Es sind Bilder, die uns täglich umgeben. Wenn wir etwas sehen, nehmen wir es instinktiv auf und prägen es uns zum Teil ein. Dieser Prozess des Wahrnehmens eines Bildes ist unverkennbar mit der Gegenwart verwachsen und scheint auch nur dort besondere Früchte tragen zu können. Doch wie so häufig trügt der Schein. Denn mitunter wird die Zeitschiene der Gegenwart nach rechts verlassen, Richtung Zukunft. Es ist das noch verwaschene Bild einer ungewissen Zukunft, das nicht selten Bestrebungen in der Gegenwart weckt, das Zukünftige konkreter, bestimmbarer und klarer werden zu lassen. In diesem Fall sind es Leitbilder, die in der Gegenwart diesen Bestrebungen entwachsen und das Handeln auf ein bestimmtes Ziel hin zu koordinieren versuchen.
Wie sieht die Zukunft aus, auf die wir, die Menschen, uns unaufhörlich zu bewegen? Ist sie so strahlend, wie man immer glauben möchte? Wir meinen hierauf keine explizite Antwort zu kennen, denn wüssten wir die Antwort, könnte diese Frage unausgesprochen bleiben. Und so fragen wir weiter, während wir einen weiteren Schritt auf dem Weg gehen. Dabei erwischen wir uns, wie wir von Zeit zu Zeit am Rande des Weges verweilen und das bestaunen, was sich unseren Augen in all seiner Pracht darbietet. Wieder sind es Bilder, die wir sehen, Bilder aus der Natur, welche uns so gut gefallen, dass wir am liebsten einen Schritt zurückgehen würden, nur um es noch einmal mit ebensolcher Freude wie beim ersten Mal betrachten zu k
önnen. Nichts ist so schön wie der erste Moment. Und plötzlich wächst der Entschluss, etwas zu tun. Etwas, das diese Momente konserviert und für die Nachwelt festhält. Das Leitbild wächst zu voller Größe.
Auch
Alastair Fothergill („Deep Blue - Entdecke das Geheimnis der Ozeane“ [2003]) und
Mark Linfield befinden sich auf diesem Weg in das Ungewisse und schon bald Bevorstehende. Die Dokumentarfilmer wussten schon seit jeher von der Schönheit unserer Erde und begannen bereits 2003 mit den Vorbereitungen für ihren großen, beeindruckenden Dokumentarfilm
„UNSERE ERDE - DER FILM“, dessen Eckdaten sich im Nachhinein lesen wie diejenigen eines Hollywood-Blockbusters: Fünf Jahre Produktionszeit, neuestes Kamera-Equipment, Aufnahmen aus 26 Ländern, 40 Kamerateams, 1000 Stunden Filmmaterial und 250 Tage Luftaufnahmen. Kostenpunkt dieser logistischen Meisterleistung: unglaubliche 40 Millionen Euro! Herausgekommen ist ein Werk, das auf der einen Seite begeistert ob der Bilder, die man so noch nie zuvor gesehen hat, auf der anderen Seite aber auch das Unterhaltungsmoment für kurze (ausreichende) Zeit in den Hintergrund drängt. Zeit, die berührt, ohne einen mit dem moralischen Zeigefinger anzustupsen, und die die alles entscheidende Konsequenz beinahe automatisch in unseren Köpfen hervorruft.
Doch vor all den Maßnahmen, die wahrscheinlich noch vor uns liegen, und vor der kurzen, aber intensiven Zeit der Einsicht am Ende des Films sind es vor allem atemberaubende Bilder, die es zu bestaunen gilt, welche durch viele interessante und lehrreiche Fakten angereichert werden.
