Ich persönlich bin ja ein Fan von Tim Burton. Seine Filme sind meistens wunderschöne Märchen für Erwachsene, auch wenn der visuelle Stil manchmal das Zepter über die inhaltliche Substanz übernimmt. Burton ist natürlich auch als Produzent tätig, und zeigte sich etwa in dieser Rolle für Henry Selicks
Nightmare before Christmas verantwortlich, führte aber auch selbst bei dem Stop-Motion-Film Corpse Bride Regie. Um von dieser äußerst konstruierten Einleitung nun die Kurve zum vorliegenden „Mary & Max“ zu bekommen: dieser hat zwar mit Tim Burton gar nix zu tun, wirkt aber wie ein Kind im Geiste, hat ergo einen ganz wunderbaren Stil, ist zutiefst berührend, aber hat jetzt nicht wirklich viel Geschichte zu erzählen. Will er aber auch gar nicht. Und hat mir somit ganz wunderbar gefallen!
Die achtjährige Mary führt ein einsames Leben in Australien: ihr Vater näht Etiketten an Teebeutel und verbringt seine Freizeit im Schuppen mit ausgestopften Vögeln, ihre Mutter kostet am liebsten Sherry und borgt sich in verschiedenen Geschäften Dinge, die sie unter ihr Kleid steckt um Plastiktüten zu sparen – sagt sie. Freunde hat Mary auch keine, nur ein Hahn und der alte Nachbar, der sich aber nicht aus seinem Haus traut, sind ihre Gefährten. Da schreibt sie eines Tages aus Langeweile einen Brief an einen zufälligen Namen aus einem Adressbuch. Der Auserwählte ist der New Yorker Max:
adipös, mit Aspergersyndrom und ebenfalls äußerst einsam. Über die Jahre und Jahrzehnte hinweg enwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden...
Am augenfälligsten ist natürlich der Look des Films: kein Realfilm steht uns hier ins Haus, sondern ein Stop-Motion-Film auf Claymation-Basis, also mit Knetfiguren, ähnlich wie Wallace & Gromit. Regisseur Adam Elliot, der für seinen Kurzfilm Harvie Krumpet den Oscar bekam, legt mit „Mary & Max“ seinen ersten Langfilm vor und bleibt natürlich seinem Stil treu. Auf Lebensnähe wird absolut kein Wert gelegt, es herrscht knuffige Art Direction. Die Animation lässt sich schlichtweg nur mit einem Wort beschreiben: brillant! Die Figuren stecken voller Leben, auch kleinste Bewegungen werden animiert und durch die vielen kleinen Details wirkt der Film niemals steril. Einzelne Farben – etwa Rot – setzen immer wieder Akzente im grauen Alltag von Max bzw. der braunen Welt von Mary. Einzig diese vielleicht etwas offensichtliche Farbgestaltung der einsamen Tristesse könnte man dem Film ankreiden – wenn man denn bösartig wäre, aber sie komplementiert den Look einfach ganz wundervoll.
Was man dem Film natürlich vorwerfen kann, ist seine gewisse erzählerische Leere. Mit 90 Minuten Laufzeit auch kein allzu kurzes Werk, besteht ein großer Teil von „Mary & Max“ quasi nur aus vorgelesenen Briefen, die sich die beiden Hauptdarsteller schreiben. Durch die aber sehr süße Gestaltung und schön vorgelesenen Texte will sich aber auch kaum Langeweile einstellen. In den Briefen selbst werden einerseits skurrile Fragen aufgeworfen (wie etwas „Schrumpfen Schafe wenn es regnet?“), andererseits erzählen die Figuren munter aus ihrem Leben. Dass sie dabei meistens total aneinander vorbeischreiben – geschenkt, verbuchen wir halt unter künstlerischer Freiheit. Glücklicherweise ändert dann der Film doch in gewisser Weise die Marschrichtung, gerade wenn man sich fragt, ob denn da noch was kommt: anhand der Brieffreundschaft werden wir Beobachter von Marys Erwachsenwerden, und auch die Beziehung der beiden erlebt einen anderen Schwerpunkt, der hier aber nicht unbedingt gespoilert werden soll. Ganz nebenbei (für mich als Sonderpädagoge natürlich besonders erwähnenswert) flechtet der Film auch noch die Sicht eines Menschen mit Behinderung auf sein eigenes Leben in realistischer Weise ein – toll!
Dabei trifft der Film auch immer den angemessenen Ton zwischen Drama und Komödie. Seine Komik bezieht er zum einen aus den witzigen Briefen, zum anderen aber auch aus den immer wieder eingesprenkelten Episoden, die natürlich zu weiten Teilen völlig absurd sind. In diesen werden immer wieder einzelne Sätze aus den Briefen verdeutlicht, was natürlich durch den visuellen Stil und die Skurrilität des Ganzen immer wieder ein großes Grinsen aufs Gesicht zaubert. Auch einige Running Gags, wie etwa die wiederkehrenden Panikattacken von Max, können jedes Mal schwer unterhalten. Die Tragik und so manch überraschende – fast schon düstere – Wendung, und damit verbunden auch die benutzte Sprache, machen „Mary & Max“ aber auch zu einem Film, der trotz seiner Optik nicht wirklich für Kinder geeignet zu sein scheint. Die Knetfiguren durchleben durchaus existentielle Ängste von echten Menschen, etwa Geisteskrankheit oder der Tod der eigenen Eltern. Insofern erhält der Film noch eine etwas tiefergehende Akzentuierung als „bloß“ eine knuffige Knetfigurengeschichte zu sein. In dieser durchaus hässlichen Welt mit hässlichen Menschen ist eben die Freundschaft das verbindende Element der beiden Außenseiter, auch wenn um sie herum alles verrückt zu werden scheint.
Dass Regisseur Adam Elliot hierbei quasi immer genau die richtige Spur zwischen Schmalz und Witz findet, und genau zur richtigen Zeit wieder in die jeweils andere Richtung umschwenkt, ist geradezu bewundernswert. Dabei vermeidet der Film die meiste Zeit echten Kitsch, was sicherlich auch seiner Machart zuzuschreiben ist. Stellt man sich ihn etwa mit den üblichen Schauspielern als Realfilmvariante vor, rollen sich einem beinahe die Fußnägel auf: so wird einem bewusst, wie der Look die Absurdität und märchenhafte Atmosphäre des Geschehens nicht nur unterstützt, sondern quasi die Stütze an sich, die Basis, bildet.
„Mary & Max“ ist also ein ganz wundervoller Film. Ein leicht morbides Märchen für Jugendliche und Erwachsene; eine Feier der Freundschaft, grenz- und kontinentüberschreitend; ein Film zum Wohlfühlen, ohne wirklich seicht zu sein; ein Werk, dem man die investierte Arbeit und Liebe in jedem Bild ansieht.
Und nicht zuletzt: basierend auf einer wahren Geschichte.