen in „
Bangkok Dangerous“ [2008]), erhält zufällig den Umschlag mit dem Namen Lucindas auf dem Kuvert. Berechtigterweise weiß der Junge mit der scheinbar willkürlich niedergeschriebenen Zahlenkolonne nichts anzufangen, was ihn aber nicht davon abhält, das Papier heimlich mit nach Hause zu nehmen, anstatt es am Ende der Feier der Schule zurückzugeben. So nimmt John Kenntnis von der Zahlenreihe – ein Mann, der nach dem Tod seiner Frau an nichts glaubt, außer dass alles „einfach so“ passiert. Punkt, Schluss, keine Diskussion. Eine Sichtweise, die bald auf eine harte Probe gestellt wird, entdeckt John doch in den Zahlen einen Code, der Unvorstellbares zutage fördert: Die schlimmsten globalen Katastrophen und Unfälle der letzten 50 Jahre finden sich datumsgenau und mit erschreckend präzisen Angaben über zu beklagende Opfer in den Zahlen wieder. Eine zahlengewordene Chronologie der bittersten Ereignisse in der Menschheitsgeschichte, aufgeschrieben zu einem Zeitpunkt, als diese Unglücke noch in weiter Ferne lagen! Und das Erschreckendste: drei Ereignisse, die bereits unmittelbar drohen und an deren Ende die größte aller Katastrophen stehen soll, sagt der Code noch voraus...
Die unter Fans zu Kultfilmen avancierten düsteren Werke „The Crow – Die Krähe“ [1994] und „Dark City“ [1998] machten ihn in den letzten Jahren berühmt, doch richtiger kommerzieller Erfolg sollte
Alex Proyas erst mit der Science-Fiction-Verfilmung „I, Robot“ [2004] beschert werden, die nun auch schon fünf Jahre zurückliegt. Fünf lange Jahre, in denen sich der gebürtige Ägypter rar machte, um an seinem nächsten Werk zu arbeiten, ihm den letzten Feinschliff zu verpassen. Vorweg sei verraten: auch in seinem jüngsten Werk ist eine Thriller-Handlung der Ausgangspunkt einer Kette von ominösen Ereignissen, die wiederum aus dem Science-Fiction- und Mystery-Genre entlehnt werden. Alles beim guten Alten also? Nur zu gerne würde man während des Sehens des Streifens einfach alle etwaigen andersdeutenden Vorzeichen wider aller Vernunft ignorieren und bejahend nicken. Doch
„KNOWING“ – welch’ Ironie – weiß nicht immer das Potential der zugrunde liegenden Geschichte vollends auszuschöpfen und wird daher aller Voraussicht nach das Publikum in verschiedene Lager spalten. Schade eigentlich, denn der Film kann über den Großteil seiner knapp zweistündigen Laufzeit durchaus überzeugen, denn mehr als nur einmal kommen Proyas Stärken als Regisseur spannungsgeladener, atmosphärischer Werke zum Tragen.
Der Mysterythriller, dem die nicht einfach zu beantwortende Frage zugrunde liegt, wie weit ein Mensch für die Rettung seiner Liebsten gehen würde, wird von Kameramann
Simon Duggan („
Restraint“ [2008]) in apokalyptisch-düstere Bilder verpackt, was den Eindruck erwecken könnte, dass die Ausweglosigkeit der Ereignisse in den Vordergrund gerückt werden soll. Sicherlich drängt sich dieser Verdacht geradezu auf, handelt es sich doch um einen Film, der von erschreckenden Katastrophen und ihrer Wirkung auf die Menschheit berichtet. So tun bereits die kurz eingestreuten Bilder der Anschläge vom 11. September 2001 ihr Übriges, indem sie die schrecklichen Ereignisse zumindest für kurze Zeit wieder in unser aller Gedächtnis rufen und einen Gegenwartsbezug herstellen, der in Filmen dieser Art eher selten ist.