Ulrich Tukur („
Das Leben der Anderen“ [2006]) übernimmt die Rolle des Erzählers in der deutschen Synchronfassung und schafft es eindrucksvoll, jede noch so wichtige Botschaft ohne übertriebenen Kitsch oder gehobene Stimme zu vermitteln. So lernen wir schon gleich zu Beginn, dass vor 5 Milliarden Jahren ein gigantischer Meteorit auf die Erdoberfläche prallte und hierdurch der Neigungswinkel der Erde um 21 ½ Grad verschoben wurde. Dies war die Geburtsstunde des Lebens auf der Erde, das Ausbilden der Vielfältigkeit der Landschaften, das Entstehen der Gegensätze von Hitze und Kälte – und die Geburt der Jahreszeiten, wie wir sie heute kennen. Der Zuschauer folgt in den anschließenden 99 Minuten dem Weg der Sonne und begibt sich auf eine ausschweifende Reise um den gesamten Erdball. Wir sehen die erste Frühlingssonne in der Arktis, die spitzbübisch eine Eisbärenfamilie aus dem vormals tiefen Schlaf wach kitzelt, begeben uns in die Kalahariwüste, wo eine Elefantenkuh und ihr Junges nach einer langen und gefährlichen Wanderung sich allmählich dem rettenden Wasserloch nähern, und schließlich folgen wir auf dem letzten Abschnitt unserer Reise einer Buckelwalmutter, die versucht, ihr Jungtier vom Äquator in die Arktis zu bringen – eine Strecke von gigantischen 6000 Kilometern.
Niemals zuvor ist es einem Dokumentarfilm gelungen, einerseits derart zu begeistern. Vor allem hat es bisher noch keine Dokumentation geschafft, die Kraft der Sonne und die Macht, die sie innehat, in wahrhaft epischer Breite festzuhalten. Die Sonne ist das Leitbild der Tiere, dem sie sich in 365 Tagen im Jahr entgegenstrecken und dem sie folgen. Und der Zuschauer nimmt, ohne sich entziehen zu können, (An-)teil an den Schicksalen. Die Jagd zwischen einem Geparden und einer Antilope, bei der erstmalig Hochgeschwindigkeitskameras, die sonst nur Crashtests filmen, verwendet wurden, wandelt sich durch die Zeitlupenaufnahme und die ruhige, bisweilen romantische Musik zu einem regelrecht zärtlichen Liebesspiel, das beinahe vergessen lässt, dass es hier in Wahrheit um Leben und Tod geht. So wird dem Zuschauer auch nicht der letzte finale Akt gegönnt, sondern bewusst abgeblendet, um nicht zu schockieren. Auch die Beutejagd eines weißen Hais in Zeitlupe, bei der man glaubt, jeden einzelnen Wassertropfen mit dem bloßen Auge ausmachen zu können, erschlägt mit seiner Bilderwucht das Wissen um den natürlichen Kreislauf des Lebens und drängt dieses kurzzeitig bewusst ins Abseits.
Andererseits hat es zuvor auch noch nicht viele Dokumentarfilme gegeben, die trotz grandioser Bilder berühren und zutiefst nachdenklich stimmen. Es sind zweifellos einmalige Bilder, beeindruckende Panoramen – wunderschön untermalt durch die
Berliner Philharmoniker –, die wir im Jetzt und Hier mit unseren Augen auf der Leinwand sehen. Diese Bilder bleiben ohne weiteres hängen, hinterlassen Eindruck und wirken, ohne dass wir es beeinflussen können, fort in die Zukunft. Wenn sich am Ende der imposante Eisbär zwischen schmelzenden Schollen majestätisch durchs Eismeer bewegt, leise und ruhig, immer der Sonne am Horizont entgegen, dann steht fest, dass Bilder von solcher Schönheit und Intensität in einigen Jahren wohl nicht mehr möglich sein werden. Diese Botschaft kommt automatisch und bedürfte eigentlich keines (wenn auch unaufdringlichen) Kommentars seitens des Erzählers, und doch spricht Ulrich Tukur die traurige Antwort auf die Frage aus, die wir eingangs gar nicht stellen wollten. Leise, beinahe unbemerkt. Es liegt an uns, an jedem Einzelnen, wie die Zukunft aussieht. Das ist letztlich die bittere Wahrheit, die in diesem grandiosen Dokumentarfilm steckt und die der Mensch nicht ignorieren sollte, während er langsam auf seinem Weg fortschreitet und bisweilen verstohlene Blicke zurück riskiert. Denn noch ist sie im Wachstum begriffen, die Wahrheit – verdeckt von der Schönheit der Bilder. Verdeckt vom Hier und Jetzt.
Bilder: © 2000-2010 Universum Film