(USA, 1988)
„Southern trees bear strange fruit / Blood on the leaves and blood at the root / Black bodies swinging in the southern breeze / Strange fruit hanging from the poplar trees“
(Abel Meeropol, „Strange Fruit”)
„Hatred isn't something you're born with. It gets taught. You believe the hatred. You live it... you breathe it… you marry it.“
Es gibt in den USA eine Bewegung, die sich in den Kopf gesetzt hat, Barack Obama sei überhaupt kein US-Amerikaner, sondern stamme vollkommen von seinem kenianischen Vater ab – womit seine Präsidentschaft illegal wäre. Das ist ein gutes Beispiel für einen radikalen (Neo-)Konservatismus und seine fanatisierten Anhänger, die es nicht ertragen können, wenn die andere Seite ‚in charge’ ist. Es läuft ihrem irrigen Anspruch zuwider, ein natürliches Recht auf die Macht zu haben. Amerikanische Liberale mussten acht Jahre lang George Bush Junior ertragen, und für dessen Konto an Sündenfällen reichte diese Seite hier nicht aus. Einigen Republikanern und Rednecks, Geld- und Gotteskriegern ist schon ein halbes Jahr Obama zuviel zugemutet. Dabei hat der Mann wirklich nicht viel ausgerichtet. Ausgenommen, Guantanamo und Folterverhöre zu verurteilen und laut über so etwas ähnliches wie eine staatliche Gesundheitsfürsorge nachzudenken. Und die soll nur als Ergänzung gedacht sein, für die Millionen Amerikaner, die
sich keine teure Privatversicherung leisten können. Zum Dank wird er in Karikaturen zum Hitler gemacht.
Die Kampf der Schwarzen um Freiheit und Gleichberechtigung ist im US-Kino sehr gut dokumentiert. In Norman Jewisons Oscar prämierten Krimiklassiker
In the Heat of the Night (
In der Hitze der Nacht, 1967) steht Sidney Portier als vermeintlicher Vagabund vor dem großmäuligen Grobklotz von Kleinstadtscherriff, gespielt von Rod Steiger. In dem Moment, in dem Portier brüllt: „They call me MISTER Tipps!“ soll der Legende nach so manches Lichtspielhaus gebrüllt haben vor Begeisterung. Und es ist ein langer Weg, bis sich die beiden auf dem Bahnsteig ein paar letzte Blicke in Freundschaft zuwerfen.
Auch Alan Parkers
Mississippi Burning (1988) gehört in die Ahnengalerie dieser Rassenkonfliktdramen. Aufwühlend, hart. Ein in grimmigen Bildern vorgetragenes Klagestück, das – leider – nicht viel mehr kann als berühren und erzürnen. Aber wenigstens in dieser Disziplin ist Parkers Film lehrbuchhaft gut geraten.
Die Geschichte, die er erzählt, beruht auf wahren Ereignissen. Am 21. Juni 1964 verschwanden die drei Bürgerrechtler James Earl Chaney, Michael Schwerner und Andrew Goodman in Neshoba County, Mississippi. Das FBI ermittelte, doch von den Eingeborenen war keine Hilfe zu erwarten. Später findet man ihre Leichen in einem Erdwall. Als Zuschauer weiß man von Anfang an, dass sie Opfer eines Meuchelmordes wurden.
In diesem Film lässt Parker zwei FBI-Ermittler, zwei unterschiedliche Charakterköpfe aufeinander prallen: Rupert Anderson (Gene Hackman) und Alan Ward (Willem Defoe). Der eine (Defoe) ein idealistischer junger Spring-ins-Feld aus dem liberal regierten Washington, der andere (Hackman) ein schlitzohriger Kautz, der die Menschen und die Gegend kennt. Ihre Ermittlungen laufen zuerst ins Leere, denn im Ort sagt keiner etwas, egal welche Hautfarbe er hat. Erst als sich Rupert mit Mrs. Pell (Francis McDormand), der Frau des Hilfsscherriff (Brad Dourif) anfreundet, kommen erste Spuren ans Licht. Und die führen nicht nur zum berüchtigtsten, weißgekleideten Kapuzenträgerverein der Geschichte.
Für
Mississippi Burning wurde Parker fast mehr kritisiert als gelobt. Natürlich dürfte er sich viele Klagen darüber anhören, dass Hollywood manchmal doch besser die Finger von zeitgeschichtlichen Stoffen lassen solle, wenn dabei am Ende doch nur fiktionalisierte Geschichte herauskomme. Vor allem die Darstellung des FBI geriet bei ihm positiver, als die Realität es leisten konnte.
Wenn man den Generalverdacht beiseite schiebt, dass Regisseure nicht mit Geschichte umgehen können oder gerne die Faktentreue der Spannung und dem Thrill opfern, muss man Parker andere Qualitäten zugestehen als die, ein korrekter Historiker zu sein. Nämlich zu aller erst: einen wunden Punkt im amerikanischen Bewusstsein getroffen zu haben. Rassismus ist ein Störfaktor, ein großer (pardon) schwarzer Fleck auf der weißen Weste, die ja auch nicht weißer ist als die anderer Nationen.