Plötzlich machen sich wieder Gefühle von Beklemmung und Hilflosigkeit breit – Gefühle, die auch den von
Nicolas Cage verkörperten Charakter des John Koestler beuteln. Getreu dem Motto „
Shit happens“ verliert sich der Astrophysiker in Selbstmitleid und Besorgnis um seinen Sohn. Erst der seltsame Zahlencode rüttelt ihn wach und lässt ihn neuen Mut schöpfen, da es eventuell doch möglich sein könnte, Schlimmeres zu verhindern, mithin Schadensbegrenzung zu betreiben. Es ist das intensive Spiel von Cage und seiner weiblichen Partnerin
Rose Byrne („
28 Weeks Later“ [2007]), das hier neben der Leistung der beiden Jungschauspieler
Chandler Canterbury und
Lara Robinson die augenscheinliche Hoffnungslosigkeit der Geschehnisse anderthalb Stunden lang etwas in den Hintergrund drängt und zumindest kurz Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufflammen lässt. Hoffnung, die jedoch gerade während der trotz kleinem Budget imposanten Effekt-Szenen auf eine harte Probe gestellt wird. Proyas zeigt sich nämlich wenig zimperlich, inszeniert schonungslos-spannend und ohne Rücksicht auf Verluste. Wahrlich ein kluger Schachzug in solch krisengeschüttelten Zeiten, in denen niemand weiß, was als nächstes droht. Aber kann dann überhaupt noch die Hoffnung Früchte tragen, wenn es selbst einem, der
weiß, was passiert, nicht möglich zu sein scheint, das Schicksal abzuwenden? Es ist eben jene Unsicherheit, die den Grundpfeiler der Geschichte bildet und allmählich verdeutlicht, warum der Film so heißt, wie er heißt. Denn nicht etwa die Mystery-Komponente rund um „Flüstermenschen“, seltsame Steine und Prophezeiungen steht im Vordergrund, sondern die elementarste aller menschlichen Fragen: was für einen Sinn hat das Leben? Vor allem dann, wenn man um seine Zukunft weiß?
Spätestens jetzt, mit den letzten 30 Minuten, wird leider auch
der Teil des Films erreicht, der schließlich entscheiden wird, ob man
„KNOWING“ über den bloßen Durchschnitt hinausheben kann, oder eben nicht. Denn religiöse Ansichten einem breiten Publikum schmackhaft zu machen, stellt nämlich immer ein riskantes Unterfangen dar, vor allem dann, wenn es sich um Grundfesten des Glaubens handelt. Klare Verhältnisse für Jedermann zu schaffen, ist schier unmöglich und jeder Versuch eigentlich schon im Vorfeld zum Scheitern verurteilt. Zu dumm, dass die Drehbuchautoren diesem Umstand mit Holzhammer-Symbolik und übertriebener Deutlichkeit entgegenzuwirken versuchen, anstatt einige Fragen einfach offen und damit der Phantasie jeden Zuschauers zugänglich werden zu lassen. So jedoch beißt sich die sprichwörtliche Katze hier mal wieder selbst schmerzhaft in den Schwanz, wird doch der bittere Nachgeschmack der meisten Zuschauer am Ende des Films gerade aus dem Umstand resultieren, dass der Zuschauer von jeder Form der eigenen Vorstellungskraft freigesprochen und im Gegenzug mit religiöser Symbolik in Reinkultur beinah erschlagen wird.
Untermalt von einem Soundtrack aus der Feder von
Marco Beltrami („
Terminator 3 - Rebellion der Maschinen“ [2003], „
Stirb langsam 4.0“ [2007]), der gerade in den ruhigen Momenten nicht immer den richtigen Ton trifft, steuert das apokalyptische Geschehen somit einem (hoffnungsvollen?) Ende entgegen, das zwar mit Genre-Konventionen bricht, jedoch ob seiner gewaltsam eingetrichterten Moral von der Geschicht’ eben nicht den erwarteten Sonnenaufgang nach all der vorherrschenden Düsternis präsentiert. Auch wenn der bloße Entschluss, eben kein Happy End im herkömmlichen Sinne zu bieten, uneingeschränkt zu begrüßen ist – stellt er doch eine Neuerung im bereits breitgewalzten Katastrophenfilm-Genre dar –, ist hier letztendlich dennoch eine Wahrheit zu bemühen, die ausgelutschter nicht sein könnte: Ein Weniger kann durchaus ein Mehr sein.
Und
das, liebe Filmemacher, hätte man doch ausnahmsweise auch vorher wissen können, oder?