Empörung und Überrumpelung
Dann muss man dem britischen Regisseur attestieren, ein exzellenter Manipulator der Gefühle und kontroverser Filmemacher zu sein. Dies Image teilt er mit Kollegen wie William Friedkin oder Oliver Stone. In der Bildsprache geht er häufig realistisch, manchmal stilisiert zu Werke. In diesem Film sind es vor allem geschickte Montagen, die den nüchternen, pietätlosen Blick auf die amerikanische Hinterlandrealität kommentieren und überhöhen. In der ergreifendsten von allen brennen die Hütten, werden wehrlose Schwarze zusammengeschlagen, während ein schwarzer Prediger den Tod eines ermordeten Jungen beklagt und sich dabei in eine Wutrede steigert. Wer kann da wiedersprechen?!
Und genau das ist der Punkt.
Mississippi Burning ist engagiertes, aber auch knallhart kalkuliertes Empörungskino. Emotionale Manipulation im Geiste der gute Sache – wenn man es wohlwollend ausdrücken möchte. Man kann auch Überrumpelung dazu sagen. Die gleiche Überrumpelung, die schon Parker-Filme wie
Midnight Express (1978) zu Kassenschlagern machte - und für die es auch ordentlich Kritik hagelte.
In einer andere Szene greifen vermummte Schläger eine schwarze Kirchengemeinde an. In der letzten Einstellung dieser Szene bewegt sich einer der Vermummten mit einem Baseballschlager auf einen am Boden kauernden Jungen zu. Es ist eine der perfidesten, unangenehmsten Szenen überhaupt. Und sie lässt keinen Widerspruch zu. Wer hier nicht betroffen guckt, hat kein Herz und ist ein Schwein. Oder?!
Parkers Händchen für Schauspieler
Parker zeigt aber auch, Drama hin oder her, wie gut er Menschen und ihr Innenleben mit der Kamera sichtbar machen kann. Minuziös zeichnet er das Bild vom ungleichen Paar Hackman/Dafoe, die sich immer wieder anschnauzen und zur Hölle wünschen, nur um schlussendlich in der Sache vereint zu sein.
Selten war er dabei in der Schauspielerführung besser und geschickter. Aus Hackman holte er seine beste Leistung seit
French Connection (1971) heraus. In seiner Rolle beherrscht er das ganze Repertoire, wie man als Filmbulle überhaupt agieren kann. Hervorragend ist sein Zusammenspiel mit Frances McDormand, eine der damals größten Entdeckungen. Immer wieder tastet sich Hackman vor in ihre Welt, versucht den Panzer ihres Schweigens zu durchbrechen. Irgendwann weiß man nicht mehr, wann sein kriminalistisches Kalkül von seinen stärker werdenden Gefühlen überrumpelt wird.
Parker hat auch nie davor und selten danach ein so anschauliches Psychogramm einer von Rassismus verseuchten Gesellschaft gezeichnet. Auch in Jewisons Film möchte man kein Schwarzer sein, der sich in einer kleinen Stadt im amerikanischen Süden der sechziger Jahre täglich behaupten muss. Schon in dem Moment, in dem sich Dafoe, ganz humanistischer Heißsporn, demonstrativ an einen Tisch für Schwarze setzt und damit das ganze Lokal zum Schweigen bringt, kann man sehen, was in diesem Land, mit diesen Menschen nicht stimmt. Die Gewalt, die das Stadtleben bestimmt, ist allgegenwärtig. Hier fliegt ein verprügelter Schwarzer aus einem Auto, dort werden Scheunen angezündet, später sind es Menschen. Und immer wieder lacht sich der Kreuze anzündende Pöbel ins Fäustchen.
Aug um Auge, wir wollen es so
Am Ende, und das ist vielleicht das Interessanteste, führt Parker den Beweis, dass wir, die Zuschauer, doch auf martialischen Moralismus abfahren. Seine Bilder und seine Geschichte bilden die Konfiguration, in der Rache ethisch vertretbar wirkt. Am Ende blasen Hackman, Dafoe und ein ganzes Heer von FBI-Leuten zum Gegenangriff. Ein kurzer, aber pointierter Rachefeldzug, dem man aus vollem Herzen entgegenfiebert.
Wir, die Zuschauer, wollen es am Ende so. Dafür hat Parker einen ganzen Film lang den Boden bereitet. Und wir gehen ihm ins Netz.
Mississippi Burning zeigt, dass ist sicher der größte Schwachpunkt, keine Auflehnung, keine Rebellion, sondern nur Unterdrückung. Er zeigt die Schwarzen als Opfer, nicht als Kämpfer. Das muss der weiße Mann in die Hand nehmen. Schmeichelhaft ist das nicht. Aber unterm Strich bleibt trotzdem das Verdienst, einen Teil der bewegten Geschichte eingefangen zu haben, die – im Gegensatz zu Parkers Film – viel Auflehnung und Rebellion zu bieten hat. Von dem Tag an, an dem sich eine gewisse Rosa Parks weigerte, den Platz in einem stickigen, heißen Bus für einen Weißen frei zu machen; über die Nacht, in der Martin Luther King erschossen wurde, in der die Schreckensnachricht wie ein Lauffeuer in ein James Brown-Konzert loderte und aus dieser Wut heraus den legendären Schlachtruf gebar („Say it loud! I am black and I am proud!“); bis hin zum 20. Januar 2009, als Obama Präsident der USA wurde. Den Südstaaten gönnt man das besonders.
Die Welt kann froh sein, dass dieser Süden damals, 1865, nicht gewann. Dass die Menschen im Süden die stolzesten Verlierer der Geschichte sind, keine stolzen Gewinner. Dass Robbie Robertson 1969 den größten Abgesang der Popgeschichte schreiben konnte, der so aufrecht und gebrochen zugleich klingt: „The night they drove Old Dixie down / And the bells were ringin´.“